Made in China gilt seit Jahren als Siegel, bei dem Kunden lieber nochmal genauer hinsehen – vor allem wir Deutschen. Schließlich kommen Wertarbeit und Innovation aus der Heimat, nicht umsonst ist „Made in Germany“ ein Qualitätsmerkmal. Blöd nur, wenn auf einmal chinesische Hersteller ausgerechnet im Herzen der deutschen Industrie wildern – und ihre Sache gar nicht mal so schlecht machen. Die Realität hat uns beim Automobil längst eingeholt.
Ein Kommentar von Felix Gräber
Was an Waren aus China den Weg zu uns findet, betrachten noch heute viele Menschen als minderwertig, schnell und unsauber zusammengeschustert, billig produzierte Massenware – made in China halt. Dem Deutschen, der Wert auf seinen Jahrzehnte alten Ruf von Gründlichkeit und Innovationsgeist legt, kann da schon mal die sprichwörtliche Hutschnur platzen, wenn mal wieder Billigkram jeder Couleur auseinander fällt, kaum das man die Produkte präzise dafür nutzt, wofür sie gedacht sind.
Von BYD bis Smart: E-Autos aus China erobern Deutschland
Ein Vorurteil, das leider oft den Blick auf die Realität verstellt – denn da hat sich eine Menge getan, insbesondere im Automobilbereich. Einige chinesische Marken sind bereits in Deutschland zu haben, andere bereiten ihren Start vor – und wieder andere sind längst da, nur unter Namen, die wir schon kennen:
- Smart: Inzwischen fest in chinesischer Hand als Joint Venture zwischen Mercedes und dem China-Konzern Geely. Nur das Design stammt noch aus Deutschland.
- Volvo: Beim schwedischen Autobauer gab es lange sogar Pläne, mit Geely zu verschmelzen. Die Fusion wurde inzwischen abgesagt, doch die Kooperation geht weiter.
- Polestar: Unter anderem beim Polarstern am E-Auto-Himmel, Polestar, hinter dem Volvo und Geely weiter gemeinsam stehen.
- MG Roewe: Hierzulande nur als MG bekannt. Die ehemals britische Marke gehört seit Jahren dem Autobauer SAIC aus Shanghai.
- BYD: Der alteingesessene Batterie- und Akku-Profi ist für die E-Auto-Zukunft mit der richtigen Expertise ausgestattet und bereits in Deutschland am Start.
- Nio: Vergleichsweise jung will das E-Auto-Start-up mit automatisch austauschbaren Akkus überzeugen – auch deutsche Kunden.
- GWM: Great Wall Motor gilt als einer der größeren Autobauer Chinas. In Deutschland bringt der Konzern inzwischen gleich mehrere Modelle und Marken an den Start.
Wer bei diesen Beispielen und anderen Marken das Vorurteil vom China-Schrott nicht loslassen kann, irrt gewaltig. Was an E-Autos aus China kommt, muss längst nicht billig und von unterlegener Qualität sein. Einerseits ein Vorteil, man kriegt auch was fürs Geld. Andererseits müssen Kunden eben durchaus Geld in die Hand nehmen, auch für ein chinesisches Auto. Die Ansicht, was aus China kommt, muss auch billig sein, hat sich langsam, aber sicher überlebt.
Keine Zurückhaltung: Elektroautos aus China brauchen sich nicht verstecken
Das zeigen die jüngsten Neuzugänge am deutschen Markt, die mit ihren Preisen einen selbstbewussten Auftritt hinlegen. Nio etwa bringt sein Portfolio an E-Autos mit Wechselakku zu Preisen nach Deutschland, für die Kunden auch bei Mercedes oder BMW fündig werden können. Das Elektro-SUV EL7 gibt es etwa erst ab über 90.000 Euro, wenn Kunden auch den Akku kaufen wollen. Bei der Nio-typischen Batterie-Mietoption fällt der Kaufpreis auf knapp 74.000 Euro, dann kommt aber die Monatsmiete noch oben drauf. Das alles in der Basisversion, wohlgemerkt.
