Nachdem Hades ein Jahr lang exklusiv für Switch und PC verfügbar war, gibt’s das Indie-Ausnahmespiel jetzt endlich auch für PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series S|X und im Game Pass (PC/Konsole). Höchste Zeit zu erklären, warum jeder, wirklich JEDER diesem, haha, göttlichen Game eine Chance geben sollte.
Hades ist ein Dungeon-Crawler, den ihr aus isometrischer Perspektive spielt. Mit unterschiedlichen Waffen und magischen, besser: gottgegebenen, Fähigkeiten schnetzelt ihr euch durch Massen an megamiesen Monstren. Beim oberflächlichen Draufschauen könnte man meinen, es handle sich um einen Diablo-Klon – und so ganz von der Hand zu weisen ist das nicht, Perspektive und Kampfsystem ähneln den Blizzard-Klassikern durchaus. Aber es gibt auch deutliche Unterschiede.
Das Spiel ist zunächst ein so genanntes Roguelite. Segnet ihr auf dem Weg an die Oberfläche das Zeitliche, heißt das: Zurück auf Anfang, dem Blutbad in die heiligen Hallen des Hades entsteigen und schön von vorne beginnen. Immer und immer wieder.
Story: Vater, warum lässt du mich in der Hölle?
Die Story ist in der griechischen Mythologie angelegt. Ihr spielt den empathischen Helden Zagreus. Dessen Vater: Hades, der wiederum Chef im Tartarus ist. Zagreus‘ Ziel: Der Sagenhölle und der Einflusssphäre seines zumeist äußerst schlecht gelaunten Vaters ein für alle Mal zu entkommen, um die schwefelarme Luft der Oberfläche zu atmen. Denn Hades hat etwas dagegen und will den Sohn unter seiner Fuchtel lassen. Im Tartarus und unterwegs auf der Flucht vorm Muffelvater trifft „Zag“ dann auf zahlreiche Gestalten der griechischen Sagen- und Götterwelt. Zu denen baut er eine Verbindung auf, von ihnen erhält er besondere Kräfte („Boons“), die seine Fähigkeiten verbessern. Zumindest für diesen Ausbruchsversuch.
Im Laufe der Zeit entspinnen sich in der Interaktion mit den mythologischen Wegbegleitern Geschichten – über das ja zumeist schwierige Verhältnis von Kindern zu ihren Eltern, Erwartungen und Enttäuschungen, Verrat und Geheimnisse, Sehnsucht und Liebe. Die Geschichten werden ausschließlich in Dialogen erzählt – die sind freilich ausgezeichnet geschrieben und auf Englisch vollvertont, deutsche Untertitel sind auf Wunsch ebenfalls verfügbar. Zu jedem NPC baut Zagreus ein eigenes Verhältnis auf und jeder Charakter hat sein eigenes Päckchen zu tragen, das sich erst nach und nach offenbart.
Wer jetzt die Gravitas eines Hollywood-Melodrams befürchtet, sei beruhigt: Das Spiel nimmt sich überall selbst auf die Schippe, und das nicht zu knapp. Ob ihr euch Lebenspunkte in Form von Burritos zurückholt, das impertinente Trainings-Gerippe Skelly den Protagonisten mit Wonne verschaukelt, die griechischen Götter sich kontinuierlich mit kleinen Seitenhieben gegenseitig dissen oder ihr tiefgehende, wenngleich etwas einseitige Gespräche mit Sysiphus‘ Kugelkumpel „Bouldy“ führt – wer auf mitunter derben Humor steht, wird bei Hades viel Freude empfinden.
Gameplay: Positiver Dash-Flow
Der Kampf steht natürlich eindeutig im Vordergrund. Die sechs Waffen – neben einem Schwert und einem Wurfspeer gibt es noch einen Schild, kraftverstärkte Fäuste, einen Bogen und sogar eine antike MG-Variante (!) mit Granatwerfer (!!), die sich per Skill in eine Bazooka (!!!) umrüstet – spielen sich komplett unterschiedlich. Erwähnte ich schon, dass sich das Spiel nicht immer ganz ernst nimmt?
Standardmäßig hat Zagreus zwei waffenspezifische Angriffe, einen davon unabhängigen und den „Dash“. Damit eilt Zag per Tastendruck nach vorne und rettet sich aus brenzligen Situationen. Der Dash ist zentrales Element in Zagreus‘ Bewegungsapparat – ohne ihn geht's nicht. Man verinnerlicht ihn schnell und er verleiht der Kämpfen Dynamik und taktische Tiefe.
