Markus Söder verspottet sie als „zahnlosen Tiger“ – und er hat Recht. Die Corona-Warn-App hat sich von einer Wunderwaffe zur Lachnummer entwickelt. Grund für die fehlende Effektivität ist vor allem der rigide Datenschutz. In Pandemie-Zeiten kann sich Deutschland diesen Luxus nicht mehr leisten.
Ende September warnte Angela Merkel: „Wenn es so weitergeht“ wie bisher, so die Kanzlerin in einer CDU-Schaltkonferenz, drohen Deutschland an Weihnachten 19.600 Corona-Neuinfektionen täglich. Viele haben das damals als Panikmache abgetan – ein Schreckgespenst, das die Bevölkerung dazu animieren sollte, sich wieder verstärkt an die berühmten AHA-Regeln zu halten und mehr Vorsicht im Umgang miteinander walten zu lassen.
Rund einen Monat später ist klar: Merkels düstere Zukunftsprognose ist längst von der Gegenwart eingeholt worden. Aktuell zählt das Robert-Koch-Institut 14.964 Neuinfektionen, Tendenz steigend. Bereits in dieser Woche könnten wir die Marke von 20.000 Neuinfektionen durchbrechen, was die einfache Frage aufwirft: Wie konnte es so weit kommen?
Corona-Warn-App versagt auf ganzer Linie
Die explodierenden Zahlen sind auf die Überlastung der Gesundheitsämter zurückzuführen, die vielerorts nicht mehr in der Lage sind, die Infektionsketten zu unterbrechen. Der Wert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern gibt diese Belastungsgrenze bei der Nachverfolgung wieder. Genau hier sollte die Corona-Warn-App helfen – und versagt bislang auf ganzer Linie. Nicht einmal 500 Menschen benutzen die App täglich, um andere über ihren Positiv-Befund zu informieren, berichtet der Bayerische Rundfunk unter Berufung auf „ThePioneer“. Dabei wurde die App bisher mehr als 20 Millionen mal heruntergeladen.
Neben dem miserablen User Interface, das oft für mehr Verwirrung denn Klarheit sorgt, liegt das enttäuschende Ergebnis vor allem am strengen Datenschutz der Corona-Warn-App. Die Anwendung sammelt zwar nützliche Daten, aber kein Gesundheitsamt kann darauf zugreifen. Im vorauseilenden Gehorsam einer kleinen, aber lauten Minderheit wurde die Corona-Warn-App künstlich beschnitten und ihrer Wirksamkeit beraubt. „Man hat dabei den Datenschutz so optimiert, dass sogar die Hardliner zufrieden sind. Vermutlich war das der Fehler“, schreibt dazu der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer.
Asiatische Länder setzen auf High Tech bei Corona-Bekämpfung
Dass es auch anders geht, zeigen asiatische Staaten wie etwa Südkorea. Die haben nicht nur besser funktionierende Corona-Warn-Apps, sie verwenden zum Kontakt-Tracing auch weitere Informationen wie GPS-Daten oder Kreditkarteninformationen. Bei knapp 52 Millionen Einwohnern hatte Südkorea lediglich rund 26.000 Corona-Fälle und 460 Tote – obwohl es geografisch nah an China liegt, dem Ursprungsland der Pandemie. Trotz Corona läuft das Leben in Südkorea größtenteils normal weiter, weil das Land bei der Corona-Bekämpfung auf High Tech setzt und nicht auf „datenschutzgerechte“ Steinzeit-Methoden wie Deutschland.
So reinigt ihr eure Gesichtsmaske:
Datenschutz ist nicht der Royal Flush der Grundrechte
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es in Artikel 1 des Grundgesetzes. Zweifellos gehört dazu auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, spätestens seit dem weitreichenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1983. Datenschutz ist aber nicht der Royal Flush, der im Grundrechts-Poker alles andere sticht. Café- und Restaurantbesitzer, die um ihre Existenz fürchten, Kulturschaffende, die keine Aufträge mehr erhalten, Kinder und Jugendliche, die um ihre Bildungschancen betrogen werden und Millionen Rentner in Alten- und Pflegeheimen, die ihre Familie nicht mehr sehen können – auch das berührt die Würde des Menschen.
In diesen Corona-Zeiten gibt es nicht die eine Lösung, die alle zufriedenstellt. Die Politik muss behutsam abwägen und die Maßnahmen ergreifen, die am wenigsten Schaden verursachen. Wenn sich ein neuer Lockdown verhindern lässt, indem man den Datenschutz ein bisschen lockert, ist das ein Preis, den wir alle zahlen sollten.
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