„Viva la revolución“ heißt es in Far Cry 6. Allerdings revolutioniert Ubisoft weder das Genre der Open-World-Shooter noch die Reihe selbst. Stattdessen gibt es die gewohnte Geschichte mit satter Action und wenig Überraschungen in einer wirklich hübschen Spielwelt.
Ein skrupelloser Tyrann unterdrückt durch seine Gewaltherrschaft die Menschen, doch ihr seid der Held oder die Heldin, die, wenn auch eher unfreiwillig, zur einzigen Hoffnung der Unterdrückten werden. Gemeinsam mit dem Widerstand befreit ihr das Land und stürzt das Böse. Spätestens seit Far Cry 3 passt diese Beschreibung auf jedes Spiel der Reihe. Da macht auch Far Cry 6 keine Ausnahme. Aber fangen wir vorne an.
Yara: Zwischen Paradies und Hölle auf Erden
Die Insel Yara ist ein karibisches Paradies. Weiße Strände, dichter Dschungel, lebendige Sümpfe und steile Berge machen Yara zu einem abwechslungsreichen und wirklich hübschen Ort. Dazu gesellen sich Rum, Zigarren und lateinamerikanische Rhythmen. Gäbe es nicht den Diktator Antón Castillo, der seine Bevölkerung versklavt und sie zur Arbeit auf den Tabakplantagen zwingt, es wäre ein Paradies. Wer nicht arbeitet, wird erschossen und wer gegen das Regime ist, wird gnadenlos verfolgt und auf das Grausamste gequält und hingerichtet.
Als wahlweise männlicher oder weibliche Dani Rojas flüchtet ihr aus der Hauptstadt, als die Gewalt zwischen Soldaten und Bevölkerung eskaliert und entkommt nur knapp mit dem Leben. Angespült an einer kleinen Insel trefft ihr auf Libertad, eine Gruppe von Revolutionären, die einen Guerilla-Krieg gegen Castillo führen und euch recht schnell überzeugen, sich der Gruppe anzuschließen, anstatt sich nach Amerika abzusetzen.
Praktischerweise war Dani Rojas bei der Armee, ihr seid somit bestens für den Job geeignet. Also schickt euch Revolutionsführerin Clara Garcia los, um drei andere Widerstand leistende Gruppierungen für Libertad zu gewinnen und sie im Kampf gegen Castillo zu vereinen.
Die Waffen der Guerilla
Far Cry 6 bietet euch an einen umfangreichen Mix aus bekannten Schießeisen und abgefahrenen Guerilla-Waffen. Die Waffen, die ihr findet oder auch kaufen könnt, steigen im Spielverlauf im Rang, gleiches tun übrigens auch die Gegner. Eure Kleidung besteht nun auch aus einzelnen Ausrüstungsgegenständen, die verschiedene Boni wie mehr Munition für bestimmte Waffentypen oder Widerstand gegen eine Schadensart gewähren. Des Weiteren haben eure Waffen Slots für Aufsätze, die ihr aber erst mit in der Welt auffindbaren Materialien herstellen müsst. Neben dem Crafting könnt ihr auch die Camps mit einigen Bauten erweitern, wie einem Shop für Waffen oder eine Cantina, wo ihr Essen herstellen könnt, das verschiedene Boni verleiht.
Ein Highlight sind die Impro-Waffen und Supremos. Bei den Impro-Waffen handelt es sich um spezielle Waffen von Guerilla-Experte Juan Cortez. Bei ihm bekommt ihr einen Flammenwerfer, eine Armbrust, die Harpunen verschießt und den Macarena-spielenden Disc-Werfer. Die Supremos sind große Rucksäcke, die euch eine Spezialfähigkeit verleihen. So bekommt ihr beispielsweise zielsuchende Raketen oder einen großflächigen EMP. Außerdem hat dieser Rucksack vier Slots für Granaten, Medipacks oder Wurfmesser und auch diese Dinge könnt ihr craften.
Damit ihr auf Yara schnell von A nach B kommt, gibt es allerlei Fortbewegungsmittel. Ein bewaffnetes Auto könnt ihr euch jederzeit an eine Straße liefern lassen. An Camps oder Stützpunkten findet ihr aber auch die Möglichkeit, Autos, Hubschrauber, Flugzeuge, Boote und Pferde herbeizurufen. Für die sonstige Mobilität sorgen Fallschirm, Wingsuit und Kletterhaken.
