Der Entwickler CD Projekt Red hat bereits mit der „The Witcher“-Reihe ein RPG erschaffen, das sich sehen lassen kann. Cyberpunk 2077 möchte nicht nur in diese großen Fußstapfen treten, sondern etwas noch Größeres erzeugen. Wir haben die ersten vier Stunden des Spiels gespielt und verraten euch, warum sich die Wartezeit lohnt.
Eine Dystopie die den Atem raubt, aber auch überfordern kann
Cyberpunk 2077 spielt in der dystopischen Stadt Night City und teilt sich die Grundlage mit dem „Pen & Paper“-RPG Cyberpunk 2020, auf dem das Spiel basiert. Die Welt ist besessen von Glamour, Macht, Legenden und Körpermodifikationen. Die Armen leben neben den Reichen und die Augen der Megakonzerne wachen über allesamt.
Die Detailverliebtheit in dieser massiven Welt sticht sofort hervor. Nicht einmal fünf Minuten im Spiel springen Werbeanzeigen ins Auge, die alles anbieten was ihr euch nur denken könnt. Das zügellose Konsumdenken und Konsumverhalten der Gesellschaft prägt die Spielwelt, und das ist jedem Spieler sofort klar. Hierdurch ist der Startpunkt für die kommenden Moralwerte der Protagonisten und der Bevölkerung gesetzt. Night City ist in sechs Bereiche aufgeteilt, plus die umliegenden „Badlands“. Jeder Distrikt besitzt seinen eigenen Style, Vibe und natürlich auch seine eigenen Gefahren.
Die Detailverliebtheit und vor allem die ausgereifte Hintergrundgeschichte von Cyberpunk 2077 weisen aber auch eine kleine Gefahr für einige Spieler auf: Überforderung. Ich wertschätze immer, dass eine Geschichte und ihre Charaktere auf einer soliden Basis gebaut sind, allerdings wirft Cyberpunk 2077 von Anfang an mit Vokabeln, Phrasen und Wortspielen um sich, die so manch einen verwirren könnten. Es entsteht das Gefühl, dass ein Uni-Vorkurs vonnöten ist, um die Welt von Anfang an zu begreifen.
Ihr spielt als gesetzloser Söldner mit dem Namen V. Ein Cyberpunk, der außerhalb der Reichweite der großen Konzerne agiert und seine Waffen, Untergrundverbindungen und Cyberware verwendet, um seinen eigenen, legendären Weg in Night City zu schaffen.
Das große Ziel: ein Implantat. Das soll nämlich den Schlüssel zur Unsterblichkeit besitzen. Euer Weg zur Legende liegt an euch und an euren Entscheidungen.
Durch und durch ein RPG
Von Beginn an ist klar, dass Cyberpunk 2077 großen Wert auf Anpassungsmöglichkeiten legt. Egal, ob in der Charaktererstellung (ja, ihr könnt sogar euren Penis/eure Vagina anpassen) oder in den Entscheidungen die ihr im Verlauf des Spiels trefft.
Am Anfang legt ihr euch auf eine von drei möglichen Hintergrundgeschichten fest: Street Kid, Nomad oder Corporate. Je nachdem welche ihr auswählt, beginnt das Spiel an einem anderen Ort der Stadt. Ebenfalls unterscheiden sich eure Interaktionsmöglichkeiten innerhalb der Gespräche. Ein Street Kid besitzt beispielsweise ein tieferes Wissen der Kultur und Gepflogenheiten der Straße. Nicht nur am Anfang des Spiels soll die Herkunftsgeschichte eine Auswirkung haben, sondern auch im weiteren Verlauf der Geschichte. Ob es sich wirklich um große Unterschiede handelt, seht ihr aber erst nach Release.
Der RPG-Schwerpunkt tritt jedoch vor allem bei euren Charakterattributen und Fähigkeiten in den Vordergrund. Ihr könnt jede Rolle einnehmen die ihr möchtet und beliebig nach eurem Spielstil anpassen. Die Tiefe der Skills ist atemberaubend und kann sogar etwas überwältigen. Es liegt ganz in eurer Hand wie ihr mit V spielen möchtet. Cyberpunk 2077 gibt euch kompletten Freiraum zur Entfaltung.
