Alle Welt spricht noch immer über Elden Ring und das vollkommen zu Recht. Dabei erschien mit Elex 2 fast zeitgleich ein weiteres Rollenspiel, das gerade für Elden-Ring-Fans einen zweiten Blick wert ist.
Ein Kommentar von Alexander Gehlsdorf
Kurze Quizfrage: Welches Open-World-Rollenspiel von einem Kultstudio erschien Anfang 2022, bietet ein anspruchsvolles Kampfsystem, komplexe Quest-Ketten, leidet unter einigen technischen Schwierigkeiten und beginnt mit „El...“? Richtig, natürlich Elden Ring! Aber als ich nach knapp 90 Stunden den Abspann von Miyazakis neuem Meisterwerk genoss, bestand mein erster Impuls darin, ausgerechnet Elex 2 wieder einen Besuch abzustatten. Woran liegt das? Um die Frage zu beantworten, dürft ihr mich auf eine kleine Zeitreise ins Jahr 2006 begleiten.
Zur Belohnung gibt es schwerere Gegner
Es ist Ende März 2006 und ich freue mich wie eine Schneekönigin, weil ich nach jahrelangem Warten endlich The Elder Scrolls 4: Oblivion in den Händen halte. Sowohl The Elder Scrolls 3: Morrowind als auch die ersten beiden Gothic-Teile hatten bis dato den Stand der aus meiner Sicht besten Rollenspiele aller Zeiten inne, aber wenn ein Spiel in der Lage wäre, dieses Siegertreppchen zu erobern, dann ja wohl Oblivion! Oder?
Schon im Hauptmenü begrüßt mich der riesige Turm im Zentrum der Kaiserstadt – da will ich auf jeden Fall hoch! Schließlich konnte ich in Morrowind im späteren Spielverlauf buchstäblich über die Spielwelt fliegen, das wird in Oblivion also definitiv auch möglich sein. Je mehr Zeit ich jedoch im Spiel verbringe, desto größer die Ernüchterung. Direkt zum Spielbeginn erhalte ich ein Pferd, ansonsten tut sich an der Art und Weise meiner Fortbewegung aber herzlich wenig. Das beste Feature aus Morrowind, das Levitieren, fehlt tatsächlich komplett.
Noch schlimmer: Oblivion setzt auf Level-Scaling. Je stärker ich werde, desto mächtigere Feinde stellen sich mir in den Weg. Das klingt auf dem Papier irgendwie noch nachvollziehbar, ist in der Praxis aber ein großer Motivationskiller. Schließlich will ich ja vor allem deshalb stärker werden, um mich zuvor unmöglichen Herausforderungen stellen zu können. Wer in Oblivion trainiert, bekommt zur Belohnung hingegen noch schwerere Gegner.
Skyrim hat einige Jahre später das Scaling-Desaster zwar marginal überarbeitet – Je höher mein Level, desto mächtigere Gegner spawnen, schwache Gegner werden aber nicht ersetzt – vollbringt allerdings dennoch das Kunststück, jeden Ansatz von spürbarer Progression im Keim zu ersticken. Bereits in den ersten Spielstunden darf ich im Rahmen der Hauptquest einen Drachen(!) töten. Hebt man sich sowas nicht normalerweise für den Endgegner auf? Dementsprechend groß ist die Langeweile, als ich am Ende der Hauptquest noch einmal einen Drachen (gähn ...) bekämpfen muss.
Ob ihr 20 oder 200 Stunden in Skyrim beziehungsweise Oblivion verbracht habt, es fühlt sich immer gleich an. Es gibt schlicht keine spürbare Progression, keine bedeutungsvolle Charakterentwicklung. Nochmal zur Erinnerung: In Morrowind konnte ich in den späteren Spielphasen buchstäblich über die Spielwelt fliegen! In Skyrim wurde das Drachenreiten erst ein Jahr nach dem Release per kostenpflichtigem Addon nachgereicht. Durch die sehenswerte Spielwelt, den zahlreichen Gesprächen und die interessante Lore können die Spiele diese Schwäche zwar gut kaschieren, wer Wert auf Charakterentwicklung legt, ist bei Oblivion und Skyrim aber nicht gut bedient. Glücklicherweise gibt es ein deutsches Studio, das in dieser Hinsicht ein goldenes Händchen hat.
