Amazon hat ein zunehmendes und ernsthaftes Problem. Konnte der weltgrößte Onlineshop der Welt sich die letzten Jahre mehr oder weniger bequem zurücklehnen, bedroht die billige China-Konkurrenz mittlerweile das eigene Geschäft. Europäische und amerikanische Kunden haben nämlich Temu und Shein für sich entdeckt. Wie Amazon damit jetzt umgehen will, ist alles andere als sonderlich vorbildlich. Sprechen wir mal über diesen tollen Einfall, und zwar in der aktuellen Ausgabe der Wochenendkolumne von GIGA.
Na, habt ihr auch schon mal bei Temu oder Shein bestellt? Die China-Plagen überschwemmen den heimischen Markt seit geraumer Zeit mit billigster Elektronik und Mode. Möglich machen dies aktuell geltende Zollbestimmungen. Für Sendungen im Warenwert von unter 150 Euro aus Fernost fallen bislang nämlich keine Zollgebühren an. Chinesische Billiganbieter wie Temu, Shein und Konsorten machen von der Regelung mächtig Gebrauch und deren Kunden hierzulande bestellen wie blöde auch noch den billigsten Dreck.
Billig muss es sein: Amazon will Temu einfach kopieren
Hauptsache viel, Hauptsache so günstig wie nur möglich. So langsam merkt das auch Amazon. Zwar kann man auch dort bei Marktplatz-Anbietern in China ordern, doch für den Hersteller bleibt natürlich mehr vom Kuchen übrig, wenn der Kunde Ware bei Amazon kauft, die der Händler auch direkt verschickt und fakturiert.
Vor einigen Tagen nun kam ans Licht, dass Amazon auf Temu, Shein und Co. mit einem eigenen Billig-Shop reagieren möchte. Dort sollen nach chinesischem Vorbild billigste Waren im Wert von unter 20 US-Dollar an die Kundinnen und Kunden direkt aus China heraus verschickt werden. Zunächst für die USA geplant, aber in der Zukunft sicherlich auch für Europa denkbar. Kurzum: Statt sich von der wachsenden Billig-Konkurrenz aus China abzugrenzen und auf die eigenen Vorzüge hinzuweisen, kopiert man bei Amazon lieber das Geschäftskonzept.
Schon gewusst? Am 16. und 17.Juli ist wieder Prime Day bei Amazon:
Sagt mal, Amazon, dümmer geht es nicht, oder? Dies erinnert mich an die Zeit in den Neunzigerjahren, als Apple meinte, mit billigen Macs auf PC-Niveau und Klon-Lizenzen sich verlorene Marktanteile zurückzuholen – Hauptsache billig. Dies ging ordentlich nach hinten los und endete beinahe im Fiasko. Der Erfolg stellte sich erst dann wieder ein, als man sich auf seine ursprünglichen Tugenden besann und das Billig-Prinzip für immer begrub.
Auch Amazon sollte lieber selbstbewusst gegen Temu und Co. ins Feld ziehen und die eigenen Vorteile herausstellen. Wer es nicht weiß, Billig-Bestellungen bei den Chinesen schaden nicht nur der Volkswirtschaft, auch für Kundinnen und Kunden beinhalten sie viele Nachteile:
- Wesentlich längere Lieferzeiten – schließlich kommt der Spaß direkt aus China, liegt nicht gerade um die Ecke. Von den ökologischen Konsequenzen, die daraus erwachsen, will ich erst gar nicht anfangen.
- Rückgabe- und Garantieprobleme – beides kann man vergessen.Schon mal versucht, etwas zurückzugeben? Ein Ding der Unmöglichkeit. Bei den Preisen schmeißt man das Zeug dann halt weg. Mutter Natur dankt es und würde derartige Zeitgenossen gerne mal den Mittelfinger in den Ar… ich schweife ab.
- Datenschutz – haha. Jungs und Mädels, ihr bestellt in China. Mehr muss man dazu nicht sagen.
- Produktqualität und -sicherheit: Ist euch schon mal ein Netzteil abgefackelt oder ein Akku explodiert oder wollt ihr es herausfinden? Gute Chancen darauf habt ihr bei einer Temu-Bestellung, denn auf europäische Standards für Produktsicherheit und -qualität könnt ihr euch da nicht verlassen.
Wo bleibt das Selbstbewusstsein von Amazon?
Kauft ihr allerdings bei Amazon, dann habt ihr zumindest einen Ansprechpartner vor Ort, der sich meist sehr kulant verhält und hier auch durch Behörden reguliert werden kann. Amazon sollte all dies Kundinnen und Kunden offen kommunizieren und mit den eigenen Vorteilen werben, statt im Umkehrschluss diese Plagegeister aus China zu kopieren.
Meine Gedanken zum Wochenende: Die Kolumne möchte Denkanstöße liefern und den „News-Schwall“ der Woche zum Ende hin reflektieren. Eine kleine Auswahl der bisherigen Artikel der Kolumne:
Aber vielleicht erledigt sich das Problem auch bald auf andere Weise. Die eingangs angesprochene Zollfreiheit steht nämlich in Europa auf der Kippe. Die EU-Kommission plant, entsprechende Vorschriften zu reformieren. Ab 2028 könnten dann generell Zollgebühren anfallen und das Geschäftskonzept von Temu und Co. hätte sich somit erledigt oder würde zumindest erschwert. Immerhin, ein Hoffnungsschimmer.