Für das Unternehmen HMD Global ist Nachhaltigkeit vielmehr eine Säule als ein Trend. Das sollen auch die Smartphones der Marke Nokia spiegeln, die seit vielen Jahren zu HMD Global gehört. Aber was steckt wirklich hinter dem Nachhaltigkeitskonzept?
Dieser Artikel ist Teil des GIGA-Themenspecials „Nachhaltigkeit“ vom 3.6. bis 5.6.2023. Im Übersichtsartikel lest ihr, was es damit auf sich hat und findet weitere Stücke zum Thema.
Für viele von uns ist Nokia wohl eine „Gute, alte Zeit“-Marke. Handys, die jeden Sturz überlebten, immer und überall Empfang und einen starken Akku hatten. Durch diese Widerstandsfähigkeit waren die Handys schon damals nachhaltig designt. Doch mit der Zeit ist es eher ruhig um die Marke geworden, bis sie 2016 HMD Global übernommen hat. Es gab einen Nokia-Relaunch, beliebte Klassiker erlebten ein Comeback – wie etwa in Form des Featurephones 3310 (2017). Seither kommen stetig neue Smartphones auf den Markt. Wir waren im Gespräch mit dem Europa-Manager von HMD Global, Eric Matthes, und haben ihn gefragt, welche Bedeutung Nachhaltigkeit heute für HMD und Nokia hat.
Nachhaltigkeit bei HMD Global: Prinzip oder Greenwashing?
GIGA: Nokia hat man schon früher vor allem mit Langlebigkeit in Verbindung gebracht: Das Nokia 3310 gilt bis heute als unkaputtbar. Inwiefern prägt dieses Image die Marke Nokia noch heute?
Eric Matthes: „Es prägt uns tatsächlich immer noch stark. Als wir von HMD Global den Relaunch von Nokia gemacht haben, war das Nokia 3310 ein Produkt, das wir ebenfalls gerelauncht haben. Dieser Gedanke an diese Geräte und an die Marke war immer noch sehr stark am Leben. Dadurch war das von Anfang an ein Punkt, den wir beim Design beachtet haben. Zusätzlich haben wir uns in den letzten 2 bis 3 Jahren verstärkt für Langlebigkeit eingesetzt, um uns im hart umkämpften Smartphone-Markt klar zu positionieren. In diesem Segment sind wir eine der wenigen europäischen Marken. Und um uns zu differenzieren, gibt es einige Punkte, auf die man ganz klar zielen muss.“
GIGA: Und was bedeutet Nachhaltigkeit für Nokia? Welche Aspekte sind euch besonders wichtig und in welchen möchtet ihr euch noch verbessern?
Matthes: „Nachhaltigkeit hat sich in den letzten 3 Jahren nochmal sehr dynamisch für uns entwickelt, weil wir auch überlegt haben, wie ist Nachhaltigkeit nicht nur als Produkt, sondern auch als Unternehmen in Summe zu leben? Wir sind natürlich keine saubere Branche, das kann man definitiv mal sagen. In einem Telefon stecken viele Dinge drin, die nicht sehr schön sind. Da ist vieles, was aus Minen geholt werden muss. Daher haben wir das Thema Nachhaltigkeit nochmal neu durchdacht. Langlebigkeit ist das eine, die Herstellung das andere.
Wir haben uns relativ früh dem EcoVadis-Konsortium angeschlossen. Das überprüft, wie du im Nachhaltigkeits-Umfeld arbeitest. Das hat nicht nur etwas mit dem Produkt selbst zu tun, sondern ebenso mit der Beschaffung und den Arbeitskonditionen bei uns und unseren Lieferanten. Themen wie Kinderarbeit, Diversität – alles was dahintersteckt. Seit einem guten Jahr haben wir als einziger Smartphone-Hersteller die Platin-Auszeichnung von EcoVadis. Für uns ist es wichtig, dass wir komplett durch unsere Lieferkette nachweisen können, dass wir nachhaltig sind. Denn man fällt schnell in den Greenwashing-Verdacht. Deswegen braucht es einfach unabhängige Institute und Zertifizierungen.“
GIGA: Gut, dass du es ansprichst: Denn gerade wenn Hersteller Pläne in Richtung Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz öffentlich machen, läuten bei den Verbrauchern sofort die Greenwashing-Alarmglocken. Wie geht einerseits ihr damit um und wie können andererseits Kaufende sichergehen, dass HMD wirklich etwas zum Klima- und Umweltschutz beiträgt?