Hinweis: Ich habe nur die englische Fassung spielen können, darum kann ich die deutschen Begrifflichkeiten noch nicht auflisten.
Euer Charakter besitzt fünf Hauptattribute:
- Body: Verbessert die Gesundheit, verringert die Kugelstreuung der Waffen, erhöht Nahkampfschaden und die vorhandene Ausdauer.
- Reflex: Erhöht die Chance auf kritischen Schaden sowie die Angriffsschnelligkeit, verbessert eure Ausweichmöglichkeit (also, wie leicht beziehungsweise schwer es für Gegner ist euch zu treffen).
- Intelligence: Verringert die Schwierigkeit der angewandten Hacks, beschleunigt die Geschwindigkeit eurer Hacks und erhöht euren „Memory Pool“. Der ist quasi euer „Mana“. Hacks können als eine Art Magie in Cyberpunk 2077 gesehen werden.
- Technical Ability: Gewährt Rüstung, verbessert eure Chance auf Loot für das Craften.
- Cool: Verbessert Stealth, verlangsamt die Geschwindigkeit in der NPCs euch entdecken, erhöht kritischen Schaden und verstärkt eure Resistenz gegenüber negativen Effekten.
Indem ihr Punkte in eure Charakterattribute steckt, öffnen sich neue Wege in den jeweilis verbundenen Fähigkeiten. Jedes Attribut verfügt über extrem viele Abilities, die nochmal in Subkategorien aufgeteilt sind. So könnt ihr euch beispielsweise auf Pistolen- oder Sturmgewehrschaden fokussieren. Oder auf ein Stealth-Build. Wie gesagt, die Freiheit ist absolut atemberaubend.
Und da hört es noch lange nicht auf, denn eure getragene Kleidung besitzt ebenfalls Stats, die euren Spielstil entscheidend beeinflussen können. Und selbst da hört der Spaß noch nicht auf. Denn es steht nämlich noch eure Cyberware im Raum.
Cyberware, was ist das?
Eure Cyberware sind eure eingebauten Implantate. Bei sogenannten Ripperdocs könnt ihr euch diese einpflanzen lassen. Die Cyberware wirkt sich ebenfalls auf euren Spielstil aus.
Die Cyberware unterteilt sich in drei Kategorien:
- Active: Benötigt euren Input (Knopfdruck) für die Aktivierung.
- Triggered: Aktiviert sich, sobald bestimmte Konditionen eingetreten sind. Beispielsweise wenn eure Lebenspunkte unter ein bestimmtes Maß fallen.
- Passive: Stellt nach dem Einbau sofortige Buffs bereit die keine manuelle Aktivierung benötigen.
Die Cyberware installiert ihr in verschiedene Slots, die quasi die Körperteile von V repräsentieren. Hierdurch könnt ihr unterschiedliche Effekte gleichzeitig anwenden und laufen lassen.
Was zur Hölle ist Braindance?
Braindance ist nicht nur die beliebteste Entertainment-Möglichkeit in der Welt von Cyberpunk 2077, sondern auch eine Quelle für Informationen.
Diese neuronale Technologie erlaubt es euch auf Erinnerungen und Emotionen zuzugreifen. Hier seht ihr einen bestimmten Abschnitt und könnt diesen frei manipulieren, um an nützliche Infos für eure gegebene Mission zu gelangen.
Welche Informationen erspähen könnt und wie ihr das gewonnene Wissen in die Mission einbaut, liegt abermals an euch.
Alles schön und gut, aber wie spielt sich Cyberpunk 2077?
Da es sich um ein Spiel von CD Projekt Red handelt, ist es für mich eine Umstellung in der Egoperspektive zu spielen. Vor allem in Gesprächen, da ihr euren eigenen Charakter nicht sehen könnt. Dafür sind die Kameraeinstellungen in den Gesprächen jedoch nicht geskriptet und ihr könnt euch innerhalb der Konversation frei umschauen. Die Immersion ist wirklich immens und trägt viel zur Spielerfahrung bei.