Jede Attacke und die später hinzukommenden Spezialfähigkeiten können mit der Hilfe der Götter verbessert werden, auf die ihr alle naselang trefft. Da erhält eine Attacke zusätzlichen Blitzschaden (Zeus), da macht der Spezialangriff Hangover-Schaden (danke, Dionysos!), der Dash wirft gegnerische Angriffe zurück (Athenas Divine Dash, eine der wichtigsten Fähigkeiten) und der waffenunabhängige Angriff hetzt Gegnern eine rotierende Kreissäge auf den Hals (Ares).
Das alles spielt sich sehr variabel, sehr präzise, sehr dynamisch. Obwohl es in Gefechten auch mal unübersichtlich werden kann, wenn sich viele Gegner auf dem Bildschirm tummeln und von Zagreus effektvoll dezimiert werden, gerät man im Nu in einen Flow-State – und merkt gar nicht, dass man schon wieder zwei Stunden gespielt hat.
Wer experimentiert, profitiert
Pro Durchgang könnt ihr mit rund 40 Minuten Spielzeit rechnen. Die Wahl der Waffe gilt für den gesamten Durchlauf – entweder wählt ihr also das favorisierte Mordinstrument oder ihr entscheidet euch für eine bestimmte zufällige Waffe, die während dieses Runs mehr Edelsteine und Dunkelheit (zwei der permanenten Ressourcen im Spiel) garantiert.
Wer besondere Aufträge erfüllt, die Zagreus in einer Art Quest-Buch in seinen Privatgemächern ausliegen hat (etwa alle Fähigkeiten, die eine Gottheit verleihen kann, einmal ausprobiert hat), bekommt zusätzliche Ressourcen. Mit diesen und ähnlichen Karotten, die das Spiel uns ständig vor die Nase hängt, belohnt Hades Spielerinnen und Spieler, die unterschiedliche Kampf- und Spielstile ausprobieren. Regelmäßig entdeckt ihr so neue, mächtige Angriffe.
Das mag kompliziert klingen, aber als Einsteiger wird man nicht überfordert. Zwar gibt es zahlreiche ineinander verwobene Systeme, diese offenbaren sich dem Spielenden jedoch nach und nach von selbst. Es gibt immer wieder Klick-Momente, wenn man wieder einen Zusammenhang verstanden hat. Kaufen und quatschen, optimieren, fighten, ausprobieren, sterben, neu anfangen – dieser Loop motiviert über viele Stunden. Klasse!
Trivia:
- Hades enthält über 21.000 Dialogzeilen mit mehr als 305.000 Wörtern.
- Die Entstehungsgeschichte von Hades ist in einer sehenswerten sechsteiligen Dokumentation auf dem YouTube-Kanal von noclip festgehalten.
- Das Angel-Minispiel, die Möglichkeit, den Tartarus mit Einrichtungsgegenständen aufzuhübschen und die Tatsache, dass mancher NPC auch mal Blumen beim Sich-Freuen versprüht, sind ziemlich deutliche Animal-Crossing-Referenzen.
Ein bisschen Bewegtbild zu Hades – hier der Launch-Trailer:
Spaß am Ableben
Einfach ist das Spiel nicht, Hades fordert dem Spielenden viel ab, insbesondere am Anfang, wenn ihr die Bewegungsarten und Angriffe noch nicht verinnerlicht habt. Natürlich stirbt man am Anfang früher und öfter, vor allem an den anfangs fiesen Minibossen. Es dauert eine ganze Weile (bei mir 41 Durchgänge), bis man es zum ersten Mal an die Oberfläche schafft, aber der Tod ist eben kein Frustrationsmoment. Im Gegenteil: Zu erfahren, wie die Handlung voranschreitet, die gewonnenen Edelsteine, Dunkelheit und andere Ressourcen einzusetzen, um es in Zukunft einfacher zu haben, andere Waffen und Angriffsarten auszuprobieren, lässt mich dem nächsten Ableben fast schon entgegensehnen. Wer will, kann auch einen „Gottmodus“ hinzuschalten, der das Spiel nach jedem Tod etwas mehr vereinfacht.
Übrigens hat Hades auch ein sehr umfassendes und befriedigendes Endgame. Mithilfe des Hitze-Systems lässt sich das Spielerlebnis auf verschiedenen Ebenen schwerer machen, dafür winken besondere Belohnungen. Sprich: Sowohl auf Seiten der Spielsysteme als auch der Handlung gibt es gute Gründe, immer wieder einen neuen Run zu starten.