Mächtig viel Arbeit auf Yara
Neben den Hauptmissionen bietet eine Far-Cry-Open-World natürlich auch jede Menge weitere Aktivitäten. Ihr könnt Nebenmissionen verfolgen, auf Schatzsuche gehen, Basen und Kontrollpunkte erobern oder Flugabwehrkanonen zerstören. Außerdem legt ihr Hinterhalte oder klaut Vorrartslieferungen. Falls ihr genug vom Krieg habt, gibt es noch die Rennen oder ihr geht angeln oder jagen.
Egal was ihr macht, ihr bekommt Erfahrung, die euren Guerilla-Rang erhöht. Diese Ränge erlauben euch dann auch bessere Waffen zu kaufen und ihr könnt euch mit stärkeren Gegnern anlegen. Die sonstigen Belohnungen sind natürlich Pesos und Crafting-Materialien aller Art. Hin und wieder bekommt ihr auch eine Waffe oder ein anderes Ausrüstungsteil.
Guerilla-Taktiken
Da ihr eure Waffe nun verbergen könnt, habt ihr selbst auf offener Straße in der Regel Ruhe vor den Soldaten. Ihr werdet erst attackiert, wenn ihr Sperrgebiete betretet. Eure Missionsziele liegen natürlich fast immer in solchen Gebieten. Far-Cry-typisch gibt es für gegnerische Lager zwei grundlegende Herangehensweisen: Durchschleichen und lautlos töten oder mit qualmendem Lauf die Vordertür stürmen. In beiden Fällen empfiehlt es sich vorher die Gegner auszuspähen und mit dem Handy zu markieren.
Hilfe bekommt ihr von eurem Amigo. Krokodil Guapo ist eher was für einen aggressiven Spielstil, während Hund Boom-Boom euch eher beim Heimlichsein unterstützt. Ansonsten verändert sich euer Spielstil durch die Wahl der Waffen, Ausrüstung und eures Supremo.
Test-Fazit: Eine Revolution, die schon im Keim erstickt
Far Cry 6 geht ziemlich gut los. Die Flucht aus Yaras Hauptstadt ist intensiv und bedrohlich, Anton Castillo ist ein charismatischer und grausamer Tyrann und ich freue mich darauf, gegen ihn zu kämpfen. Auf der Flucht erlebe ich Angst und Verlust und ich verstehe, warum mein Charakter sich in die Staaten absetzen will. Doch dann treffe ich auf einer kleinen Insel Libertad, alle sind ein bisschen verrückt drauf, doch ihr Tatendrang ist ansteckend und alle reden von Revolution und zitieren Intellektuelle. Ich will ihnen helfen.
Von dem Gedanken bringt mich nicht einmal die Tatsache ab, dass ich schon wieder in einem Far Cry mit einem Flammenwerfer eine Plantage abfackeln muss, nicht mal der völlig überflüssige selbstreferenzielle Witz von Dani („Das kommt mir irgendwie bekannt vor.“ Ja Dani, mir auch. Mir auch.) bricht meine Stimmung. Zum Schluss schleiche ich mich auf die Schiffe der Hafenblockade, durchbreche sieh und fahre mit Libertad Richtung Yara. Ich hab Lust auf eine Zigarre, Rum und scharfes Essen …
… und dann bekomme ich Ubisoft-Einheitsbrei und dünnes Story-Wasser serviert. Die packende Geschichte zerfasert in eine Open World der Belanglosigkeiten. Spannende Themen wie Sklaverei, Versuche an Menschen, Kunstfreiheit, queere Personen in einer solchen Situation werden zu einem klischeehaften Abziehbild und auf die Open World geklatscht. Das ist furchtbar schade, denn hier geht so viel Potenzial verloren. Die Geschichte nahm gerade richtig Fahrt auf und jetzt spiel ich mich wie immer durch drei Gebiete mit ihren Zwischenbossen. Yara ist eine wirklich wunderschöne Spielwelt und ein absolutes Highlight, doch sie ist viel zu groß und vollgestopft mit sich ständig wiederholenden Spielmechaniken. Dass ich in einer Storymission mal ein Flugzeug fliege, ist schon große Abwechslung in Far Cry 6. Doch auch das ist unspektakulär, womit wir bei einem ganz anderen Problem sind.
