Obwohl Frauen die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen, ist die Tech-Welt immer noch stark männerdominiert – das betrifft unter anderem Handys und Autos. Wir zeigen euch, welche Auswirkungen das hat.
Smartphones für Männerhände, Spracherkennung für männliche Stimmen, Autos für Männer: Die Welt der Technik ist männlich. Dass dadurch die Hälfte der Weltbevölkerung übersehen wird, ist nicht nur (als Frau) ärgerlich. Vielmehr hat das teilweise lebensbedrohliche Folgen.
Gender Data Gap: Was steckt dahinter?
Im Jahr 2019 veröffentlichte die Autorin Caroline Criado-Perez das Buch „Unsichtbare Frauen“. Die Autorin, Journalistin, Feministin und Aktivistin setzt sich darin intensiv damit auseinander, warum Frauen überhaupt so viel Benachteiligung erfahren.
Criado-Perez sieht die Schuld vor allem in der sogenannten „Gender Data Gap“: Viele der Daten, die wir über den Menschen kennen und nutzen, verwenden wir seit Jahrhunderten. Da aber früher der männliche Körper als Maßstab diente, wurden Frauen nicht mit berücksichtigt. Und dieses Problem hält sich bis heute. Criado-Perez schreibt: „Männer sind die unausgesprochene Selbstverständlichkeit und über Frauen wird gar nicht geredet.“
Frauen werden also nicht nur ignoriert, sie werden einfach nicht mitgedacht. Und das führt zu ebendieser Wissenslücke – der Gender Data Gap. Das hat Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche: Technik, Medizin, Stadtplanung, Büroarbeit, Design, Automobilindustrie. Die Liste ist lang, aber einige Beispiele aus der Tech-Branche wollen wir euch nicht vorenthalten.
Hinweis: Seit 1911 findet jedes Jahr am 8. März der internationale Frauentag statt. Dabei geht es nicht darum, Frauen mit Blumen zu beschenken. Vielmehr steht die Gleichberechtigung und Chancengleichheit aller Frauen im Vordergrund: Seien sie cis, trans, behindert oder of Color.
Unsere Kolleginnen und Kollegen von Desired.de machen dieses Jahr unter dem Hashtag #MachDichGlücklich auf die Benachteiligungen, Forderungen und Selbstbestimmung von Frauen aufmerksam. Mehr dazu erfahrt ihr hier.
Apple & Google: Technik ist nicht für Frauen gemacht
Das iPhone für die Männerhand
Einige von euch kennen bestimmt das Problem mit dem Smartphone: Das Handy passt nicht mehr in die Hosentasche. Eventuell erinnert ihr euch noch an den Trend der kleinen Handys. Ich besaß damals das Nokia 6131 – ein gerade mal 9-Zentimeter-Handy. Heute liegt die Display-Diagonale vieler Smartphones bei 15,2 bis 17 Zentimeter. Damit eignen sie sich zwar gut für die durchschnittliche Männerhand (Ausnahmen sind natürlich möglich), aber sind fast so groß wie Frauenhände. Diese sind im Durchschnitt 17,8 bis 20,3 Zentimeter groß.
2018 wurde Apple stark von Frauen kritisiert, als bekannt wurde, dass das Display des iPhone XS Max auf 6,5 Zoll wächst. Schon damals wurde Criado-Perez aktiv und gab gegenüber Telegraph an: „Ich bekam wirklich RSI, weil ich ein iPhone 6 hatte, und es verschwand, sobald ich auf ein iPhone SE (mit 4,7 Zoll Display-Diagonale, Anm. der Red.) umstieg.“ RSI, also „Repetitive Strain Injury“, bezeichnet Schmerzen in Arm, Hand und Schulter aufgrund gewisser Belastungen – wie einem zu großen Smartphone.
Der Grund: Die Gender Data Gap. Der Tech-Journalist James Ball hebt hervor, dass sich in der männerdominierten Tech-Branche die Smartphone-Größe auch immer noch an Männern orientiert. Aber wenigstens können die Geräte nicht mehr wachsen, da sie bereits „die Größe einer Männerhand erreicht haben“. Das aktuelle iPhone 14 hat eine Display-Diagonale von 15,4 Zentimeter. Damit ist es das kleinste Modell der Reihe.
Das Handtaschen-Dilemma
Es wird davon ausgegangen, dass Frauen ihre Smartphones mehr in Handtaschen als am Körper tragen. Also warum Handys kleiner gestalten? Lasst mich kurz das Handtaschen-Dilemma erklären:
Tatsächlich wurden Frauen die Taschen an der Kleidung im Laufe der Zeit vom Patriarchat weggenommen: Denn ohne Taschen kann man nur schwer das Haus verlassen. Ein weiterer Grund ist der „male gaze“ (also der männliche Blick auf den Frauenkörper): Vollgestopfte Kleidungstaschen „deformieren“ den weiblichen Körper und lassen ihn nicht mehr ästhetisch aussehen (Quelle: Deutschlandfunk Kultur). Ebenso zählen kapitalistische Entscheidungen dazu: Schließlich kurbeln fehlende Taschen an der Kleidung den Handtaschenmarkt an.
Auf die Gefahr hin, dass es zu pathetisch klingt, aber: Wenn Frauen kleinere Smartphones für die Hosentasche fordern, fordern sie damit mehr Selbstbestimmung.
Google Home Mini: Kann ich bitte mit dem Mann sprechen?