Matthes: „Genau das ist die Gretchenfrage, die wir richtig einordnen wollen. Es gibt bisher noch keine einheitlichen Nachhaltigkeits-Labels. Deswegen arbeiten wir daran, dass der Konsument eine klare Guideline bekommt: Was passiert da eigentlich? Was spare ich wirklich ein? Was tue ich Gutes? Ein Beispiel ist unser neues Nokia G22: Damit bieten wir dem Kunden die Möglichkeit, das Telefon selbst zu reparieren. Aber welchen Effekt hat das wirklich auf die Nachhaltigkeit? Wir kann ich den messbar machen? – Das sind die große Herausforderungen, die bei jedem von uns anstehen. Da sehe ich nicht nur die Smartphone-Industrie, alle Industrien haben diese Herausforderung, dass ein einheitlicher Standard entstehen muss. Was wir machen können, ist, über Zertifizierungen zu arbeiten und verschiedene Partner ins Boot zu holen. Dadurch wird es einfacher, dieses Thema zu transportieren. Es wird greifbarer.“
GIGA: Also ist euer Ziel, mehr Transparenz zu gewährleisten?
Matthes: „Ja, absolut. Wir arbeiten mit vielen Institutionen daran, uns zertifizieren zu lassen. Aber es funktioniert nur im großen Ganzen, wenn die Industrie sich an einen Tisch setzt und Standards festlegt. Es gibt bereits so etwas ähnliches: Das Eco-Rating. Die bewerten Smartphones. Das sieht dann zwar schön aus auf der Internetseite. Aber wie genau das Rating vonstattengeht, weißt du eigentlich gar nicht. Da fehlt die Transparenz. Und deswegen versuchen wir diese Einheitlichkeit mit anderen Herstellern hinzubekommen.“
Wir zeigen euch das Nokia G22 in unserem Video im Detail:
Nokia G22: „Nachhaltigkeit ist nicht das stärkste Kaufkriterium“
GIGA: Du hattest ja bereits vom Nokia G22 gesprochen. Bei dem Smartphone habt ihr eine Kooperation mit dem Selbstreparatur-Service iFixit ins Leben gerufen. Wie beeinflusst diese Entscheidung das Design eurer Geräte? Können wir uns nun gewissermaßen auf „Fairphones“ von Nokia einstellen?
Matthes: „Grundsätzlich beeinflusst uns diese Entscheidung elementar: Du musst das Design des Gerätes ganz anders anfangen. Du hast andere Herausforderungen. Das beginnt bei einem IP-Rating. Wenn du das Telefon aufmachen kannst, wird es schwieriger, eine Zertifizierung für die Wasserdichtigkeit zu erhalten. Für uns ist diese Entscheidung wichtig, denn das Recht auf Reparatur seitens der EU wird kommen. Wenn man Umfragen wie Bitkom glaubt, geben immer mehr Deutsche ihr Handy in die Reparatur. Für uns ist das keine Eintagsfliege. Deswegen wollen wir derartige nachhaltige Design-Themen stetig weiterentwickeln.“
GIGA: Nachhaltigkeit und Umweltschutz prägen Konsumentscheidungen immer mehr. Bemerkt ihr das auch bei euren Kundinnen und Kunden?
Matthes: „Ja, speziell beim G22 haben wir stark gemerkt, wie die Nachfrage gestiegen ist. Aber leider ist Nachhaltigkeit immer noch kein ausschlaggebendes Kaufkriterium. Alle wollen das zwar, aber zum Beispiel ist der Preis immer noch entscheidend. Wir sind nach wie vor eine technikgetriebene Branche und da wird viel verglichen. Obwohl ich auch behaupten würde, dass der Grenznutzen erreicht ist: Der Großteil der Deutschen könnte mit einem 200-Euro-Telefon genau das machen, was sie eigentlich bräuchten.“
GIGA: HMD bietet seit Herbst 2022 das Programm Circular an. Anstatt ein Smartphone zu kaufen, kann man es leihen. Warum ist das nachhaltiger und was passiert mit den Geräten, die schon sehr alt oder nicht mehr nutzbar sind?
Matthes: „Bei Circular war der erste Gedanke: Device as a service. Also dem Kunden ein Smartphone anzubieten, das automatisch zu uns zurückkommt. Das hat sich immer weiterentwickelt. Ein wirklich zirkuläres Business-Modell haben wir nur, wenn wir von Anfang bis Ende der Eigentümer der Ware sind. So können wir sicherstellen, dass das Gerät immer in unserer Hand ist.
