Fans von Open-World-Rollenspiele kennen es nur zu gut: Als Auserwählter ist es unsere Aufgabe, die Welt vor dem nahenden Untergang zu bewahren. Und wenn wir uns nicht beeilen, könnte es schon bald zu spät sein! In den meisten Fällen ist das jedoch eine dreiste Lüge – denn wann wir uns dem großen Bösen stellen, hat in den meisten Spielen keinerlei Konsequenzen. Und das ist in meinen Augen eine vertane Chance.
Ein Kommentar von Robert Kohlick
„Nur du kannst die Welt retten! Aber lass dir ruhig Zeit …“
Ich liebe Open-World-Rollenspiele – und noch mehr liebe ich es, wenn ich mich in ihren Spielwelten komplett verlieren kann. Eine dunkle Höhle, vor der ein Haufen menschlicher Knochen liegen? Das schaue ich mir doch mal näher an! Hauptquest? Nein, danke! Denn auch wenn mir während der ersten Spielstunden rund eine Million Mal aufs Brot geschmiert wird, dass ich mich als Retter der Welt beeilen muss, weil die Uhr erbarmungslos tickt, weiß ich, dass ich das getrost ignorieren kann.
Hyrule stürzt mit jeder Minute, in der Ganon sein Unwesen treibt, weiter ins Chaos? Von wegen! Alduin ist dabei, die Apokalypse in Himmelsrand einzuleiten? Laber mich nicht voll! Wirklich in Gefahr schwebt die Spielwelt erst, wenn ich mich dazu entschließe, das große Spielfinale einzuläuten, in dem alles auf dem Spiel steht.
Wenn ich dieses Konzept als Spieler erstmal durchschaut habe, ist die Spannung für mich meist hinüber. Es steht ja nichts auf dem Spiel! Ich kann mir alle Zeit der Welt lassen: ein Haus kaufen, heiraten, Kinder adoptieren und sie anschließend komplett vernachlässigen, weil ich mich dazu entschlossen habe, einen zweiten Bildungsweg einzuschlagen und fortan als geheimer Auftragsmörder durch die Weltgeschichte zu streifen – und der Endboss hat dafür vollstes Verständnis und wartet geduldig darauf, dass ich bei ihm antanze, bevor er seinen fiesen Plan in die Tat umsetzt.
Die Spielwelt darf sich nicht nur um mich drehen
Klar, die Möglichkeit, quasi jeden Stein umzudrehen, bevor ich mich dem Endboss widme, hat auch etwas für sich. So kann ich die Spielwelt erkunden, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Aber ganz ehrlich: Ich finde es spannender, wenn vor allem das, was ich nicht zeitnah tue, Konsequenzen hätte.
Wie krass wäre es beispielsweise, wenn ich große Events verpassen könnte? Unsere Armee bricht beim ersten Morgengrauen auf – und nicht, wenn ich mich nach meinem Sabbatical mehrere Ingame-Monate später endlich dazu entscheide, das Signal zu geben.
Wenn ich nicht da bin, werde ich entweder fortan als Deserteur gesucht oder ich stoße später dazu und muss schlimmstenfalls mit ansehen, wie meine Freunde und Mitstreiter von unserem Widersacher niedergestreckt werden, bevor dieser die Welt ins Chaos stürzt – und das alles nur, weil ich am Vorabend eine Flasche Met zu viel getrunken habe. Denn erst, wenn sich die Spielwelten aufhören, nur um mich zu drehen, kann ich wirklich das Gefühl haben, ein Teil von ihnen zu sein.