Immer gleich, immer anders
Okay, nochmal zum Elefanten im Raum: Hades ist ein Roguelite. Das heißt, das Spiel ist immer dasselbe, oder? Nun, jein. Zwar rennt ihr stets durch die gleichen Umgebungen, kennt nach ein paar Durchläufen alle Gegnertypen und die Bossgegner sowieso. Dank einiger gewiefter Design-Entscheidungen wird Hades aber nicht langweilig.
Zum einen ändert sich der Weg mit jedem Durchlauf. So durchquert ihr die Räume der vier unterschiedlichen Umgebungen nie auf dieselbe Weise. Sowohl der Faktor Zufall als auch die eigenen Entscheidungen, die euch Hades kontinuierlich abverlangt, lassen jeden Run anders werden – dank der unterschiedlichen Waffen und Kampfstile, vielseitigen Boons und anderen Fähigkeiten, Zufallsereignissen und ständig neue Belohnungen. Die können auch nach Dutzenden Spielstunden neue Facetten des Spiels aufzeigen. Aus Spoilergründen seien hier exemplarisch nur die Stichworte „Privatgemächer“, „Hitze“ und „überraschende Konsequenz aus einem Diebstahl“ genannt.
Zum anderen startet ihr nicht bei null, es gibt Vorteile, die über den Spieltod hinweg bestehen bleiben – deshalb handelt es sich übrigens auch um ein Roguelite statt Roguelike: Neue Details der Story ergeben sich nach und nach, das Verhältnis zu den NPCs verbessert sich mit jedem Gespräch und jeder Flasche Ambrosia, die ihr euch erspielen und anschließend verschenken könnt.
Zagreus verbessert seine Fähigkeiten, erhält mehr Lebenspunkte, neue Waffen und Waffenspezialisierungen, als Spielerin oder Spieler kann und muss man sich ständig überlegen, in welche Richtung man sich weiterentwickeln möchte. Dank des Roguelite-Konzepts verskillt man sich nicht, oder zumindest nicht permanent – in jedem Durchgang kann man sich ja wieder neu spezialisieren.
Liebe zum Detail
Ein großer Pluspunkt von Hades ist die Präsentation: Ob Held Zagreus, die gezeichneten Götter und Gefallenen in den Dialogen, die Waffen und Effekte, Dungeons, NPCs oder Gegner und Endbosse – einfach alles im Spiel ist komplett von Hand gezeichnet und animiert. Das ist eine Leistung, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann, selbst chronische Indiemuffel müssen da anerkennend nicken.
Auch die Vertonung ist erstaunlich. Von den satten Sounds im Kampf bis hin zum imposanten Soundtrack, der das mitunter hektische Spielgeschehen in jeder Sekunde adäquat-treibend untermalt – nicht nur Freunde des Rock-Spektrums zwischen Progressive und Metal dürften hier ihre helle Freude empfinden. Soll heißen: In diesem Spiel steckt wahnsinnig viel Liebe.
Mein Fazit zu Hades
Gibt es Haken? Nun, der Umfang von Hades ist nicht gewaltig. Ich bin nach 70 Stunden an einem Punkt im Spiel, da ich mir einen, meinetwegen kostenpflichtigen, DLC mit einer neuen Waffe und ein bis zwei neuen Umgebungen wünschen würde. Eine weitere nervige Kleinigkeit ist dann noch, dass Cross Progression nur zwischen Switch und PC (Steam/Epic) oder Xbox (Microsoft-Store-Version auf PC, Xbox und im Game Pass), unterstützt werden. Entwickler Supergiant sagt, dass technische Gründe einem wirklich plattformübergreifenden Spielstandspeichern entgegenstehen würden. Wer die Branche kennt weiß, dass es wohl eher politische Gründe sind.
Hades in den Shops
Für Switch: Amazon, Saturn, MediaMarkt, eShop
Für PS4/PS5: Amazon, Saturn, MediaMarkt, PS Store
Für Xbox: Amazon, Saturn, MediaMarkt, Microsoft Store (incl. PC-Version)
Für PC: Steam, Epic, Microsoft Store (incl. Xbox-Version)
Trotz dieser winzigen Kritikpunkte bleibt mein Fazit: Hades ist großartig. Ein Meisterwerk, voller Details und Gamepad-Handkrampf-Action. Hades‘ Gameplay besitzt Flow-Faktor, fördert und fordert Entscheidungen, die spannende Story und ein herrlicher Humor machen den etwas geringen Umfang mehr als wett. Ja, ihr solltet Hades spielen – selbst wenn ihr sonst keine oder kaum Indiegames spielt und einen großen Bogen um Roguelites/Roguelikes macht.