Animal Crossing: Man liebt es, oder man versteht den Reiz daran nicht. Die Verwirrung ist für mich verständlich - was soll man denn auch den lieben langen Tag anstellen in einer kleinen Welt, die keine klaren Aufgaben gibt? Klar, irgendein Waschbär will mein Geld und der blaue Hase von nebenan möchte, dass ich ihm Fische fange. Das Spiel hat jedoch kein inhärentes Ziel. Wozu also überhaupt spielen? Gerade aktuell gibt es dafür gute Gründe.
Was macht man denn in Animal Crossing?
Im Kern lässt sich Animal Crossing beschreiben als eine Lebenssimulation, die sogar in Echtzeit verläuft. Morgens geht die Sonne auf und die Geschäfte öffnen so langsam ihre Pforten. Nachts blickt ihr dann in den Sternenhimmel, während die meisten eurer Nachbarn schon längst schlafen. Auch die Jahreszeiten und Events passen sich hierbei den tatsächlichen Monaten an.
In den meisten „Animal Crossing“-Ablegern zieht ihr in eine neue Stadt, in der ihr plötzlich als einziger Mensch zwischen sprechenden Tieren lebt. Wie im echten Leben, wird euch dabei aber kein vorgefertigtes Schicksal in die Wiege gelegt. Was ihr mit eurem Tag so anstellt, bleibt also euch überlassen - ob ihr es euch zum Ziel setzt, das Museum mit den größten Fischen zu beliefern oder ihr eure Stadt zu einem asiatischen Garten umbauen wollt. Gezwungen, irgendetwas zu tun, werdet ihr nie.
Darin liegt für mich auch eine Stärke des Spiels: Die Freiheit, von Zeit zu Zeit auch mal nichts zu tun. Einfach mal mit den Nachbarn schnacken und am Strand ein paar Muscheln sammeln – nicht etwa, weil es Belohnungen dafür gibt, sondern, weil es entspannt.
Klickt auf das Video und macht euch einen Eindruck vom neuesten Serienteil, Animal Crossing: New Horizons, das am 20. März endlich erscheinen soll:
Animal Crossing war mein Stressausgleich zum Alltag
Mein erstes Animal Crossing war Wild World für den DS. Über Umwege bekam mein zehnjähriges Ich das Spiel damals in die Finger und konnte es kaum noch aus der Hand legen. Ich stand morgens extra früh auf, um vor der Schule noch angeln zu gehen und versteckte mich abends mit meinem DS unter der Bettdecke, um noch mit meinem Lieblingsbewohner zu reden. Das war übrigens Keks, ein gefräßiger Hund ohne Pupillen, dessen Design mir heute ehrlich gesagt gruseliger erscheint als ich es in Erinnerung hatte.
Zur Verbildlichung hier ein Screenshot von Alice in Treehill, aus dem Forum AC-Booster.
Warum ich dieses Spiel so schnell ins Herz geschlossen hatte? Erst ein paar Monate bevor ich meine erste „Animal Crossing“-Stadt anfing aufzubauen, zog ich selbst von der Großstadt aufs Land. In der neuen Schule fand ich kaum Anschluss und fühlte mich oft alleine in der neuen Umgebung. Das stresste mich, und dieses niedliche Spiel bot mir die perfekte Ablenkung vom stressigen Alltag – eine alternative Welt, in der ich mir den Kopf mehr über meine zukünftige Inneneinrichtung zerbrach, als über die Sorgen, die ich im Leben hatte.
Die Tatsache, dass ich im Spiel keine vorgegebenen Ziele hatte, war genau das, was ich von einem Spiel zu der Zeit brauchte. Die bunte Welt, die Freundlichkeit der virtuellen Tierchen, die flachen Wortwitze und die beruhigende Musik, bestehend aus Akustikgitarre, Klavier und Akkordeon, zwangen mich regelrecht dazu, endlich abzuschalten. Neben der Entspannung vermittelte Animal Crossing: Wild World mir damit auch ein Gefühl des Willkommenseins, welches ich so aus dem echten Leben nicht kannte. Seitdem habe ich fast jeden Folgeteil mitgenommen und genossen.
