Vergib mir Audio-Vater, denn ich habe gesündigt. Den Großteil meines Lebens verbrachte ich in dem Irrglauben, dass guter Kopfhörer-Sound aus möglichst viel Bass besteht. Doch dann machte ich Bekanntschaft mit einem deiner Apostel: dem DT 770 Pro. Ich war taub, doch jetzt kann ich hören. In Ewigkeit, Ohm.
Dumpf ist Trumpf!
Wir schreiben das Jahr 2012. Nach meinem Schulabschluss befinde ich mich im 4-monatigen Niemandsland zwischen Abitur und Studium – kurz gesagt: Ich habe verdammt viel Zeit. Diese verbringe ich zu großen Teilen im Multiplayer-Modus von Call of Duty – Modern Warfare, musikalisch unterlegt von einer Mischung aus David Guetta, Avicii und anderen Elektro-Artists. Ein gutes Gaming-Headset besitzt zu dieser Zeit für mich die folgenden drei Eigenschaften: Es ist laut, günstig und basslastig. Mehr brauche ich nicht – falsch – mehr will ich nicht.
Und so beschalle ich mein Trommelfell tagein tagaus mit einem dumpfen Soundgemisch aus virtuellen Granatenexplosionen und EDM, welches aus meinem 30-Euro-Headset dröhnt – und mein Gehör gewöhnt sich daran.
So versinke ich immer weiter im Morast dröge klingenden Kopfhörer, rede mir ein, dass der virtuelle Surround-Sound meines Billo-Headsets einen echten Mehrwert bietet, habe standardmäßig den Bass-Boost aktiviert und denke mir: „Klingt doch super!“
Was der Bauer nicht kennt, das hört er nicht
Kein Wunder also, dass ich bei meiner ersten Begegnung mit dem Beyerdynamic DT 770 Pro während des Studiums entsetzt darüber bin, wie wenig Bass der Referenzkopfhörer im Vergleich doch hat. Dabei besitzt das Modell im Vergleich zum beinahe analytischen DT 880 schon eine leichte Badewannen-Charakteristik. Aber wer sein halbes Leben lang nur „Audio-Fastfood“ konsumiert, vermisst bei Alternativen halt sein „Klang-Glutamat“.
Doch anstatt mich zurück in mein Schneckenhaus aus Gaming-Headsets zurückzuziehen, fange ich an, mich weiter zu dem Kopfhörer zu belesen. In diversen Online-Foren, in denen PC-Spieler nach dem optimalen Gaming-Headset suchen, wird ihnen stattdessen eine Kombination aus dem DT 770 Pro und einem Ansteckmikrofon empfohlen. Der Kopfhörer lässt mir keine Ruhe mehr. Irgendwas muss doch dran sein, wenn so viele darüber reden, oder? Nach einem Gespräch mit einem Audio-Experten ist mir klar: Es wird Zeit für eine zweite Chance.
Liebe auf den zweiten Blick
Am Amazon Primeday ist es so weit. Dank eines Warehouse-Deals bekomme ich die 80-Ohm-Variante des geschlossenen Kopfhörers für rund 90 Euro direkt nach Hause geliefert – ein echtes Schnäppchen, wie der Preisvergleich zeigt*. Zeit für einen direkten Vergleich: Mein inzwischen in die Jahre gekommenes Steelseries Siberia V2 muss sich gegen den DT 770 Pro behaupten. Ich schmeiße Spotify an, entscheide mich für Satellite von Rise Against, setze mir mein altes Headset auf und drücke auf Play. Ein mir wohlbekannter Klang empfängt mich, irgendwie fühlt es sich wie nach Hause kommen an. Ich lasse den Song noch eine Weile lang weiterspielen, um den Sound zu verinnerlichen, doch eigentlich brauche ich das gar nicht. Ich kenne ihn besser als meine Westentasche. Stop. Jetzt ist der DT 770 Pro an der Reihe.
Kopfhörer aufsetzen. Song zurück auf Anfang. Play. Ich bin sprachlos. Noch nie habe ich die einzelnen Instrumente so klar voneinander unterscheiden, exakt im Raum zuordnen und die Lyrics so gut verstehen können. Während mein Gaming-Headset all diese unterschiedlichen Komponenten zusammenschüttet und zu einer Art Musikbrei verarbeitet, liefert mir der DT 770 Pro feinste Audio-Trennkost. Zusätzlich nehme ich Töne innerhalb des Songs wahr, von denen ich vorher nicht einmal wusste, dass sie überhaupt da sind. Das kann doch nicht sein!
Ich wechsle zurück auf mein Gaming-Headset und werde von dem alten, mir bekannten Klangbild begrüßt, das sich jetzt jedoch unglaublich dumpf und diffus anhört. Habe ich das Teil auch wirklich richtig aufgesetzt? Stimmt was mit dem Kabel nicht? Nein. Das ist es nicht. Ich habe schlichtweg jahrelang eine Audio-Lüge gelebt. Dabei ging es mir in Wahrheit wie Jon Snow – ich wusste nichts.
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Selig sind die Unwissenden
Seitdem ist alles irgendwie anders. Ich freue mich darüber, dass ich jetzt einen gescheiten Kopfhörer habe, den ich als Referenz heranziehen kann – gleichzeitig trauere ich den alten Zeiten auch etwas hinterher.
Früher störte ich mich nicht daran, wenn jemand mit seinem Bluetooth-Brüllwürfel für 5 Euro den Strand beschallt oder den eingebauten Lautsprecher seinen günstigen Smart-TVs verwendet. Heute kriege ich innerlich in solchen Situationen das Kotzen. Ich habe mich zu einem kleinen Audio-Snob entwickelt – zum Leidwesen meines direkten Umfeldes. Ständig rollen meine Freunde mit den Augen, wenn ich ihnen zumindest die Anschaffung einer Soundbar nahelege – ich will doch wirklich nur ihr Bestes. Verübeln kann ich es ihnen nicht. Ich hätte damals genauso reagiert.
Macht mich das allein zu einem Audio-Experten? Davon bin ich weit entfernt. Mir solch einen Titel zu geben, wäre auch etwas vermessen. Der ist bereits redaktionsintern an meinen Kollegen Stefan Bubeck vergeben – und das zurecht! Schließlich war er es letzten Endes, der mich zum Kauf des DT 770 Pro überredet und mir dementsprechend endlich die Augen, Verzeihung, Ohren geöffnet hat. Danke dafür.
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