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RISC-V: Wie 5 Buchstaben die Tech-Branche auf den Kopf stellen

Ein RISC-V-Prozessor auf der HongKong InnoTech Expo im Dezember 2022. (© Imago / NurPhoto)
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Google hat angekündigt, dass Android in Zukunft RISC‑V unterstützen wird – als gleichberechtigte Plattform neben ARM. Das klingt trocken-technisch, könnte aber eine der wichtigsten Tech-News dieser Dekade sein.

RISC‑V: Ein dritter Player neben ARM und x86

RISC‑V ist eine Prozessor-Architektur. Man könnte auch sagen: eine Sprache, die diese Art von Prozessoren spricht. Wenn ein Entwickler ein Programm schreibt, muss dieses kompiliert werden, damit der Hauptprozessor des PCs oder Smartphones es ausführen kann. Kompilieren heißt: das jeweilige Programm wird in sogenannten Maschinencode übersetzt, also mathematische Anweisungen, die der Prozessor versteht. Die Architektur regelt, welche Instruktionen dieser Maschinencode ausführen kann.

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Die heutzutage etablierten Prozessor-Architekturen sind x86 und ARM. Mit RISC‑V gibt es aber einen neuen Herausforderer.

x86 kennt man überwiegend von den Intel- und AMD-Prozessoren, die in PCs laufen, und auch in den letzten beiden Konsolengenerationen von Sony und Microsoft. ARM-Prozessoren haben fast alle Smartphones und ein Großteil der Tablets da draußen. Im Raspberry Pi, in der Nintendo Switch, in vielen Autos und Fernsehern stecken ARM-Kerne, aber auch in den für die Industrie wichtigen so genannten Embedded Systems. Seit 2020 ist ARM auch in Apples „großen“ Rechnern verbaut, also Macs, MacBooks, iMacs und dergleichen. Apple ist gerade in den letzten Zügen, seine Produktlinien von x86 auf ARM-CPUs umzustellen. Warum dieser große Schritt? Mit den selbst entworfenen M1- und M2-Chips auf ARM-Basis hat Apple mehr Kontrolle über die Prozessor-Designs, kann so auch mehr Leistung und eine bessere Energieeffizienz, also Akkulaufzeit, aus den Geräten herausholen.

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Mehr Hintergründe zu ARM in unserem Video:

Was ist ARM und warum kommt man um deren Chips nicht mehr herum? – TECHfacts Abonniere uns
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Enorme Marktmacht: ARM

ARM ist aber nicht nur eine Prozessor-Architektur, sondern auch eine britische Firma – ARM Limited, die die Architektur entwickelt hat. Chiphersteller wie Apple, Qualcomm, Mediatek, Hisilicon und Nvidia müssen die Architektur von der Firma ARM lizenzieren, um kompatible Prozessoren zu bauen.

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Eine Möglichkeit dafür ist, dass Hersteller die von der Firma ARM selbst entworfenen Designs für Prozessorkerne übernehmen – diese CPU-Kerne sind meist erkennbar daran, dass sie „Cortex“ enthalten. Manche Firmen, etwa Apple, entwerfen aber auch auf Basis der ARM-Architektur eigene Designs. Lizenzen für angepasste ARM-Prozessoren sind erheblich teurer als die für von ARM direkt übernommene Designs. Genau in diesem Spannungsfeld ging es zuletzt hoch her.

Zum einen wollte Nvidia ARM vom japanischen Technologieunternehmen Softbank für 40 Milliarden US-Dollar kaufen. Die Übernahme ist wegen kartellrechtlicher Bedenken geplatzt, anhand der Summe sieht man aber gut, welche Stellung ARM in der Halbleiterbranche genießt.

Außerdem gibt es Zoff zwischen Qualcomm und ARM. Qualcomm ist langjähriger Lizenzkunde von ARM, der weltweit wichtigste Hersteller von Smartphone-Chips und Großkunde von ARM. Eine andere Firma namens Nuvia, die von ehemaligen Chipingenieuren von Apple gegründet wurde, war ebenfalls Lizenznehmer von ARM. Weil sie hochspezialisierte Chips, etwa für Server, bauen wollten, hatten sie eine besondere Lizenz, die ihnen auch erlaubte, angepasste ARM-basierte Designs zu entwerfen.

