Es gibt genau einen Moment in A Plague Tale: Innocence, den es vom „WIE KÖNNEN DAS SO VIELE RATTEN SEIN“-Action-Adventure erweitert, in etwas anderes. Größeres vielleicht – aber sicherlich Schöneres: Der Moment, in dem ich merkte, dass ich um die Charaktere im Spiel trauerte – und sie wirklich retten wollte; nicht um das Spiel zu beenden, sondern weil sie besseres verdient hatten, als den Tod.
A Plague Tale: Innocence ist dieses lineare Story-Spiel mit den Ratten. Du magst den ein oder anderen netten Trailer gesehen haben, vielleicht hast du den Titel sogar verfolgt – immerhin sieht es dieses Frühjahr eher mau mit schön-heimeligen Story-Spielen aus (und allen anderen möglichen Spielen). Höre also: Dein Leid ist nun vorbei. A Plague Tale: Innocence sieht nicht nur wunderhübsch auf der PS4 aus, und sicher noch wunderhübscher auf dem PC – es erzählt auch eine tatsächlich berührende, wundervoll geschrieben Geschichte über Kinder, die während einer halb-fiktiven Pest gegen Meere aus Ratten sowie die Inquisition zu kämpfen haben.
Schau, wenn du keine Rattenphobie hast:
Du schlüpfst in die 15-jährige Amicia De Rune, die gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder vor der Inquisition fliehen muss. Draußen herrschen Krieg und Pest, und warum die Soldaten der der Kirche das Anwesen De Runes überhaupt angegriffen haben, können die Kinder kaum erahnen. Sind sie jedoch entkommen, wird es keineswegs leichter: Während ihnen die Inquisition weiter auf den Fersen ist, leidet der gerade einmal fünf Jahre alte Hugo unter einer seltsamen Krankheit, wegen der er Zeit seines Lebens von der Außenwelt ferngehalten wurde. Und dann die Ratten: Das Frankreich des 14. Jahrhundert ist eine grimmige-grinsende Welt, übersät mit Schlachtfelder, Pest-verseuchten Dörfern und den geheimnisvollen, abartigen Ratten.
Fressen, fressen, fressen
Ratten, die weniger realistisch oder gar historisch sein wollen, sondern eine Art magisches Übel in dieser mittelalterlichen Welt darstellen. Sie explodieren aus dem Boden, wenn sie ein Gebiet untergraben haben und sie übertragen nicht nur die Pest, sondern töten ihre Opfer direkt – was bleibt, sind Fleischberge neben all den Leichen, die von der Pest zuvor ausgespuckt wurden.
Das Ding ist: Ich habe weder Angst vor Ratten, noch sind sie in meinen Augen irgendetwas anderes, als niedlich. Nicht aber die Rattenplage in A Plague Tale: Innocence – Die wuseligen Rattenmeere- und -haufen erinnern an Spinnennester, die ausbrechen und mit ihren vielen, vielen, vielen Beinchen überall sein könnten, schlimmstenfalls im eigenen Gesicht. Die Ratten sind gnadenlos. Erreichen sie ihr Opfer, fressen sie es in sekundenschnelle auf und einzig Feuer und andere Lichtquellen scheinen sie aufzuhalten. Auf eine gewisse Weise verdeutlichen sie das Grauen hinter der Pest auf schrecklich Art: Sie fressen und fressen und fressen, und nichts scheint vor ihnen sicher zu sein; mit dem einzigen Unterschied zur Pest, dass du es mitansehen darfst. Und musst.
Also ja – sie sind ekelhaft-schön in A Plague Tale: Innocence, aber nicht nur sie glänzen mit seltsamer Schönheit im grausamen Schatten der Pest. Auch die Kinder, die du spielst und deren Geschichten sich mit deiner kreuzen, sind schön. Schön menschlich und derart schön erzählt, dass du kaum anders können wirst, als mit ihnen zu leiden. Was kann ein Spiel richtiger machen, als dich derart in die Geschichte zu saugen, dass du für die Charaktere im Spiel weiterspielst?
Und es schien, als sei die Nacht endlos
Auf eine gewisse Weise ist die Dunkelheit in A Plague Tale: Innocence wirklich endlos. Ich werde dir nicht erzählen, was passiert, aber du wirst dir eines denken können: Mittelalter, Ratten und eine grausame Inquisition können kaum eine Welt voll Sonnenscheinen malen, und dementsprechend klein sind deine Siege im Spiel auch. Du kämpfst um dein Überleben, gejagt und gezeichnet von einer gnadenlosen Gesellschaft, aber es ist nicht deprimierend. Was in meinen Augen eines der wichtigsten Aspekte im Spiel ist – A Plague Tale: Innocence ist hoffnungsvoll.
Und das allein ist den tollen Charakteren geschuldet, die wunderbar kindlich und doch viel zu ernst durch die Welt streifen, eine Welt, die durchaus noch zu Gnade fähig ist. Amicia, die taffe Kämpferin und Schwester, die stets ihren Bruder beschützt. Hugo, der nach Fröschen hascht und spielen möchte, während die beiden fliehen. Und weitere Begleiter, die du aufgabeln und kennenlernen wirst. Was mich aber ganz abgesehen von Geschichte und Charakteren beeindruckt hat, sind jene wenige, beinahe versteckt Entscheidungen, die du tatsächlich treffen darfst. Und die dich auf eine gewisse Art ausmachen werden, wenngleich sie das Ende des Spiels nicht beeinträchtigen.
Ich bin kein großer Fan vom Gameplay in A Plague Tale: Innocence. Es ist ein Mix aus leichten bis mittelschweren Stealth-Sequenzen und einem flachen Kampfsystem, getragen von Amicias Schleuder, mit der sie ihre Gegner aus der Entfernung ausschalten kann. Kann. Gut, meistens muss sie es tun; manchmal jedoch bleiben ihre andere Optionen offen und genau das sind jene kleine Entscheidungen, von denen ich spreche.
Alles und jeder in der Welt von A Plague Tale: Innocence scheinen grausam zu sein. Du jedoch musst es nicht sein, du kannst in geringem Maße entscheiden, ob du deinen Feinden gegenüber unverhoffte Gnade walten lässt. Wie du das anstellst, solltest du aber wohl selbst herausfinden.
Erinnerst du dich noch an all die tollen Spiele, die vor einem Jahr angekündigt wurden? Es sind noch lange nicht alle erschienen:
Nicht perfekt, aber schön
Ich habe es schon gesagt: Ich bin kein Fan vom Stealth-Kampf-Wegrenn-Mantel, den das Spiel umgibt. Generell gibt es drei wichtige Gameplay-Mechaniken, die dich durch die die Welt von A Plague Tale: Innocence führen: Stealth-Szenarien, Puzzle-artige Level, in denen du durch Ratten watest und versuchst, sie mit dem Licht fern von dir und deinen Freunden zu halten und Kämpfe mit deiner Schleuder.
A Plague Tale: Innocence ist in siebzehn lineare Level aufgebaut, über die hinweg nicht nur die Geschichte vorangetrieben wird, sondern du dich als Charakter auch weiterentwickeln wirst: Dementsprechend bleiben auch die Stealth-Sequenzen nicht immer gleich; es gibt neue Wege, die du mit der Zeit gehen kannst und neue Fähigkeiten, die du einzusetzen vermagst. Was aber nichts daran ändert, dass Stealth in diesem Spiel rudimentär einfach und mit visuellen Hinweisen übersät ist. Noch dazu bleibt hier eben doch zu viel zu gleich; Soldat hier ablenken, vorbeischleichen, anderen Soldaten töten, und den nächsten wieder ablenken. Schleichend brauchst und darfst du deine Kreativität nicht benutzen und wenngleich ich generell kein Fan von Stealth-Spielen bin, erkenne ich doch jene Faszination an taktischen Schleichszenarien an, die deine kreativen Ideen herausfordern.
Kurz gesagt: Immer, wenn ich in A Plague Tale: Innocence schleichen musste, habe ich mich ein wenig gelangweilt. Was im Spiel ebenso wenig schlimm ist wie die sich doppelnden NPC-Gesichter der Soldaten oder einige Gameplay-Ausreißer, die plötzlich und ohne Vorwarnung oder Grund eine einzige Szene bockschwer gestalteten. (Balancing?) Doch auch wenn all das besser hätte sein können, und ich mir zumindest weniger oder andere Stealth-Elemente gewünscht hätte, ist und bleibt A Plague Tale: Innocence eine durchweg schöne, berührende Erfahrung, die insbesondere durch die lebendigen Charaktere ... lebendig wird. Und das ist ein Talent, in dem heutzutage lange nicht alle Spiele glänzen können.
Wird Dir gefallen, wenn Du guten Geschichten nicht widerstehen kannst und einen ausgeprägten Mutter- oder Vaterinstinkt hast.
Wird Dir nicht gefallen, wenn Du schwierige Stealth-Sequenzen erwartest oder du vom Gameplay süchtig gemacht werden willst.
Wertung
“A Plague Tale: Innocence lässt dich etwas fühlen, das in diesem grausamen, Pest-versuchten Rattenalbtraum von Welt nur eines sein kann: Liebe. Als würde sie selbst die schlimmste Dunkelheit überstehen können oder vielmehr: Als könne die schlimmste Dunkelheit nur mit ihr überstanden werden.”