Auch BYD bietet inzwischen drei Modelle in Deutschland an, und startet deutlich weiter unten. Für ab 38.000 Euro ist aber auch der günstigste Stromer des chinesischen Mischkonzerns nicht gerade ein typisches China-Schnäppchen. Die Beispiele zeigen: Die chinesischen Marken spüren keine Notwendigkeit, sich Europa und Deutschland mit Dumpingpreisen zu erschließen.
Das Selbstbewusstsein ist da, ein belastbares Preis-Leistungs-Verhältnis bieten zu können. Unterstützt wird diese Ansicht bei Crashtests. Kürzlich erreichten Ora Funky Cat und das SUV Wey Coffee 01, beide von Great Wall Motor, Top-Bewertungen beim NCAP. Qualitativ müssen sich die China-Hersteller demnach nicht verstecken.
Der ADAC hat die chinesischen Marken ebenfalls auf dem Zettel: Der Automobilclub weist darauf hin, dass 2022 zum ersten Mal chinesische Hersteller mit ihren Modellen in ausreichender Menge auf deutschen Straßen vertreten sind, um in der Zulassungsstatistik aufgeführt zu werden. Es dürfte bei diesem einen Auftritt nicht bleiben, ganz im Gegenteil. Für den ADAC könnte es „vielleicht der Start einer Kulturrevolution“ sein.
Dem zufolge ist MG bisher die chinesische Nummer 1 in Deutschland mit einem Anteil von 0,3 Prozent der Neuzulassungen bis einschließlich Juni 2022. Klingt verschwindend gering, aber damit habe MG bereits bekannte Namen wie Alfa Romeo, Subaru und sogar Honda hinter sich gelassen.
Die hohen Preise und teuren Modelle müssen aber nicht bedeuten, dass es keine Schnäppchen bei den chinesischen Herstellern gibt. Nur bleiben die bisher oft dem Heimatmarkt vorbehalten. Sogenannte Key-Cars wie etwa der Wuling Hongguang Mini EV kommen in aller Regel nur in China und in einigen asiatischen Ländern auf den Markt. Gerade bei kleineren E-Autos soll aber der Preisvorteil chinesischer Marken besonders hoch sein: Bis zu 10.000 Euro weniger als vergleichbare Modelle aus dem Westen kosten die China-Stromer.
Warum deutsche Kunden bei China-Stromer auf die Bremse treten – noch
Sind deshalb deutsche Marken und Hersteller wie BMW, VW oder Mercedes in Gefahr, von den Chinesen verdrängt zu werden? Einer aktuellen Umfrage zufolge können sich erst 16 Prozent der Deutschen vorstellen, beim nächsten Auto eine chinesische Marke zu wählen. Im Premium-Segment ist das Interesse mit einem Viertel hingegen deutlich größer.
Audi, BMW und Mercedes dürften daher die Konkurrenz aus China in der Heimat früher zu spüren bekommen als VW und seine Volumenmarken. Was den deutschen Herstellern noch Zeit gibt, ist eben die Skepsis der Deutschen. Laut der Umfrage ist deutschen Verbrauchern ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis besonders wichtig beim Autokauf. Und eben das kennt man von alteingesessenen Marken, während Autobauer wie Geely, BYD und Co. sich diesen Ruf erst noch erwerben müssen.
Die Nachwehen der Made-in-Germany-Mentalität verstellen manch einem den Blick darauf, was an konkurrenzfähigen Produkten aus dem Osten, vor allem aus China, längst da ist. In der Smartphone-Branche sind ehemals mit Huawei und aktuell in erster Linie mit Xiaomi längst Hersteller am deutschen Markt vertreten, die sich nicht hinter der Konkurrenz zu verstecken brauchen. Die Tech-Welt ist sich im Klaren, dass chinesische Marken aufgeholt haben. Doch Deutschlands Vorzeigeindustrie und ihre Kunden müssen diese Erfahrung wohl erst noch machen.