Kaum eine Herausforderung
Far Cry 6 ist ziemlich einfach. Es gibt zwei Schwierigkeitsgrade, den Story- und den Abenteuer-Modus. Im Story-Modus könnt ihr ohne Probleme mitten in einer Horde Gegner stehen und geht selbst mit der Standard-Pistole als Sieger hervor. Im Abenteuer-Modus geht das zwar nicht mehr, aber selbst dieser geht maximal als „normal“ durch. Dadurch entstand bei mir ein großes Motivationsproblem. Warum soll ich mir die Mühe machen, alle Alarme zu deaktivieren und lautlos alle Gegner zu killen, wenn ich dafür nur ein paar Bonus-Ressourcen bekomme? Damit kaufe ich dann Aufsätze für Waffen, die ich nicht brauche.
Die KI ist auch keine große Herausforderung, außer in Deckung gehen und ab und zu die Position wechseln, haben die nämlich nichts drauf. Bei Eskort-Missionen ist die KI noch dazu echt anstrengend, nicht nur, dass NPCs an jedem Strauch hängen bleiben, natürlich müssen sie auch ein komplett anderes Lauftempo als ich haben.
Das Gunplay in Far Cry 6 ist gelungen. Die Waffen haben echt Wumms, es macht Spaß herumzuprobieren und die Impro-Waffen und Supremos sorgen echt für etwas Abwechslung. Schade, dass die ganze Feuerkraft im Grunde überflüssig ist. Es macht ja durchaus Spaß, die Lager zu säubern und mit den Waffen zu experimentieren, aber das trägt das Spiel nicht durch die vielen Stunden, auf die es ausgelegt ist. Der geringe Schwierigkeitsgrad drückt ebenfalls auf die Motivation.
Weniger ist manchmal mehr
Far Cry 6 ist einfach zu viel. Ein gewohnt brillanter Giancarlo Esposito tritt als Castillo viel zu selten auf, um wirklich Eindruck zu hinterlassen, und auch die anderen Figuren bleiben blass und eindimensional, da sie zu wenig zu sehen sind und dann nicht viel zu sagen haben. Und erneut: Das ist schade, denn einige hatten viel Potenzial und die deutsche Synchro ist wirklich gelungen. Dass Dani Rojas eine Stimme hat und sich aktiv an der Geschichte beteiligt, ist definitiv eine Bereicherung im Vergleich zu den Vorgängern.
Eine deutliche kleinere Open World mit weniger repetitiven Aktivitäten hätte mehr Entwicklungszeit für abwechslungsreicheres Missionsdesign gelassen. Die neuen Gameplaymechaniken sind gut, es gibt aber kein Fortschrittssystem, das mich motiviert sie zu nutzen, denn ich brauche keinen krassen Waffen und viel Crafting-Zeug. Die Geschichte greift viele spannende Themen auf, die dann in den typischen Albernheiten und Gewaltorgien der Reihe untergehen. In gelungenen Open-World-Shootern findet ihr immer eine tolle Geschichte (vor allem eine, die sich selbst ernst nimmt), spannende Gameplayelemente oder eine echte Herausforderung. Far Cry 6 macht nichts davon schlecht, die grundsätzliche Qualität stimmt, aber es sticht auch in keiner der Kategorien sonderlich hervor.
Hätte Ubisoft sich von seiner Formel verabschiedet oder zumindest deutlich lösen können, wäre Far Cry 6 vielleicht ein ziemlich gutes Spiel geworden. So ist es einfach ein weiteres Far Cry, das in vielen Dingen ganz okay und in ein paar ganz gut ist, aber das kennen wir alles schon aus den Vorgängern. Eine echte Revolution würde Far Cry und Ubisoft so langsam mal ganz guttun.
Far Cry 6 erscheint am 7. Oktober 2021 für PS5, PS4, Xbox Series X|S, Xbox One und PC.
Wertung
“Far Cry 6 macht nicht viel anders als seine Vorgänger und ist dabei auch keine große Herausforderung. Die Spielwelt ist hübsch und das Gunplay macht Spaß, doch das reicht einfach nicht, um mehr als nur okay zu sein. Manchmal ist weniger halt mehr und das hätte Far Cry 6 wirklich gutgetan. So verschenkt Ubisoft viel Potenzial in belanglosen Open-World-Aktivitäten.”