Videospiele und Politik passen nicht zusammen – das ist zumindest die Meinung vieler Gamer. Tatsächlich aber sind die meisten Videospiele absolut politisch, auch wenn Publisher dies vertuschen und Spieler es nicht wahrhaben wollen. Eine Kolumne von Gregor Elsholz.
Viele Publisher nutzen ihre Marketing-Maschinerien heute für einen Präventivschlag – und beteuern hoch und heilig, dass ihr neuestes Spiel keinerlei politische Botschaften oder Positionen vertritt. Mit Disclaimern und Pressemitteilungen versuchen sich vor allem Triple-A-Publisher zwischen alle Gaming-Stühle zu setzen und damit unbequemen Unterhaltungen zu entgehen.
Ihre Vorsicht ist einigermaßen nachvollziehbar, denn sollte die Online-Community doch einmal einen Hauch von Politik wittern, werden die Bluthunde losgelassen – und sind in der Folge nur noch schwer einzufangen. Während diese Dynamik je nach Perspektive als anbiedernd, anmaßend oder schlicht ungesund betrachtet werden kann, basiert sie auch auf einer falschen Annahme: Videospiele sind politisch – und genau dieses Missverständnis bringt ein Problem mit sich.
Publisher haben politische Ansichten
Auch wenn es manchmal vergessen wird: Publisher sind nichts anderes als Unternehmen, die aufgrund mangelnder Alternativen Menschen in Führungspositionen einsetzen. Diese Menschen haben politische Ansichten – und obwohl an den größten Spielen riesige Teams arbeiten, liegt die Entscheidungsgewalt stets in den Händen einiger weniger Führungskräfte.
Viele dieser Entscheidungsträger haben nachweisbar kein Problem damit, sich auf ihre Weise – oft erzkonservativ – politisch zu engagieren. „Five Nights at Freddys“-Schöpfer Scott Cawthorn zum Beispiel legte seine Unterstützung für Donald Trump detailliert in einem Reddit-Post dar und Tripwires Ex-CEO John Gibson applaudierte dem mittelalterlichen Abtreibungsgesetz in Texas, während Activisions Bobby Kotick 2020 zehntausende US-Dollar an die Kampagne der Republikaner spendete. (Quelle: Reddit / Quelle: Twitter / Quelle: opensecrets)
Angesichts solch offen zur Schau gestellten politischen Einstellungen sollte es eigentlich nicht überraschen, dass sich diese auch in Videospielen wiederfinden – denn es liegt in der Natur von Games, dass die Werte ihrer Entwickler in ihnen Ausdruck finden.
Politik nimmt in Spielen viele Formen an
Die meisten Videospiele enthalten auf die eine oder andere Weise Darstellungen von gesellschaftlichen Verhältnissen, Rollenbildern und Machtstrukturen. Wie Spiele diese Themen reflektieren, ist Ausdruck einer politischen Einstellung.
In vielen Videospielen finden sich so zum Beispiel im Umgang mit ihren Charakteren Aussagen zu Geschlechterrollen, Rassismus und Schönheitsidealen, die durch die (fehlende) Agenda der Figuren, (mangelnde) Repräsentation und offensichtlich-unfunktionellen Outfits für weibliche Charaktere ausgedrückt werden können.
Auch Gameplay-Features und Story-Klischees wie das Aufleveln durch Ingame-Shopping-Touren, die Rolle der USA als freiheitsliebende Weltmacht oder dass meist kein Problem groß genug ist, um nicht durch noch größere Schusswaffen gelöst zu werden, sagen viel über die Haltung zu Kapitalismus, Nationalismus und Militarismus aus.
Gamer protestieren – aber nie gegen den Status Quo
Die meisten Spiele bilden somit auf ihre Art politische Haltungen ab – manche tun dies unbewusst, andere gehen subtil vor und viele überschreiten gleichgültig die Grenze zur Glorifizierung – doch der Protest gegen die Politisierung von Games folgt fast ausschließlich, wenn progressive Positionen in Spielen entdeckt werden.
Kürzlich aufgezogene Shitstorms gegen Charaktere in The Last of Us 2, Horizon: Forbidden West und God of War: Ragnarök zeigen, dass die Online-Communitys vor allem dann so richtig heiß laufen, wenn sie auf mehr Diversität in Videospielen stoßen – dann plötzlich vermuten Gamer Propaganda und schlagen Alarm wie Luftangriffssirenen in Silent Hill.
Mit solch hysterischen Warnungen vor Politik in Games werden nicht nur bestimmte Meinungen kritisiert, sondern es wird gleichzeitig der Status Quo fälschlicherweise als unpolitisch legitimiert – und das ausgerechnet in einer Branche, die für ihre wuchernden Sexismus-, Rassismus- und Homophobie-Skandale berüchtigt ist.
Politik begleitet Gaming schon seit den Anfangstagen
Um stattdessen tatsächlich eine sinnvolle Diskussion über politische Inhalte in Games zu führen, muss zunächst zwangsläufig anerkannt werden, dass sie von vornherein über fast alle Genre-Grenzen hinweg in Videospielen existieren.
Unabhängig von persönlichen Überzeugungen führt die Verklärung dieser Tatsache nur dazu, dass Botschaften viel leichter transportiert werden können und vor allem nicht hinterfragt werden, wenn Gamer ihre Lieblingsspiele als „unpolitisch“ einschätzen.
Kein Online-Protest kann Politik aus Videospielen heraushalten. Sie ist schon längst da. Seit Mario zum ersten Mal seine achso hilflose „Damsel in Distress“ Prinzessin Peach gerettet hat, wurden in Videospielen politische und gesellschaftliche Wertvorstellungen vermittelt. Dies geschieht keinesfalls immer auf eine elegante, absichtliche oder unterstützenswerte Art, lässt sich aber durch keine Tastenkombination dieser Welt einfach wegwünschen.
In unserem Video zeigen wir euch die Spiele-Highlights 2021:
Gamer protestieren online gerne gegen Politik in Videospielen – und Publisher stimmen ihnen dabei oftmals zu. Dabei lassen sie außer Acht, dass politische Haltungen in den meisten Games ausgedrückt werden und sich Politik nicht ohne Weiteres aus Games heraushalten lässt.