Die Mission in der ihr einen militärischen Bot von der Gang Maelstrom besorgen müsst, stach beim Anspielen am meisten hervor. Die Herangehensweise ist völlig euch überlassen.
Auch hier zeigt sich die Freiheit des Spiels. Am Ende der Mission sagte ein Entwickler zu mir: „Oh, von dem Ende habe ich zwar gehört, aber selbst noch nie gesehen.“ Viele Entscheidungen, viele Freiheiten und konstant die Frage im Hinterkopf: „Was wäre wenn…“.
Der Wiederspielwert ist enorm, und jede eurer Entscheidungen kann hinterfragt werden. So hatte ich beispielsweise gar keinen Bosskampf in der angesprochenen Mission, da ich den Anführer der Gang sofort am Anfang der Mission erledigt habe. Außerdem hatte ich als Street Kid eine andere Interaktionsmöglichkeit im Verlauf eines Gesprächs. Da ich das Hintergrundwissen über die gezeigte Droge besaß und direkt wusste, was ihre Inhaltsstoffe sind und was sie bewirkt.
Cyberpunk 2077 leistet bereits von Anfang an gute Arbeit in der Darlegung der komplizierten Struktur der Gesellschaft, sowie der Beziehungen zwischen den Gangs und den Megakonzernen.
Und eins kann ich bereits sagen, die Waffen haben ein wesentlich besseres Handling als ich es erwartet hätte! Zudem machen Kopftreffer einen entscheidenden Unterschied aus, damit die Gegner in einem RPG nicht zu einem Kugelschwamm mutieren. Das Trefferfeedback ist gelungen und alle Waffen fühlen sich unterschiedlich an. Einer meiner größten Sorgen ist somit bereits zerstreut.
Beim Autofahren und in den Nahkämpfen kann ich dies allerdings nicht behaupten. Das Fahrgefühl ist gewöhnungsbedürftig. Ich durfte zwei unterschiedliche Stile ausprobieren. Den Arcade-Style und den Simulations-Stil. Arcade ist besser zu handhaben als die Simulation. Welcher Fahrstil allerdings im finalen Spiel implementiert wird, ist bisher noch nicht bekannt.
Durch die Egoperspektive wirken die Nahkämpfe etwas ungenau. Von manchen Schlägen wurde ich getroffen, obwohl ich eigentlich gar nicht hätte getroffen werden dürfen. Dies fühlt sich alles etwas unbeholfen und nicht präzise genug an. Wenn sich das bis zum Release nicht ändert, wird mein Build definitiv nicht auf Nahkampf setzen.
Selbst nach den vier Stunden Anspielzeit habe ich das Gefühl, dass ich nur die Oberfläche angekratzt habe. Und damit meine ich nicht das komplette Spiel, sondern wirklich nur die Oberfläche des Prologs. Wahrscheinlich würde ich immer noch vor dem Bildschirm sitzen, wenn ich alle Nebenmissionen hätte machen können.
Durch die Verschiebung des Releases auf den 19. November 2020 hat der Entwickler weitere Zeit gewonnen, um Bugs und Glitches zu bereinigen. Erst war ich nach der Ankündigung enttäuscht über die Verzögerung, allerdings rauben einige Bugs durchaus den Spielspaß. So hat sich beispielsweise eine Tür in der Hauptmission verriegelt und mich am Fortschritt gehindert. Ich erwarte kein bugfreies Spiel, vor allem nicht in einer so großen Spielwelt, allerdings doch so frei von Fehlern, dass ein normales Spielen gewährleistet ist.
Versteht mich nicht falsch: Bugs sind vor allem im Entwicklungsprozess normal und gängig. Aber jetzt habe ich ein anderes Auge auf die Verschiebung. Und eines kann zum Schluss noch gesagt werden: Oh. Mein. Gott. Cyberpunk 2077 sieht grafisch extrem gut aus.
Ich kann es kaum erwarten, mich im November in Night City zu verlieren und alle Ecken zu erkunden, meine eigene Legende auf den Straßen zu formen und mir einen Namen zu machen. Aber sehr wahrscheinlich nicht als Nahkämpfer …