J.K. Rowlings Transfeindlichkeit, antisemitische Inhalte in der Geschichte des Spiels und problematische Entwickler – Hogwarts Legacy hat in den vergangenen Monaten und Jahren für einige Kontroversen gesorgt. Im folgenden beleuchten wir die drei Gründe etwas genauer, die einen Teil der Gaming-Community dazu bewegen das Spiel zu boykottieren.
Grund 1: J.K. Rowling ist transfeindlich
J. K. Rowling, die Autorin der Harry-Potter-Bücher, ist in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder durch transfeindliche Äußerungen auf Twitter aufgefallen. In ihren Tweets geht es oft darum trans Frauen als Gefahren für cis Frauen darzustellen und sie aus feministischen Diskursen auszuschließen. Allgemein spricht sie trans Personen oft ihr Geschlecht ab. Hermine-Darstellerin Emma Watson, Harry-Potter-Schauspieler Daniel Radcliffe und Autoren wie Stephen King stellen sich öffentlich gegen Rowlings Aussagen.
Nun soll Hogwarts Legacy im Februar 2023 erscheinen. Ein Spiel, auf das Fans schon hinfiebern.
Erstes Gameplay könnt ihr diesem Video entnehmen:
Viele, die sich schon auf das vermeintliche Rollenspiel-Epos freuen, können J. K. Rowlings persönliche Ansichten ausblenden. Wenn sie die kontroversen Meinungen der Autorin nicht gerade selbst teilen, fällt im Diskurs darüber oft der Begriff „Death of the Author“ – oder zu Deutsch „Tod des Autors“.
Das Konzept beschreibt ein Phänomen, bei dem Intentionen und Gedanken des Autors in Hinblick auf sein Werk keine große Rolle mehr spielen. Wenn dieses nämlich einen bestimmten Status erreicht hat, wiegen Bedeutungen und Interpretationen der Fans schwerer als alles, was der Autor oder die Autorin ursprünglich darin ausdrücken wollte und was seine oder ihre persönlichen Ansichten sind.
Im Bezug auf Harry Potter und Hogwarts Legacy heißt dies: Fans verbinden so viel Positives mit der Marke, dass sie sich das von J. K. Rowlings privaten Meinungen nicht madig machen lassen wollen. Dem Werk und seiner Wirkung wird also mehr Bedeutung zugemessen als der wütenden Autorin.
Dabei gibt es aber einen Haken: J. K. Rowling, und damit ihre diskriminierenden Aussagen, werden durch den Kauf von Hogwarts Legacy finanziell unterstützt. Als Rechteinhaberin verdient die Autorin nämlich an dem Spiel, obwohl sie selbst nicht aktiv beteiligt ist. Entweder direkt durch die Verkäufe oder indirekt dadurch, dass Warner Bros. ihr im Vorfeld eine riesige Summe Geld gezahlt hat.
Aus diesem Grund gibt es auch viele Langzeitfans, die das Spiel boykottieren. Für sie ist der Kauf von Hogwarts Legacy nicht einfach damit zu rechtfertigen, dass sie Lust auf das Harry-Potter-Abenteuer haben. Mit dem Boykott wolle man ein Zeichen setzen, das wichtiger ist als reiner Spielspaß. Oft stammt diese Ansicht aus queeren Kreisen, also von direkt Betroffenen, oder von „Allies“ – also Leuten, die sich für die Gleichberechtigung von LGBTQ-Personen einsetzen.
Von Fanliebe zur Enttäuschung
Auch Phil ist Teil der queeren Community und war jahrelang ein großer Fan von Harry Potter und allem, was mit der Marke zu tun hat. Auf Instagram führte er einen erfolgreichen Fan-Account, der zu seiner Hochzeit über 20.000 Follower hatte. Geld wurde oft in Fanartikel oder Reisen in die Harry Potter Studios investiert.
Im Gespräch erklärt Phil, was ihm Harry Potter bedeutet hat:
„Die Welt von Harry Potter war für mich immer eine Zuflucht. Ich hatte immer das Gefühl, dass J. K. Rowling extrem tolerant ist. (…) Ich dachte immer die Harry-Potter-Welt, die Wizarding World, ist ein Ort, an dem man akzeptiert wird, wie man ist und wo man alles sein kann was man möchte. So kenne ich auch das Fandom.“
Mit Rowlings transfeindlichen Aussagen hatte Phil aber nicht gerechnet. Während er anfängliche, kleinere Kontroversen um die Autorin verteidigte, wurde es irgendwann immer klarer, dass sie es mit ihrer Transfeindlichkeit sehr ernst meint.
„Ich war extrem schockiert, als die Sache mit der Transfeindlichkeit ans Licht kam. Allein durch ihre eigenen Tweets. Ich persönlich habe mich extrem verraten, beziehungsweise im Stich gelassen, gefühlt.“
Um sie finanziell weniger zu unterstützen, hat Phil die Entscheidung getroffen, sich Merchandise und auch Hogwarts Legacy höchstens aus zweiter Hand zu kaufen.
Phil erklärt, dass ihm die Geschichte und die Reihe an sich immer noch viel bedeuten. Nur hinterlässt es bei ihm heute einen bitteren Nachgeschmack daran zu denken, was J. K. Rowling so von sich gibt. Als Teil der LGBTQ-Community wird Phil immerhin öffentlich von der Autorin ins schlechte Licht gerückt, zu der er einst aufgesehen hat.