Qualcomm hat Anfang 2021 Nuvia für 1,4 Milliarden Dollar übernommen. Das Kalkül hinter dem Kauf: Mit den Nuvia-Designs wollte Qualcomm Chips für Laptops bauen, die leistungstechnisch Apples MacBooks Konkurrenz machen sollten. ARM will aber nicht, dass Qualcomm die Prozessor-Designs von Nuvia verwendet, denn Nuvia hatte ja eine eigene ARM-Lizenz, die sich von der unterschied, die Qualcomm hat. Aus diesem Grund sagt ARM: Nuvias Lizenz ist Anfang 2022 ausgelaufen, Qualcomm solle bitte alle Nuvia-Designs „vergessen“ und mit eigenen Designs von vorne beginnen. Qualcomm ist darüber nicht amüsiert und verklagt ARM (nachzulesen bei ElectronicDesign.com). Schließlich hat auch Qualcomm eine „teurere“ Lizenz von ARM, um eigene Prozessor-Designs zu entwerfen.

Es wird deutlich: ARM möchte noch mehr Kontrolle über das Ökosystem ausüben. Die Kollegen von Ars Technica formulieren es noch drastischer: „ARM ist eine instabile, volatile Firma geworden und es scheint so, als ob jedwede gangbare Alternative jetzt gerade gute Chancen auf Erfolg hätte.“

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RISC‑V: Eine Alternative zu ARM?

An der Stelle tritt Google auf. Google sagt: Wir öffnen Android für eine weitere Prozessor-Art neben ARM und der (im Android-Bereich seit vielen Jahren vernachlässigten) x86-Architektur. RISC‑V soll eine „Tier 1“-Plattform für Android werden, also in der Entwicklung gleich behandelt werden wie ARM. Diese Nachricht schlug ein wie eine Bombe.

RISC steht für „Reduced Instruction Set Computer“. Die Architektur gibt es schon seit über 40 Jahren, ist technisch sogar der Urvater vieler Architekturen, auch ARM. RISC‑V ist, wie der Name schon andeutet, ebenfalls eine auf RISC basierende Plattform. In Hackerkreisen und in der Halbleiterbranche ist sie gerade ein großes Thema, denn RISC‑V ist Open Source und damit lizenzfrei verwendbar.

Es gibt bereits Einplatinenrechner mit RISC‑V, vergleichbar zum Raspberry Pi. Auch Apple will offenbar an einigen Stellen auf RISC‑V setzen, wie anhand von Stellenausschreibungen deutlich wurde. Schließlich gibt es bereits erste Anläufe, die Notebooks (mehr auf riscv.org) und Smartphones (mehr auf tuxphones.com) auf RISC‑V-Basis erschaffen wollen.

Wenn Android also auf RISC laufen sollte, hätten Firmen wie Qualcomm eine Möglichkeit, Prozessor-Designs zu entwerfen, die eben nicht vom Gutdünken ARMs abhängig sind. Für die Chiphersteller würde das Sinn ergeben, denn so könnten sie die immensen Lizenzgebühren an ARM einsparen.

Auch für Huawei könnte RISC‑V wichtig werden. Zwar darf Huaweis Chiptochter Hisilicon trotz des US-Handelsbanns mit ARM für Kirin-Chips zusammenarbeiten, weil ARM eine britische Firma ist. Aber das ist auf vielen Ebenen trotzdem eine unsichere Zusammenarbeit. Auf Open-Source-Hardware zu setzen, so wie es Huawei für sein HarmonyOS ja auch schon im Software-Bereich tut, würde Stabilität bedeuten. Auch andere chinesische Firmen setzen auf RISC‑V. Der Handelsgigant Alibaba etwa gilt als einer der größten Unterstützer der Architektur, auch ZTE will die Möglichkeiten im Bereich RISC-V erforschen.

Also, ist RISC‑V jetzt die Rettung? Unklar. Es wird noch dauern, bis Android für RISC‑V fertig ist, Google selbst sagt „mehrere Jahre“. Seit September akzeptiert Google RISC‑V-Patches im AOSP, also dem Open Source Code von Android. Bis jetzt gibt es nur eine Kommandozeilenversion von Android für RISC‑V, an einer grafischen Benutzeroberfläche baut Google gerade erst. Darüber hinaus gibt es noch eine lange To-Do-Liste, bis Android für RISC‑V marktreif ist. Namhafte Chip-Hersteller haben aber bereits großes Interesse an RISC‑V bekundet: Samsung möchte prüfen, welche Möglichkeiten es in diesem Bereich gibt, Qualcomm hat RISC‑V schon in Verbindung mit den eigenen Snapdragon-SoCs genannt. Das lässt sich durchaus als Kampfansage an ARMs Vormachtstellung werten.

RISC‑V steht noch am Anfang

Ein Problem in der Vergangenheit war ausgerechnet die Open-Source-Natur von RISC‑V. Lange Zeit gab es ein wild wucherndes Ökosystem von Erweiterungen und Anpassungen für die Prozessor-Architektur und es musste erst einmal ein Mindest-Set an Instruktionen definiert werden, die zulässig sind, bevor man Software für RISC‑V schreiben kann. Dieser Schritt ist inzwischen vollzogen, aber erst jetzt kann RISC-V richtig kommerzialisiert werden. Denn die Designphase neuer Prozessoren erstreckt sich über Jahre.

