Hass-Reviews für Horizon Forbidden West zeigen auf Metacritic, dass einige Gamer wohl noch nie eine echte Frau gesehen haben – und auch nicht sehen wollen. Denn ihnen ist die Hauptfigur Aloy einfach nicht attraktiv genug. Dass sie überhaupt eine Frau ist, stößt bei einigen bereits an die Grenzen ihres fraglichen Geschmacks. Haben diese Gamer keine anderen Probleme?
Ein Kommentar von Marina Hänsel.
Eine alte Debatte kocht mit dem Release von Horizon Forbidden West wieder hoch und damit auch Hass-Kritiken auf Metacritic. Bereits nach einem Trailer-Reveal 2021 hatten sich einige Spieler gemeldet, die Aloy als zu hässlich, zu dick oder auch zu muskulös empfinden – auf Reddit etwa debattierten Nutzer darüber, wie es nur möglich sei, dass Aloy trotz all ihrer Abenteuer im Gesicht zugenommen haben könnte. Sie mache doch Sport! Sie müsse wie ein Model aussehen!
Es stellt sich die Frage: Haben diese Spieler schon einmal eine reale Frau gesehen oder orientieren sie sich einzig an Hochglanzmagazinen mit gephotoshopten Modelbildern? Ist den Nutzern bekannt, dass Sport keineswegs jeden Körper in das westliche Ideal einer essgestörten Person verwandelt? Dass jeder Körper, nur zum Beispiel, völlig individuell Fett verteilt – und auch Muskeln bei jedem anders aussehen? Aloy ist in gewissem Maße eine realistische Frauenfigur, was unter anderem daran liegt, dass sie per Motion-Capture von der niederländischen Schauspielerin Hannah Hoekstra gespielt wird.
Und selbst wenn Aloy nicht von einer realen Schauspielerin ins Spiel übertragen worden wäre: Ist die Repräsentation von unrealistischen oder krankhaften Gesichtern und Körpern so wichtig, dass manche Spieler ohne sie auf die Barrikaden gehen? Warum müssen weibliche Charaktere denn unterernährt oder mit einer unmöglichen Taille daherkommen, um akzeptiert zu werden? Ist es nicht – ein ganz gewagter Gedanke! – vielleicht sogar ziemlich erfreulich, wenn ein Entwickler versucht, realistische Menschen darzustellen, die mehr an die Spieler selbst erinnern? Falls so mancher keine Sympathie mehr für realistisch dargestellte Frauen oder Männer empfinden kann, dann zeichnet das nur ein umso traurigeres Bild einiger Gamer-Communities.
Die perfekte Frau – oder am besten gar keine?
Es ist ein unverständliches Thema für mich: Warum reagieren Spieler mit Wut auf Frauen in Spielen? 2018 etwa wurde das Strategiespiel Total War: Rome 2 mit schlechten Kritiken überhäuft, als ein Update mehr weibliche Generäle ins Spiel brachte. Der (augenscheinliche) Grund: Eine Frau als General wäre historisch nicht korrekt. Die Entwickler aber wiesen darauf hin, dass Total War: Rome 2 keine akkurate Historiensimulation sei – und es auch nie gewesen ist.
Noch nie habe ich solcherlei Hasskommentare aufgrund zu vieler männlicher Personen in einem Spiel gesehen. Sollte aber eine Frau die Hauptfigur spielen und zu männlich aussehen, so ist das Netz wieder voll mit wütenden Aufschreien. Oder sollte, Gott bewahre, ein nicht heterosexueller Charakter in einem Spiel vorkommen – auf die Barrikaden! Brennt alles nieder! Das schienen sich zumindest einige Spieler bei The Last of Us 2 zu denken.
Es ist nun einmal so: Wir leben in einer Gesellschaft, in der Menschen unterschiedlich aussehen, in der Frauen muskulös sein können, Männer feminin sein dürfen und jeder denjenigen lieben darf, den er möchte (im Rahmen der Gesetze). Das alles gab es natürlich einfach schon immer, nur brauchte unsere westliche Gesellschaft eine Weile, um das akzeptieren zu können. Wer da nicht mithalten kann, sollte sich vielleicht lieber keinen neuen Medien zuwenden, sondern Bücher aus dem 19. Jahrhundert lesen. Und zwar jene, die auch damals nicht fortschrittlich waren.
Manchmal muss ich mich wirklich fragen, warum gerade unter Spielern Diskussionen aufkommen, die unsere Gesellschaft vor etwa fünfzig Jahren geführt hat. Spiele sind ein vergleichbar junges Medium, ein Teil der Zuschauerschaft scheint aber im vergangenen Jahrtausend zurückgeblieben zu sein.
Und selbst wenn der Anblick einer Frau Entsetzen und Angst bei jemandem auslöst, warum hält er sich nicht an andere Spiele? Anstatt Review-Bombing zu betreiben, was nicht nur User-Scores durcheinander bringt, sondern auch so gut wie keine Auswirkungen bei solch einem Thema hat – abgesehen davon, dass der Begriff 'Gamer‘ einen peinlichen Beigeschmack bekommt. Muss das sein?