Bitcoin war der Vorreiter, doch inzwischen geht die Zahl der Kryptowährungen in die Tausende - und täglich kommen neue hinzu. Was steckt hinter der Erschaffung dieser vielen sogenannten Altcoins und wer profitiert davon? Wir haben uns in die Untiefen der Krypto-Chats begeben und einen Einblick in die Kultur moderner Goldgräberei erhalten.
„Wenn du sehen willst wie das mit dem Pumpen läuft, dann join mal diesem Telegram-Channel“ – es ist der 10. Mai, 0:24 Uhr und ich wollte gerade das Handy weg legen, als mein bester Freund mir den Link zu einer Telegram-Gruppe schickt, die mich die nächsten 48 Stunden in ihren Bann schlagen sollte.
Das nächste Bitcoin? Geburt einer Kryptowährung
Die Tage und Wochen zuvor waren Kryptowährungen immer wieder Fokus unserer Unterhaltungen gewesen. Es ging um Chia (XCH), an dessen Entwicklung eine gemeinsame Freundin im Valley beteiligt gewesen war. Wir sprachen über NFT und deren Existenzberechtigung. Und natürlich drehten sich unsere Gespräche auch immer wieder um Doge und der verrückten Kurs-Rallye, die diese ursprüngliche Spaßwährung aufgrund einiger Tweets von Elon Musk hingelegt hatte.
Irgendwann verriet mir mein Freund, dass er regelmäßig kleine Beträge auf neue „Shitcoins“ (Altcoins, die ein hohes Risiko haben, komplett abzustürzen) setze, in der Hoffnung, diese würden durch einen „Reddit-Mob“ hochgepusht. Solche „Push-Gruppen“ gibt es offenbar auch im Telegram-Messenger und ich war soeben dem offiziellen Kanal des „Weedmoon-Coin“ beigetreten:
Weedmoon war zum Zeitpunkt meines Beitritts nur wenige Stunden alt, doch waren schon weit über 1.000 Mitglieder im Channel – und im Minutentakt kamen neue hinzu. Die Sprache: Memes … und ein bisschen Englisch. Die Stimmung: Euphorisch.
Mit leichten Kopfschmerzen legte ich das Handy schließlich zur Seite und schlief ein.
Der nächste Tag: „Soon Lambo“
Als ich am nächsten Tag einen Blick in die Gruppe warf, hatte sich die ausgelassene Stimmung in eine ekstatische Raserei verwandelt. Das Sprachniveau und allen voran die Flut an Memes von großbrüstigen Frauen, die zum Kauf von Weedcoins animieren sollten, beschworen in meinem Kopf unweigerlich das Bild der Jungs-Sportumkleide meiner Schulzeit. Titten, Lambos und Weed – die zentralen Lebenswünsche pubertierender Jugendlicher, scheinbar in greifbarer Nähe durch den Kauf und das „HODLen“ dieser erst einen Tag alten Kryptowährung.
Die zusammenhanglos wirkenden Mitteilungen folgten einem Muster. Wann immer Weedcoin einen Absturz erlebte, drangen kritische Stimmen in den Feed. Gruppen-Admins und User brachten Zweifler anschließend mit verbalen Attacken und Memes zum Schweigen.
„Eat the Dip“, das Nachkaufen von Aktien oder Coins bei Kursstürzen, war dabei das ultimative Totschlagargument. Sobald der Kurs wieder stieg, verbesserte sich augenblicklich die Stimmung der gesamten Gruppe und es wurden wieder die „Soon Lambo“-, „Pump it!“ und „to the moon“-Sprüche ausgepackt.
Wie es im Weedcoin-Chat zugeht, zeigen wir euch in folgendem Video:
Auch interessant waren die Roadmap-Bröckchen, die Gruppen-Admins immer mal wieder in die Gruppe warfen. „Wir haben einen Partner auf TikTok und Instagram mit 300.000 Abonnenten gefunden, der in 2 Stunden unseren Coin bewerben wird!“.
Was und warum genau der Coin beworben werden sollte, war völlig unwichtig. Den Schwarm versetzten solche Mitteilungen in helle Aufregung. Auch Jobs wurden in Aussicht gestellt – man werde bald einen CFO (Finanzchef) brauchen, interessierte Bewerber sollten einfach eine Nachricht schreiben.