Mit zu bedenken ist, dass ein Architekturwechsel im großen Stil auch „Kollateralschäden“ mit sich bringt. Bis ein Großteil der für Nutzerinnen und Nutzer relevanten Apps an die neue Architektur angepasst sind, wird zusätzlich Zeit vergehen. In der Zwischenzeit werden Apps, die für ARM-kompatible Plattformen geschrieben und kompiliert sind, nicht so performant unter RISC‑V laufen, weil sie emuliert werden müssen. Einen performanten Emulator zu bauen, bedeutet wiederum zusätzlichen Aufwand.

Apple hat ein solches Unterfangen zweimal meisterhaft absolviert – zuletzt bei der Umstellung auf ARM mit Rosetta 2, aber Apple ist ein besonderes Unternehmen, das Hardware- und Software-Design unter einem Dach vereinigt. Microsoft versucht hingegen seit einer Dekade, Windows auch für ARM fit zu machen und hat damit kaum Erfolge feiern können. Gerade Apple könnte auch Respekt vor diesem nächsten Schritt haben – schließlich ist gerade erst die aufwändige Umstellung von x86 auf ARM erfolgt und die Sunk-Cost-Fallacy ist in solchen Fällen nicht zu unterschätzen.

Die Leistung von RISC‑V-Hardware ist aktuell bei Weitem nicht so hoch wie die von ARM-CPUs. Dafür braucht es Skalierbarkeit und Investments der großen Chiphersteller. Leistungsfähige RISC‑V-Prozessoren auf Masse zu bauen, ist durchaus möglich, setzt aber ein enormes finanzielles Engagement voraus. Die Frage ist, ob sich ein großes Unternehmen traut, diesen sicherlich milliardenteuren Schritt ins Unbekannte zu gehen. Andererseits braucht es Unternehmen, die sich das trauen, damit RISC‑V ein ernsthafter Konkurrent zu ARM wird. Es steht und fällt mit kompatibler Software – Android für RISC‑V ist hier sehr wichtig. Nur: Beweist Google mit RISC‑V-Support in Android einen langen Atem? Oder landet das Projekt, wie so viele andere Google-Projekte, auf dem Friedhof der gestorbenen Google-Projekte? Chiphersteller brauchen Sicherheit, dass sich ihre Milliardeninvestitionen lohnen.

Und dann haben wir noch das Problem, dass die Chips in Smartphones, Laptops usw. ja nicht nur Prozessorkerne enthalten, sondern auch GPUs, Modems für 5G, WLAN, Bluetooth, Kamera-Signalprozessoren und weitere Komponenten. Diese Teile der SoCs (Systems on a Chip) stammen oft von ARM oder Drittherstellern wie Broadcom. Dass ARM seine GPUs für ein SoC-Design mit RISC‑V lizenziert, ist nicht wahrscheinlich. Auch „kleinere“ Hersteller könnten ein Interesse daran haben, sich nicht unbedingt mit ARM anzulegen und davor zurückschrecken, ihre Komponenten für RISC‑V-Designs zu lizenzieren.

Unterm Strich heißt das: RISC‑V ist ein Riesenthema, sowohl in der öffentlichen Diskussion als auch mutmaßlich hinter vielen verschlossenen Türen bei den Großkonzernen. Bei allem Hype, den RISC‑V gerade erfährt, braucht die Plattform aber a) Software-Support, b) leistungsstarke Hardware sowie c) das Commitment großer Firmen wie Google, und das über einen langen Zeitraum. Eine solche Konstellation bedeutet, dass RISC-V ein klassisches Henne-Ei-Problem bekommen könnte – das ist aber keine Zwangsläufigkeit.

Frank Ritter

Klar ist: Die Chiphersteller haben keine Lust mehr auf ARM als Gatekeeper. Lizenzgebühren an ARM einzusparen heißt, viele Milliarden Dollar mehr einzunehmen und dafür ist RISC‑V ein willkommenes Mittel. Dass RISC‑V dabei Open Source ist, klingt grundsätzlich toll, aber machen wir uns nichts vor: ARM wird nicht klein beigeben und seine Position erbittert zu behaupten versuchen. Es geht bei dieser Entwicklung um Marktmacht, um Wirtschaftspolitik und um sehr viel Geld. Man darf gespannt sein, wie der Chipmarkt in 5 bis 10 Jahren aussieht. RISC‑V wird meines Erachtens aber in jedem Fall eine Rolle spielen.

Frank Ritter
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