Animal Crossing entstand aus der Sehnsucht nach Gemeinschaft
Ähnlich wie mir erging es auch dem Erfinder der „Animal Crossing“-Reihe, Katsuya Eguchi. Die Idee für das offene Spielkonzept kam nämlich aufgrund seiner eigenen Erfahrungen: Im Alter von 21 Jahren verließ er, so heißt es, seine Heimatstadt Tokio um für Nintendo arbeiten zu können. In Kyoto habe er seine Freunde und Familie vermisst und fühlte sich in Folge dessen umso isolierter von seiner neuen, ungewohnten Heimat.
Diese Erfahrung wollte er in einem Spiel verarbeiten, das dem Spieler ein Gefühl von Gemeinschaft geben sollte, welches er selbst nicht hatte. Und das ist eine weitere große Stärke der Reihe. Denn dieses Gefühl konnte Animal Crossing schon damals erstaunlich gut transportieren, und das sollte sich mit den Folgeteilen wiederholen. Der Kern jedes „Animal Crossing“-Spiels bleibt nämlich unverändert. Auch wenn mit neuen Ablegern immer mehr Gameplay-Features hinzugefügt werden, geht es letzten Endes auch immer darum, einfach mal den alltäglichen Ballast zu vergessen, indem man sich einen Alltag schafft, der frei von äußerem Druck ist; in dem man nur ganz kleine, banale Aufgaben meistern muss, an denen man kaum scheitern kann. Und für deren Erledigung die Leute um einen herum dankbar sind.
Gerade jetzt braucht es ein neues Animal Crossing
Da scheint Animal Crossing: New Horizons gerade wie gerufen zu kommen. Die Gefahr der aktuellen Coronavirus-Pandemie schlägt Vielen nämlich nicht nur aufs Gemüt, sondern isoliert Menschen zudem von ihren Liebsten. Zur Eindämmung des Virus begeben sich Viele gerade in Selbst-Quarantäne, in einigen Ländern herrscht sogar bereits eine allgemeine Ausgangssperre. Hierzulande verfallen Menschen in Hamsterkaufrausch und streiten sich um Toilettenpapier, was, wie ich finde, eine passende Verbildlichung des allgemeinen Stresspegels darstellt.
Auch wenn Videospiele nicht die Lösung aller Probleme sind, so erwarten Fans, so erwarte ich, momentan sehnlichst den Release von Animal Crossing: New Horizons, nicht zuletzt um das anhaltende Chaos in der Welt für eine kurze Zeit ausblenden zu können. Zum Entspannungspotenzial des Spiels kommt zusätzlich noch die Möglichkeit hinzu, sich mit anderen Spielern online zu treffen, was die Einsamkeit von in Quarantäne lebenden Personen vermindern könnte. Ich habe auf jeden Fall schon alle Freundescodes der Menschen gesammelt, die ich gerade gerne treffen würde, damit ich sie zumindest auf meiner Insel willkommen heißen kann.
Feststeht: vor allem in stressigen Zeiten ist mir, wie vielen anderen Spielern, ein Kurzurlaub auf einer virtuellen Insel lieber als das Zerschießen etlicher Alien-Köpfe oder das Einfühlen in eine emotionale Story rund um Tod und Verluste. Gerade die Freiheit in Spielen wie Animal Crossing, keine strikten Aufgaben zu haben oder große Probleme bewältigen zu müssen, macht hier den Reiz aus. Vielleicht wäre die Welt ja ein entspannterer Ort, wenn Jeder seine eigene „Animal Crossing“-Insel zum Nichtstun hätte und man unter dem Begriff „Hamsterkäufen“ verstehen würde, dass man dem Hamster auf seiner Insel noch einen neuen Pullover kaufen muss?