Ich fand das sehr faszinierend. Alles wirkte wie eine von Kindern gespielte Version von „The Wolf of Wall Street“, ein Småland für Kryptobroker. Und dennoch hatten tausende Menschen in diesen Coin investiert. Mit bloßem Buzzword-Spam und dem Versprechen von Reichtum, hatte Weedcoin in etwas mehr als 24 Stunden eine Marktkapitalisierung von 2 Millionen US-Dollar erreicht.
Cold Turkey: Was bleibt nach dem Hype
In meiner Studienzeit habe ich zwei Jahre lang als Croupier im Kasino gearbeitet. Ich habe den Rausch von Glücksspielern oft genug gesehen. Das schlimmste Erlebnis war ein Ehepaar, das an einem Abend fast 600.000 Euro an einem Automaten gewonnen hatte (der gemeinsame Jackpot aller Filialen in Deutschland).
Jahrelang waren sie ins Kasino gekommen. Er immer morgens nach seiner Taxi-Schicht, sie immer nachmittags. Das Glück, das die beiden nach diesem Riesengewinn ausstrahlten, war unglaublich. Sie würden erstmal Urlaub machen und dann ein eigenes Geschäft eröffnen.
Nach etwa einem Monat kam er das erste Mal wieder zum Spielen, „nur mal so, ich brauch ja nix mehr“. Kurze Zeit später war auch sie wieder da. In nicht einmal 12 Monaten hatten sie den gesamten Gewinn in die Kasse des Kasinos zurückbefördert.
Bei Weedcoin gesellte sich zur Gier und dem Adrenalinrausch mutmaßlich auch noch Betrug hinzu. Kurz nachdem der Coin die Marke von 2 Millionen US-Dollar durchbrochen hatte, stürzte er ins Bodenlose. Viele versuchten verzweifelt Weedcoin nachzukaufen, um den Kurs wieder nach oben zu treiben, doch ohne Erfolg.
Laut dem Gruppen-Admin hatten mehrere Entwickler, die einen Großteil der Coins besaßen, ihren Bestand veräußert. Das alles täte ihm sehr leid, er selbst sei auch betrogen worden. Daraufhin wurde die Gruppe geschlossen. Im Krypto-Jargon nennt man sowas einen „Rug-Pull“ und dieser war bei Weedcoin wahrscheinlich von vornherein geplant.
Innerhalb von 48 Stunden hatten tausende Menschen ihre gesamte Investition verloren und eine handvoll Entwickler knapp 2 Millionen ergaunert.
Krypto-Investitionen sind kein Kinderspiel
Das, was sich in der Weedcoin-Gruppe abgespielt hat, wiederholt sich täglich dutzende Male. Die allermeisten „Shitcoin-Investoren“ sind erfahrungsgemäß männlich, jung und unerfahren. Sie alle träumen vom großen und schnellen Geld. Internet-Phänomene wie WallStreet-Bets und Geschichten von Dogecoin-Millionären suggerieren ihnen, dass jeder viel Geld verdienen kann, ohne Vorkenntnisse oder besondere Fähigkeiten.
Shitcoins sind unter anderem so verlockend, weil der Einstieg so leicht ist. Die Coins sind meist nur einen Bruchteil eines Cents wert (Weedcoins Höchstand lag bei 0,00000008 Cent). Mit einem kleinen Anlagebetrag würde man also im Falle einer Kursexplosion eine ganze Menge Geld verdienen. Und warum sollte man auch nicht an einen dramatischen Kursanstieg glauben?
Dogecoin hat innerhalb von nur zwei Monaten um knapp 17.000 Prozent zugelegt. Hätte man im März 2010 nur einen Euro in Bitcoin investiert, hätte man jetzt ca. 350 Bitcoin, mit einem aktuellen Wert von knapp 10 Millionen Euro. Das Problem ist, dass nur die allerwenigsten Kryptowährungen derart an Wert gewinnen. Die allermeisten verschwinden schnell wieder in der Versenkung – zurück bleiben geprellte Anleger.
Etablierte Kryptowährungen wie Bitcoin (z.B. hier bei eToro kaufen) oder Ethereum (z.B.hier bei Trade Republic kaufen) sind schon volatil. Shitcoins aber sind reines Roulette. Und wie im Kasino kann es Spaß machen ein bisschen Geld zu setzen. Man sollte sich aber darüber im Klaren sein, dass es sehr wahrscheinlich weg ist.
Mehr zu weniger bekannten Coins und was dahinter steckt, in unserem Video:
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