Wenn das Gerät zurückgegeben wird, refurbishen wir es (in Zusammenarbeit mit einem Partner, Anm. d. Red.) und geben es wieder in den Kreislauf. Falls sich die Wiederaufbereitung nicht mehr lohnt, das Handy aber nutzbar ist, geben wir es über verschiedene Partner-Organisationen an Bedürftige weiter. Da arbeiten wir zum Beispiel mit „unconnected.org“ zusammen. Menschen ohne Zugang zu Internet oder Telekommunikation erhalten diese Geräte. Auch da müssen die Organisationen sicherstellen, dass die Geräte am Schluss zu uns zurückkommen. Wenn das Telefon gar nicht mehr nutzbar ist, recyceln wir es. Dafür haben wir professionelle Partner.“
GIGA: Wird in dem Miet-Modell die Zukunft von Nokia liegen oder soll es weiterhin neben der regulären Kaufoption bestehen?
Matthes: „Also es ist auf jeden Fall ein Teil der Zukunft. Aktuell ist es so, dass viele Menschen in einem Telefon natürlich einen sehr persönlichen Gegenstand sehen. Viele haben große Angst um den Schutz ihrer Daten. Einerseits haben wir da einen Vorteil, da all unsere Server in Europa stehen und wir den Datenschutz sicherstellen können. Andererseits ist das tatsächlich eine der größten Hürden bei Abo-Modellen für Smartphones. Wiederum zeigt uns der Trend bei der Jugend: Zugang ist wichtig, nicht Besitz. Deswegen wollen wir das Modell in die richtigen Bahnen lenken. Quasi eine Alternative: Du musst nichts kaufen, dich um nichts kümmern musst. Du bist vollkommen flexibel und kannst das Handy am Ende einfach wieder zurückgeben.“
Mehr zu Nokia Circular erfahrt ihr hier:
„Made in Europe“ statt „Made in China“
GIGA: Nokia war einer der ersten Hersteller im Android-Bereich, die längerfristige Updates versprochen haben – aus unserer Sicht ein wichtiger Schritt für Nachhaltigkeit. Glaubst du, das hat auch andere Hersteller beeinflusst? Und werdet ihr hier weiter in der Branche voranschreiten?
Matthes: „Also ich hoffe doch, dass es andere auch beeinflusst hat (lacht). Aber ja, für uns ist das ein Muss. Wir waren mit einer der Ersten, die Security-Updates in 149-Euro-Telefone gehoben haben. Das ist für uns eine Grundvoraussetzung und wir sehen auch, dass das Thema immer größer wird. Allerdings ist eine Herausforderung, dass die Android-Welt sehr divers ist. Viele Hersteller, viele verschiedene Chipsets. Alles muss mit dem Android-System funktionieren, Security-Updates müssen immer angepasst werden. Dahinter steckt ein riesiger technischer Aufwand. Oftmals hat man da Chip-Hersteller, die gar nicht mehr als 2 Jahre anbieten. Zusätzlich hat jedes Android-System seine Voraussetzungen. Wir würden liebend gern mehr Updates anbieten, aber es ist das Konstrukt des Ganzen – wo du was einkaufst – auf das wir angewiesen sind.“
GIGA: Auf dem diesjährigen Mobile World Congress in Barcelona habt ihr angekündigt, dass die Herstellung eurer Geräte nun teilweise auch in Europa stattfinden soll. Dennoch produziert ihr weiterhin weltweit. Gibt es Pläne, die langen Produktionsketten zu verkürzen?
Matthes: „Unsere Smartphones haben wir bisher ausschließlich in Asien produziert – in China und Vietnam. Es hat zwei Gründe, dass wir die Produktion in den ersten Schritten zurück nach Europa holen: Einerseits ist es nachhaltiger, da die Transportwege kürzer sind. Aber in der aktuellen Weltlage ist der größere Faktor andererseits die Sicherheit. Denn wenn wir ein Produkt in Europa zusammenbauen, dann hat die Software keinerlei Berührungspunkte außerhalb Europas.
Am Anfang wird es mehr um die Montage der Einzelteile in Europa gehen. Aber wir sind auch im Aufbau, Einzelteile ebenfalls hier zu fertigen. Aktuell können wir die Werkbank in China nicht kappen und alles selbst machen. Dennoch haben wir den Prozess angestoßen. Das ist für uns das Wichtigste. Irgendwann wollen wir mal auf ein Handy schreiben ‘Made in Europe’ statt ‘Made in China’. Dann könnte auch das Circular-Modell noch besser funktionieren. Für uns ist das in der Positionierung nochmal ein großer Schritt: Wir sind nicht die, die höher, schneller, weiter machen. Wir wollen ein sehr gutes Handy bauen, das auf den Prinzipien Europa, Nachhaltigkeit, Reparierbarkeit und Sicherheit steht.“
Bei Grover könnt ihr Technik mieten. Wir haben die Expertin gefragt, warum das Konzept nachhaltiger ist: