Kommen wir nun zum Abschnitt „Mosern, Meckern, Motzen“. Auch hier sei noch einmal erwähnt, dass wir das Galaxy S9 keineswegs schlechtreden wollen. Das Handy hat Stärken in vielen Bereichen, die hier und an anderes Stellen ausführlich benannt wurden – aber eben auch Schwächen. Einige davon waren sofort offensichtlich, andere zeigten sich eher nach Wochen der Nutzung – hier bin ich besonders froh, dass wir dem Gerät mehrere Wochen Alltagsnutzung abringen konnten.
Unzureichend: Die Akkuleistung
Ich habe alles versucht: Always-On-Display abgeschaltet, Displayauflösung und -helligkeit herabgestellt, Samsung-Bloat-Software mithilfe von obskuren ADB-Kommandos deaktiviert und sogar einen Factory Reset vorgenommen. Trotzdem bekomme ich nicht mehr als 14-15 Stunden Nutzungszeit aus einer Akkuladung mit dem Samsung Galaxy S9, gelegentlich auch nur deren 12 – und das mit Screen-on-Times von teils unter 2,5 Stunden. Das ist noch schlechter als der ohnehin nicht sonderlich ausdauerstarke Vorgänger und, mit Verlaub, enttäuschend – das letzte von mir getestete Smartphone, das eine solch miserable Quote aufwies, war das LG G3. Zur Einordnung: Das OnePlus 5T hat ein flächenmäßig größeres Displaypanel und „nur“ 300 mAh mehr Akkukapazität (3.300 mAh vs. 3.000 mAh), hält mit meinem Nutzungsszenario und mit identischen installierten Apps aber rund doppelt so lange durch.
Diese krasse Diskrepanz und die Tatsache, dass insbesondere der Standby-Akkuverbrauch beim Galaxy S9 vergleichsweise hoch erscheint, lässt den Schluss zu, dass hier Software-seitig irgendetwas im Argen liegt. Ob’s nun Feature Bloat ist oder die von Anandtech festgestellte Ineffizienz des Exynos-9910-Chips, das Ergebnis ist einfach nicht ausreichend. Lediglich die Umstellung des Energiesparmodus auf „Mittel“ mit Anpassung des CPU-Takts brachte ein wenig Linderung – ließ aber auch das Smartphone spürbar langsamer reagieren.
Natürlich ist man als Otto-Normalverbraucher in der Moderne mit Nachtank-Möglichkeiten umgeben – ob nun im Auto, am Arbeitsplatz oder anderswo. Natürlich unterstützt das Galaxy S9 auch flottes QuickCharging per Kabel und Qi Wireless. Soll heißen: In der Regel hat man auch mit dem unterwältigenden Akku keine Probleme. Aber um mit einem gängigen Missverständnis aufzuräumen: Eine gute Akku-Ausdauer braucht man nicht für den Alltag mit seinen festen zeitlichen Abläufen und Lade-Ritualen, sondern eben für nicht-alltägliche Umstände: Wenn man nach der Arbeit noch für zwei, drei Stündchen im Biergarten einkehrt, wenn man den ganzen Tag bei einem Event oder auf einer Messe von einem Termin zum nächsten heizt, wenn man mit der Bahn durch Deutschland zuckelt, dabei 2 Stunden Netflix schaut und irgendwann feststellt, dass man sein Ladekabel vergessen hat – das sind die Situationen, für die man Puffer braucht, in denen das Handy seinen Nutzer nicht im Stich lassen sollte. Und diese Gefahr ist beim Samsung Galaxy S9 höher als bei praktisch jedem anderen aktuellen Smartphone.
Bleibt zu hoffen, dass Samsung diese Probleme auf Software-Ebene eingrenzt. Experimente bei Anandtech mit Custom Kernels sind vielversprechend und sollten auch für Samsung im Rahmen eines Software-Update einfach zu implementieren sein. Die Frage muss erlaubt sein, warum Samsung sein Flaggschiff nicht vom Start weg auf Energieeffizienz zu trimmen imstande ist.
Einfach zu viel Tünnef: Die Software
Es ist 2018 und man fühlt sich bei der Nutzung des Galaxy S9 trotzdem wieder in alte Zeiten zurückversetzt: Bloatware noch und nöcher, teilweise nicht auf reguläre Weise deinstallierbar, App-Duplikate für diverse Zwecke (Galerie, E-Mail, Browser, App-Store), ein Bixby-Assistent, der mehr nervt als Nutzen bringt, und, und, und. Wie oben bereits erwähnt, habe ich es geschafft, per ADB einige unnütze Apps zu entfernen – diese wurden mir allerdings kurze Zeit später über die Samsung Apps ungefragt neu installiert. Bixby zumindest funktional zu deaktivieren (also den separaten Homescreen und die Hardware-Taste) ist zwar möglich, aber unnötig kompliziert, die Funktionalität bleibt jedoch dennoch im Hintergrund aktiv und verschwendet wertvolle Systemressourcen. Das ist ärgerlich und man wird den Eindruck nicht los, als wollte Samsung mit aller Macht versuchen, seine User mit dem eigenen Ökosystem zu verheiraten. Gut, Ähnliches kann man Google und Apple auch vorwerfen – nur sind deren App-Alternativen brauchbar, Samsungs Apps sind, vielleicht mal abgesehen vom mittlerweile guten Webbrowser, alle schlechter als die ebenfalls installierten Google-Alternativen. Warum muss man seine, oft ja nun auch wenig erfahrenen User, so verwirren? Ich stelle mir diese Frage jedes Jahr, und jedes Jahr finde ich keine Antwort. Zumindest keine, die einen Nutzen für den Käufer beinhaltet.
Ebenfalls kritisierbar ist die Einsteigerfeindlichkeit der Software-Oberfläche. Die eingestellten Default-Werte vieler Optionen sind nicht nachvollziehbar: Warum stellt man die Auflösung nicht auf WQHD+, sondern auf das runtergerechnete FullHD+? Entweder ist Samsung der Meinung, dass die höhere Auflösung keinen Mehrwert bringt oder man findet, dass sie über Gebühr den Akku und die GPU taxiert. In beiden Fällen wäre es konsequenter, ein geringer auflösendes Panel zu verbauen. Wohlgemerkt: Beides trifft nicht zu – warum also nicht WQHD+ standardmäßig aktivieren? Warum ist der App-Drawer standardmäßig immer noch nicht alphabetisch sortiert? Warum hält Samsung eisern an seiner eigenen, nach Android-Standard falschen, Soft-Button Reihenfolge fest? Und was zum Henker soll dieser dämliche Bixby-Button, den man viel zu oft statt der Lautstärke-runter-Taste drückt und der nicht auf andere gängige Funktionen umbelegbar ist? Warum kann ich so viele von den vorinstallierten Apps nicht deinstallieren und warum benötige ich zur Nutzung von Kern-Features einen Samsung-Account?
Erklärungen, die nicht funktionieren
Ein anderer, aus meiner Sicht zu wenig beachteter Punkt ist die Tatsache, dass man nach Inbetriebnahme des Gerätes mit Dutzenden von Overlays traktiert wird, die die Funktionsweise der Software im Galaxy S9 erklären wollen. Hier nur eine kleine Auswahl:
Im ersten Impuls mag man hier argumentieren, dass das Ganze einsteigerfreundlich sei. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall: Erklärende Overlays, die den Nutzungsfluss unterbrechen, gelten als UI-Todsünde. Wenn die Benutzeroberfläche so uneindeutig ist, dass man sie erklären muss, hat das UX-Team schlicht seinen Job nicht gut gemacht.
Hier mal einen Vorschlag zur Güte, Samsung. Reißt bitte das Ruder in Sachen Software herum. Ihr werdet es nicht schaffen, eure Nutzer für ein eigenes Software-Ökosystem zu begeistern, auch im neunten Jahr der Samsung-Galaxy-S-Serie nicht. Spart euch doch die Mühe und verfolgt einen Ansatz wie die zahlreichen Hersteller von Stock-Android- bzw. Android-One-Geräten oder denen, die Vanilla Android nur leicht abwandeln. Nehmt Stock Android als Grundlage, entwerft ein konsistentes UI-Skin, bietet eure nicht essentiellen Erweiterungen (Bixby, Samsung Smart Home) optional zum Download an, schafft Konfigurationsmöglichkeiten und sinnvolle Defaults. Ihr macht euer Produkt damit attraktiver, einsteigerfreundlicher und minimiert den Aufwand bei der Anpassung an Android-Updates. Dass über 2 Monate nach Marktstart ärgerlicherweise immer noch kein Android 8.1 auf den Samsung-Flaggschiffen läuft, sei hier nur mal am Rande erwähnt.
Ein Punkt, den ich hier nennen will und muss, ist das Edge-Display. Bei jedem neuen Samsung-Gerät stelle ich nach ein bisschen Herumprobieren die Edge-Funktionalität aus, weil sie mir null Mehrwert gegenüber regulären Homescreen-Widgets, App-Shortcuts oder Rich-Notifications bringen. Was bleibt, sind abgerundete Ränder als Design-Merkmal. Ein Design-Merkmal, auf das ich persönlich verzichten kann. Plane Displays sind nicht nur robuster, sondern in der Bedienung und Ansicht (keine reflektierenden seitlichen Lichtstreifen) auch alltagstauglicher. Mutmaßlich verkauft ein spaciges Design sich besser, aber im Jahr 3 hat wohl jeder mal eines von Samsungs Edge-Displays gesehen – zumindest eine Modellvariante mit planem Display für Puristen wie mich wäre also eine lohnende Ergänzung. So wie einst das Galaxy S6.
Auch beim Thema Entsperren klafft eine Lücke zwischen Erwartung und Wirklichkeit. 2017 war der Iris-Scanner angesichts der dräuenden Face-ID-Technologie bei Apple der große technologische Fortschritt, 2018 wird das Konzept schon wieder durch die Kombination mit Gesichtserkennung per Frontkamera verwässert. Letztlich ist das fast schon egal, denn das Entsperren über diese Methode ist unkomfortabel, funktioniert nur in den seltensten Fällen auf Anhieb. Schnell erwischt man sich dabei, wieder den guten alten Fingerabdruckscanner einzurichten und zu nutzen. Der funktioniert nämlich gut und ist, anders als beim Vorgänger, nicht mehr völlig hirnrissig positioniert. Das wiederum ist ein Pluspunkt.
Ein letzter Kritikpunkt betrifft die Geschwindigkeit: Früheren Generationen der Galaxy-Geräte wird nachgesagt, dass sie mit zunehmender Nutzungsdauer immer langsamer wurden. Das kann ich auch für das Galaxy S9 zumindest in Teilen bestätigen: Besonders deutlich wird das beim Versuch, die Kamera per schnellem Druck auf die Power-Taste schnell zu starten und die Nutzung des Fingerabdrucksensors zum Entsperren. Bereits nach wenigen Wochen gönnt sich hier Samsung oft eine oder mehrere Gedenksekunden.
Auf der nächsten Seite: unser Test-Fazit zum Galaxy S9.