Dass es viele Harry-Potter-Fans gibt, die Rowlings Transfeindlichkeit ignorieren oder nicht wahrhaben wollen, kann er aus eigenen Erfahrungen nachvollziehen. Anfangs ging es ihm selbst ja nicht anders. Trotzdem hält er es für problematisch, wenn Leute das Thema heute noch unter den Tisch kehren: „Keine Meinung zu äußern ist auch eine Aussage und hat ihre Auswirkungen.“
Grund 2: Problematische Inhalte
Einigen stoßen auch die Thematiken in Hogwarts Legacy, zurecht, übel auf. Der erste Gameplay-Trailer reißt nämlich die Handlung des Spiels an, in der die Kobolde aus den Büchern und Filmen zu den Bösewichten degradiert werden. Das Schlimme daran? Die Kobolde sind wandelnde antisemitische Stereotype.
Sie arbeiten in den Banken der magischen Welt, in denen übrigens Davidsterne platziert sind, lieben Gold und haben natürlich große Nasen. Und jetzt verschwören sie sich aus dem Untergrund heraus in Hogwarts Legacy gegen die Rasse der Zauberer. (Quelle: The Gamer)
Das hier ist übrigens ein offizielles Promo-Bild von Warner Bros:
In Hogwarts Legacy versuchen die Kobolde aus dem Untergrund die Weltherrschaft an sich zu reißen, ähnlich, wie man es aus antisemitischen Verschwörungstheorien kennt. Als Protagonist oder Protagonistin, müsst ihr ihrer Auflehnung ein Ende setzen und dafür sorgen, dass sie weiterhin diskriminiert werden.
Noch dazu kommt die Kontroverse um die Hauselfen im Harry-Potter-Universum. Der Trailer zeigt die Küche, in der die Hausskla – ähm – Hauselfen arbeiten. Auch den Spielenden wird ein eigener Hauself an die Hand gegeben. Gerechtfertigt wird diese Zusammenarbeit zwischen Zauberern und Hauselfen in den Büchern und Filmen nur damit, dass die Hauselfen es eigentlich lieben versklavt zu werden.
Grund 3: Avalanche wusste von Gamergate-Entwickler
Troy Leavitt, der ehemalige Lead-Designer von Hogwarts Legacy, vertritt auf seinem YouTube-Kanal ein paar sehr problematische Ansichten. So hat er dort die hasserfüllte Gamergate-Bewegung unterstützt und sich des Öfteren gegen Feminismus und andere progressive Bewegungen ausgesprochen.
Laut Leavitt wusste das Entwicklerstudio Avalanche von seiner Gesinnung, als er eingestellt wurde. Avalanche hatte ihm damals angeblich gesagt, dass sie seine Ansichten nicht befürworten, er aber trotzdem weiterhin neue Videos hochladen und alte auf seinem Kanal behalten darf. (Quelle: YouTube / Troy Leavitt)
Im März 2021 hat der Lead-Designer das Team freiwillig verlassen. Das Studio habe ihn jedoch nicht dazu gezwungen und hat ihn weiterhin unterstützt und sogar vorgeschlagen, dass er lediglich eine Pause einlegt. (Quelle: The Verge)
Warum sollte es auch Nichtbetroffene interessieren?
In Diskussionen über das Thema wird es schnell unschön. Die Seite, die vorhat das Spiel zu kaufen, fühlt sich bevormundet. Als ob ihr etwas von den Moralaposteln verboten oder weggenommen wird. Die Boykott-Seite hingegen fühlt sich nicht gehört und bekommt den Eindruck, dass aktive Transfeindlichkeit einfach geduldet wird. Die Debatte ist so aufgeladen an Emotionen, dass beide Seiten mehr damit beschäftigt sind ihre eigene Meinung zu verteidigen, als dass sie der anderen Seite zuhören.
Und trotzdem ist es eine Debatte, die immer und immer wieder geführt werden muss. Diskriminierung muss angesprochen werden. Auch wenn gehypte Fans politische Themen am liebsten aus ihren Spielen verbannen würden, so ist dies eben nicht immer möglich. Spiele sind politisch, genauso wie ihre Macher. Und es ist eben auch ein politischer Akt, wenn man ein Spiel kauft, das Diskriminierung indirekt finanziell belohnt.
Am Ende des Tages ist es eine Frage der Priorität. Was ist einem wichtiger: Dass man Spaß mit einem Spiel hat oder dass Diskriminierung nicht unterstützt wird? Es ist eine Gewissensfrage, die jeder mit sich selbst ausmachen muss. Aber es wäre doch schön, wenn die gehypte Mehrheit der diskriminierten Minderheit wenigstens zuhören würde.
Beim Debattieren um dieses Thema geht es nämlich nicht unbedingt darum, Fans davon zu überzeugen, das Spiel nicht zu kaufen. Es geht um eine Sensibilisierung. Es geht darum, dass man wenigstens kurz innehält und sich dessen bewusst wird, wen und was man mit dem Kauf eines Spiels unterstützt.
Einschätzung von Nathan Navrotzki
Mir persönlich ist es wichtig für meine Werte einzustehen. Klar, als Kind habe ich mir immer ein Harry-Potter-Spiel wie Hogwarts Legacy gewünscht. Aber als Erwachsener sehe ich eben, was mit meinem vermeintlichen Spielspaß einhergehen würde – wen ich damit unterstützen würde. Ich werde das Spiel nicht kaufen. Nicht nur als Ausdruck meines erhobenen Mittelfingers an Rowling, sondern auch als Zeichen der Solidarität. Und weil sowohl der Inhalt als auch die Hintergründe zum Spiel mir jegliche Lust verdorben haben.