Fortschritt muss sich wieder lohnen
Wer im Minental von Khorinis aufwacht und zum ersten Mal Gothic von Piranha Bytes spielt, kann von skalierenden Gegnern nur träumen. In den ersten Spielstunden ist es praktisch unmöglich überhaupt einen der Wege zu verlassen, da schon wenige Meter weiter der sichere Tod wartet. Wer sich etwa in den Wald zwischen dem Alten Lager und dem Sumpflager verirrt, endet schnell als Wolfsfutter, und das obwohl Wölfe in den meisten anderen Rollenspielen als gefahrlose Tutorial-Gegner herhalten.
Statt eine Allmachtsfantasie zu bieten, tut Gothic das Undenkbare und lässt euch spüren wie schwach ihr seid. Gerade dadurch aber ist die Charakterentwicklung so motivierend, denn wenn ich es irgendwann mit einem Wolf, der Minecrawler-Königin oder sogar einem Ork aufnehmen kann, schmeckt der Sieg umso süßer. Schließlich weiß ich genau wie es sich anfühlt, im Kampf hoffnungslos unterlegen zu sein.
Andersherum belohnt mich das Spiel für waghalsige Expeditionen: So versperren mir etwa zwei Wachen zu meinem eigenen Schutz den Weg ins Orkgebiet. Sollte ich mich aber dennoch an den beiden vorbeischummeln und das Unterfangen auch noch überleben, werde ich mit Ausrüstung und Ressourcen belohnt, die ich normalerweise erst im letzten Spieldrittel erlangen kann.
Gothic und dessen Nachfolger sind dabei nicht die einzigen Spiele, welche diese spürbare Unterlegenheit meisterhaft einsetzen. Als ich viele Jahre später zum ersten Mal Dark Souls spielte, sah ich darin mehr Parallelen zu Gothic als zu irgendeinem anderen Spiel. Statt in den Wald oder das Orkgebiet kann ich mich dort direkt zum Spielbeginn über den Friedhof in die Katakomben aufmachen, nur um von unbesiegbaren Skeletten überwältigt zu werden. Falls ich mich aber clever anstelle, kann ich mir so bereits früh einige extrem starke Items sichern.
Unnötig zu erwähnen, dass auch ein Dark Souls mit skalierenden Gegnern überhaupt kein Dark Souls mehr wäre. Wer einmal Ornstein und Smough besiegt hat und sich danach tapfer zurück in die von Skeletten übersäten Katakomben traut, die mittlerweile keine Bedrohung mehr darstellen, weiß, wie sich spürbare Charakterentwicklung anfühlt. Auch die Art und Weise, wie ich mich durch Lordran bewege, verändert sich im Laufe des Spiels. Während ich zu Beginn noch zu Fuß unterwegs bin und mir die immer gleichen Gegnergruppen den Weg versperren, habe ich gegen Ende dank einzelner Schnrellreisepunkte und freigeschalteten Abkürzungen einen spürbar einfacheren Weg durch die Spielwelt.
Zurück nach Magalan!
Unsere Zeitmaschine ist wieder im Jahr 2022 gelandet. Sicher ist es keine große Überraschung mehr, warum Elden Ring in mir den Reiz ausgelöst hat, doch noch ein bisschen mehr Zeit in Elex 2 zu verbringen. Schließlich steckt in Elex 2 noch immer mindestens genauso viel Gothic-DNS, wie Dark-Souls-DNS in Elden Ring zu finden ist. Nichts in diesen Spielen passt sich meinem Fortschritt und meinen Fähigkeiten an und gerade deshalb spüre ich die Entwicklung meines Charakters so deutlich wie in kaum einem anderen Spiel.
Eigentlich bin ich mit Elex 2 auch schon längst fertig, hab den Abspann gesehen und Magalan von den Skyands befreit. Aber glücklicherweise ist mein Questlog noch immer prall gefüllt mit Nebenbeschäftigungen, die mich über die gesamte Karte führen. Zu Fuß bin ich dorthin allerdings nicht unterwegs, denn im Laufe des Spiels konnte ich mein Jetpack immer weiter aufrüsten, sodass ich mittlerweile uneingeschränkt über die Spielwelt fliegen und selbst außerhalb der Kämpfe meine Charakterentwicklung nachvollziehbar spüren kann. Hey, genau wie in Morrowind!