Genau wie bei den Rosenkriegen ist die Geschichte von Westeros eine äußerst komplexe:
It would probably surprise several generations of British schoolchildren to learn that the dynastic politics of the late 1400s could be transformed into anything coherent, let alone entertaning. (Miller)
Trotzdem haben es viele versucht, unter ihnen auch Martin. Dabei gibt es bei den Rosenkriegen keinen Mangel an faszinierenden Charakteren: der Earl of Warwick, Edward IV. oder andere, verrückte Könige. Die Geschehnisse sind ebenfalls oftmals so skurril wie interessant: geheime Hochzeiten, Tod durch Ertrinken in einem Weinfass, verschwindende Prinzen, grobe militärische Fehler.
Es gibt allerdings auch einige ganz konkrete Ähnlichkeiten zwischen den Rosenkriegen und A Song of Ice and Fire: So wie die Yorks und Lancasters im Konflikt über die Macht in England standen, befinden sich auch die Häuser Stark und Lannister in einem Kampf um die Vorherrschaft in Westeros. Die Häuser ähneln sich dabei nicht nur im Namen (York -> Stark, Lancaster -> Lannister), sondern haben weitere verbindende Eigenschaften: Die Starks kommen, wie die Yorks, aus dem Norden, während die Lannisters, genau wie die Lancasters, berühmt für ihren Reichtum sind:
They said Lord Tywin [Lannister] loved gold most of all; he even shit gold, she heard one squire jest. (Clash of Kings)
Es gibt tatsächlich keine Eins-zu-eins-Übersteinstimmung zwischen den Charakteren aus A Song of Ice and Fire und historischen Personen. Martin hat sich allerdings auch hier inspirieren lassen: Robert Baratheon und Rob Stark tragen beide Züge Edward IV. Baratheon war ein nobler, starker König, der im Alter übergewichtig und träge wurde (ähnlich wie Edward IV.), was schließlich zu seinem Tod führte. Stark war ein geschickter Stratege, der keinen Kampf verloren hat, aber eine unglückliche Liebesehe einging. Auch Edward wird nachgesagt, dass er ein guter Feldherr war, der eine unterlegene Armee zum Sieg führen konnte und sich durch eine ungeschickte Heirat ins Abseits stellte:
Their command demonstrated superior generalship – which Waurin attributed to Edward. (Goodman)
Cersei Lannister hat einige ihrer Eigenschaften von der heißblütigen Margaret of Anjou geerbt, die die Ehefrau von Henry VI. war, der König, den Edward IV mit abgesetzt hatte. Auch durch Henry VI. ist die Figur Robert Baratheons inspiriert worden:
Henry’s bouts of insanity left him frequently unable to rule, and Margaret, a leading Lancastrian, fought ferociously against those she saw as threatening her family’s hold on the crown. (Miller)
Auch Walder Frey gab es in Wirklichkeit
Sowohl in den Rosenkriegen als auch in A Song of Ice and Fire wird die politische und militärische Lage weiter dadurch verkompliziert, dass Bündnisse instabil sind und Verrat an der Tagesordnung ist. Robb Stark wird auf der Red Wedding Opfer des rachsüchtigen Walder Frey, der sich mit den Lannisters verbündet hat, da Stark nicht wie versprochen eine seiner Töchter heiratet.
Robb, listen to me. Once you have eaten of his bread and salt, you have the guest right, and the laws of hospitality protect you beneath his roof.
In the midst of slaughter, the Lord of the Crossing sat on his carved oaken throne, watching greedily. (Storm of Swords)
Auch hier hat sich Martin von historischen Ereignissen und einer historischen Figur aus den Rosenkriegen inspirieren lassen. Bei der historischen Figur aus den Rosenkriegen handelt es sich um Lord Grey. Wiederum gibt es eine Ähnlichkeit des Namens (Grey -> Frey).
Dieser verrät die Lacasters und schlägt sich auf die Seite der Yorks: Er wartet ab, wie sich eine wichtige Schlacht entwickelt. Erst als die schwere Artillerie der Rozalisten aufgrund eines Regenschauers nicht richtig feuern kann, kommt er den angreifenden Rebellen zuhilfe und verhilft Warwick auf der Seite der Yorks zu einem entscheidenden Sieg.
Wie Grey wird auch Freys wirkliche Loyalität erst im Verlauf einer Schlacht während Robert Baratheons Rebellion deutlich:
During Robert's Rebellion, Walder delayed arriving at the Battle of the Trident until the rebels had already won. For this his liege lord, Hoster Tully, called him ‚The Late Lord Frey.‘ (GoT-Wiki)
Und genau wie während dieser Rebellion stellt sich Frey jetzt wieder auf die Seite der Gewinner.
Religionen
Ein weiterer Grund, wieso A Song of Ice and Fire nur schwerlich als escapist fiction zu beschreiben ist, findet sich in der Darstellung der Religionen:
Through fantasy, I escape to worlds that conform to these intuitions about how things should be. […] Wishes can come true. Magic works. Gods even manifest their wonders in the world for all to see. The first chapters of A Game of Thrones promise an escape to just such a realm. (Zimmermann)
Wie wir aber gesehen haben, erweist sich diese Erwartung als Trugschluss. Die Götter sind in ihrer Darstellung den unseren sehr ähnlich:
It turns out, though, that the people of the Seven Kingdoms really don’t inhabit this sort of fantasy world at all. Much like us, they have no regular or direct intereractive access to their deities. (Zimmermann)
Es ist lange unklar, ob es so etwas wie Magie auf Westeros überhaupt gibt. Das Gleiche gilt auch für Götter. Während die Existenz der Magie allerdings im Verlauf der Buchreihe durch verschiedene Ereignisse bestätigt wird, ist dies mit den Göttern nicht der Fall.
Auf der nächsten Seite geht es darum, was Game of Thrones mit dem dem Christentum und historiographischer Metafiktion gemein hat.