Auch verschiedene Spracherkennungssoftware ist im Hinblick auf weibliche Nutzende problematisch. Ich selbst besaß noch bis vor 2 Jahren ein Google Home Mini. Allerdings hat es häufig erst nach mehrmaligem Ansprechen reagiert und/oder mich falsch verstanden. Hat jedoch ein Mann mit dem Gerät gesprochen, antwortete der smarte Speaker sofort. Und wer sich nun denkt: „Aber man kann doch das Google Home Mini so einstellen, dass es nur auf die eigene Stimme reagiert.“ – nein, selbst das hat nie bei mir funktioniert.
Und das ist kaum verwunderlich: Spracherkennungssoftware wird oft von Männern programmiert und mit männlichen Stimmaufnahmen gefüttert. 2016 hat die Linguistin Rachael Tatman dieses Problem bezüglich Spracherkennung und -transkription untersucht: „Wenn man einen zufälligen Mann und eine zufällige Frau aus meiner Stichprobe auswählt, besteht eine Chance von fast 70 Prozent, dass die Transkriptionen für den Mann genauer sind“ (Quelle: makingnoiseandhearingthings.com).
Im Alltag ist das vielleicht nicht immer dramatisch. Aber wenn frau aufgrund eines Notfalls auf die Spracherkennung beim Smartphone angewiesen ist, kann das Nicht- oder falsche Reagieren schwere Folgen haben. Ebenso verarbeitet die in der Medizin genutzte Diktiersoftware Gesagtes von weiblichen Sprecherinnen teilweise falsch, was ernsthaft problematisch werden kann. Ein anderes Beispiel ist Autofahren: Die Spracherkennung soll weniger vom Fahren ablenken. Funktioniert sie allerdings nicht richtig, wird genau das Gegenteil bewirkt.
Dank Eva endlich mehr Sicherheit im Verkehr
Apropos Autofahren: Auch da herrscht ein Problem mit Sexismus. Dabei geht es nicht darum, dass Männer vermeintlich besser Autofahren und Einparken können als Frauen. Obwohl natürlich auch das Quatsch ist. Vielmehr geht es um die Frage nach der Sicherheit.
In der Vergangenheit wurden für Crash-Tests vor allem männliche Dummies genutzt: 1,75 Meter groß, 78 Kilogramm schwer. Dummies für Kinder oder Frauen waren lange Zeit nur eine abgeschwächte Form des männlichen Dummies. Seit November 2022 gibt es nun Eva, ein weiblicher, 1,62 Meter großer und 62 Kilogramm schwerer Dummy (Quelle: Deutschlandfunk Nova). Erfinderin der Puppe ist die schwedische Direktorin für Verkehrssicherheit am Nationalen Straßen- und Transportforschungsinstitut, Astrid Linder. Im Gegensatz zu den anderen „Pseudomodellen“ ist Eva tatsächlich an den weiblichen Körper angepasst. Körperschwerpunkt und Muskelaufbau entsprechen dem Durchschnitt.
Der Unterschied beim Verletzungsrisiko zwischen Frauen und Männern hinterm Steuer ist erschreckend: „Laut der US-amerikanischen Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA haben Autofahrerinnen in heutigen Autos ein fast 60 Prozent höheres Risiko für Armverletzungen als Autofahrer. Bei den Beinverletzungen sind es sogar fast 80 Prozent. Bei den Brustverletzungen ist das Verletzungsrisiko rund 20 Prozent höher als bei Männern“ (Quelle: Deutschlandfunk Nova).
Dank Eva können künftige Crash-Tests gerade für Frauen noch sicherer gestaltet werden. Das gilt aber nur für entsprechend neue Autos. Die Behörde NHTSA gibt an, dass die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass Frauen bei einem Autounfall sterben. Der Unterschied zu Männern lag bei Baujahren bis 2009 noch bei über 18 Prozent, sank ab 2010 auf 6,3 Prozent und liegt aktuell bei knapp 3 Prozent (Quelle: NHTSA). Dabei haben unter anderem die Vorgaben für Sicherheitsgurte und Airbags großen Anteil an der Verbesserung.
Frauen waren die ersten Computer
Dass Frauen heute in der Technik immer noch zu oft übersehen werden, ist nicht nur aus gesellschaftlicher, sondern ebenso aus historischer Sicht ungerecht. Frauen haben bereits in der Vergangenheit eine wichtige Rolle in der Digitalisierung gespielt. Denn: Frauen waren die ersten Computer.
Ende des Zweiten Weltkriegs wurden weibliche „Computer“ (zu Deutsch: Rechner) gesucht, um die Flugbahnen von Geschossen zu ermitteln (Quelle: SZ-Magazin). Dafür rechneten die Mathematikerinnen einerseits per Hand, andererseits mit einem digitalen Universalrechner. Dieser konnte jede Berechnung vornehmen, musste dafür allerdings von den Frauen stets neu verkabelt werden. Obwohl die Arbeit der damaligen Computer kaum Beachtung fand, hatten sie einen großen Einfluss auf die Anfänge der Informatik. Und bis heute gibt es Frauen, die eine wichtige Position in der Tech-Welt einnehmen. Einige von ihnen stellen wir euch in unserer Bilderstrecke vor:
Die Tech-Welt wurde und wird maßgeblich von Frauen geprägt. Es wird also Zeit, dass die Daten- und Wissenslücken endlich geschlossen, Frauen gesehen und miteinbezogen werden. Ich will mich sicher fühlen beim Autofahren. Ich will, dass meine Stimme gehört wird. Und ich will mein Smartphone endlich wieder in meine Hosentasche stecken können.