Mit immer mehr Modellen, Facelifts, Plattformen und einer eigenen Software-Entwicklung stürzt sich VW ins Elektro-Zeitalter. Doch ausgerechnet jetzt gerät der träge Kahn von Deutschlands größten Autobauer in schwieriges Fahrwasser. Je größer das Schiff, umso schwerer ist aber das Steuer herumzureißen. Genau das will und muss Volkswagen jetzt packen – eine Bestandsaufnahme.
Ein Startup muss durch viele Probleme manövrieren, bis man von einem ausgewachsenen Unternehmen sprechen kann. Doch kleine Firmen haben den Vorteil der Flexibilität, mit der sich einige Herausforderungen umso besser lösen lassen. Je größer ein Konzern wird, umso schwerer können dann auch die Probleme wiegen – vor allem, wenn wie bei VW derzeit an allen Ecken und Enden gewerkelt werden soll.
Die Herausforderungen: Was Volkswagen im Weg steht
Zu allererst: VW ist nicht der einzige Autobauer, der vor schweren Zeiten steht. Die aktuelle wirtschaftliche Situation gekoppelt mit der teuren – und bisher völlig beispiellosen – Verwandlung der ganzen Autobranche hin zu emissionslosem Fahren stellt alle Hersteller – und gerade die alteingesessenen – vor Herausforderungen, die es noch nie gegeben hat.
So warnt der als Autopapst bekannte Experte Ferdinand Dudenhöffer die deutschen Hersteller, dass Tesla sie praktisch jederzeit abhängen könnte. Er hält Elon Musks Ziel, bis 2030 20 Millionen E-Autos pro Jahr zu bauen, nicht nur für möglich, sondern vielleicht sogar für tief gestapelt.
Schon mit 20 Millionen wäre Tesla aber gut doppelt so groß wie Toyota heute – und Toyota hat noch einen gehörigen Mengenvorsprung vor VW, ganz abgesehen von BMW oder Mercedes. Deren Geschäft fußt aber auch nicht auf hohen Stückzahlen.
Audis Q6 e-tron hat das Zeug, zur Blaupause für den ganzen VW-Konzern und seine E-Auto-Strategie zu werden:
Ein Stück weit will sich auch VW dieses Vorgehen aneignen – oder muss es sogar. Die Wolfsburger haben soeben ihr Jahresziel für 2023 kassiert und um gut eine halbe Million Fahrzeuge gesenkt. Zu schwach haben die VW-Marken im ersten Halbjahr performt um die geplanten 9,5 Millionen halten zu können.
Die Ägide von Konzernchef Oliver Blume: Mehr Qualität, weniger verkaufte Autos – und dafür mehr Geld pro Fahrzeug einnehmen. Das geht mittels interner Kosteneinsparungen.
Steigende Preise helfen ebenfalls, auch wenn das Kunden eher selten in den Kram passt. Der Volkswagen-Konzern ist nun einmal ein Wirtschaftsunternehmen, keine NGO und auch kein Wohlfahrtsstaat. Geld muss rein, sonst heißt es schnell, dass Arbeitskräfte entlassen werden müssen oder sogar Produkte, ganze Geschäftszweige eingestellt. Das will dann schließlich auch der geneigte Autokäufer nicht.
Immer Ärger bei VW: Familienkrach um E-Auto-Akkus
Was jedenfalls nicht hilft, sind interne Querelen. Doch auch daran mangelt es bei VW offenbar gerade nicht. Die Tochterfirma PowerCo soll ein neues Verfahren zur Batterieherstellung entwickelt haben. Es soll die Kosten des teuersten Einzelteils bei E-Autos um die Hälfte senken können.
Ein Traum, der innerhalb von VW Begehrlichkeiten weckt. Besonders Porsche und Audi – die traditionell ohnehin oft den ersten Zugriff haben – wollen sich von Beginn an Kontingente der günstigen E-Auto-Akkus sichern. So liegen sich die Premium-Marken aus dem VW-Konzern aktuell offenbar in den Haaren. Wer beim Familienduell als Sieger hervorgeht, ist noch unklar.
Die guten Zeichen: So steuert VW aus dem tückischen Fahrwasser
Doch eine Kehrtwende will VW nicht. Die Wolfsburger bleiben im Herzen ein Volumenhersteller. Auch das hat Blume erneut bekräftigt. Dem geplanten ID.2 für 25.000 Euro – günstig für ein E-Auto, teuer im Verbrenner-Vergleich – verleiht er in einem aktuellen Interview frischen Rückenwind.
Und noch besser: VW will sich damit nicht zufrieden geben. Blume könne sich vorstellen, dass Elektroautos in Zukunft wirklich erschwinglich werden. In den kommenden fünf Jahren könne er sich vorstellen mit VW auch einen Stromer für 20.000 Euro anzubieten. Die günstige E-Mobilität ist damit zwar noch lange nicht im Hier und Jetzt angekommen. Aber fünf Jahre ist ein Anfang – wenn auch einer, auf den es keine Garantie gibt.
Mobilität – da tut sich was: E-Autos, elektrische Fahrräder, E-Scooter, das Deutschlandticket für 49 Euro in Bus und Bahn – all das bewegt uns im doppelten Sinn. Und was hat sich in Sachen Mobilität sonst so getan?
In eine gute Richtung geht es – endlich – auch wieder für Audi. Die Ingolstädter haben ihren Q6 e-tron als Prototypen erstmals präsentiert, nachdem er sich zunächst ordentlich verspätete. Bei ersten Testfahren der Kollegen kam das erste Modell auf Audis und Porsches neuer Premium Plattform Electric (PPE) ordentlich weg. Viele Fragen sind zwar noch offen, doch Audis neuer Stromer scheint das Zeug mitzubringen, die Marke wieder besser aufzustellen.
Obendrein zeigt Audi – und damit mittelbar VW –, dass man eben doch weiß, wie E-Auto funktioniert. Der Q6 e-tron und damit der Start der PPE-Plattform kommen genau zur rechten Zeit.
Auch VWs Schritte, um in China wieder mehr Fuß zu fassen, deuten in eine gute Richtung. Audi soll mit SAIC zusammenarbeiten, um schneller E-Autos anbieten zu können, die besser auf den chinesischen Markt zugeschnitten sind – vor allem mit fortschrittlichen und in Fernost dringend nachgefragten Software-Funktionen, darunter Smartphone-Integration und Sprachassistenten.
Auch Volkswagen selbst öffnet sich weiter als bisher für Kooperationen mit den jungen Chinesen. Erst kürzlich wurde bekannt, dass der Konzern sich einen ordentlichen Anteil am E-Auto-Bauer XPeng gesichert hat. All diese Schritte sollen dafür sorgen, dass man auch im wichtigsten nationalen Markt der Welt wieder in ruhigere Wässer gelangt.
Ob die Saat, die VW mit seinen weit gestreuten Maßnahmen aktuell sät, aufgehen wird, müssen erst die kommenden Monate – eventuell sogar Jahre zeigen. Denn es bleibt dabei: Je größer der VW-Kahn, umso länger braucht es, bis das Steuer herumgerissen ist.