Das ist es: Agony, die sündhafte Hoffnung der Horror-Community, das satanische Kind eines Genres, das stets seine Grenzen übertreten möchte und sollte. Wenn doch nur Blut, Massaker und herumfliegende Gliedmaßen ausreichen würden, damit ein Spiel “gut“ wird.
Schon demotiviert? Nicht alles an Agony ist schlecht. Die schleimig-blutige Glitch- und Texturfehler-Hölle hat ihren ganz eigenen, seltsamen Stil des Grauens, den ich – ganz ohne Sarkasmus – einige Stunden, nicht alle, genossen habe. Hier ein schöner Ausschnitt mit einem besonders schönen Ende (Ausschnitt darfst du hier doppeldeutig lesen):
An dieser Stelle noch eine Warnung: Das Spiel ist ab 18 freigegeben. Das folgende Video kann verstörende Szenen enthalten:
Als die Nachricht über ein neues, unvergleichlich brutales und ekelhaftes Horrorspiel aus Madmind Studios Entwickler-Höhle an die Oberfläche kroch, war ich bereits ein kleiner Fan. Denn Horror, wahrer Horror, ist selten in einer Welt, die Videospiele zumeist noch Kindern zuschreibt; die bereits dann auf die Finger bekommt, wenn Hakenkreuze oder Brüste im Spiel dargestellt werden. Was Filme dürfen, dürfen Videospiele noch lange nicht – eine Doppelmoral, deren bissigen Vertretern ich bereits auf gamona ins Maul geschaut habe. Es bleibt also festzuhalten, dass Agony die Chance hatte, frischen Wind ins Genre zu bringen. Und dabei in nahezu allen Belangen versagt hat.
Die Hölle der Höllen
Indie-Entwickler Madmind Studio haben es sich zur Aufgabe gemacht, dich in die Hölle der Höllen zu schicken; einem blutig-feurigen Sex-Albtraum, der allerlei Unterwelten aus verschiedenen Religionen zusammenmixt, über etliche, labyrinthartige Schlauchlevel bis hin zu unwirklichen, lila-gelb-verglitchten Bereichen, die Lovecraft sicher gefallen hätten.
Die Welt von Agony, die „Wege, die aus dem Fleisch und den Knochen von zahllosen Märtyrern bestehen“ und die „Labyrinth des Wahnsinns, voll mit gequälten Menschen und schreienden Dämonen“, wie Madmind-CEO Tomasz Dutkiewicz mir über E-Mail zugeflüstert hat – diese Welt ist, was Agony ausmacht, was Agony richtig macht. Ganz abgesehen von den Glitches und Texturfehlern, die du in meinem Gameplay-Video oben bewundern kannst, hat Agony tatsächlich eine grauenhaft schöne, zuweilen sehr ästhetische Hölle geschaffen: Mit aufgeschnittenen, nackten Leibern, gigantischen, blutigen Wasserfällen neben brennenden Kreuzen, Leichenbergen und stöhnenden, röchelnden Wesen, die fanatisch über den Teufel murmeln, über ihren Tod, über Hoffnungslosigkeit.
Ich wollte alle Räume erkunden. Aller Grauen sehen und Agony, all seinen Fehlern zum Trotze, bietet hierfür wenigstens zu Beginn die besten Voraussetzungen: Es schickt dich durch verschachtelte Höhlen und Level, zuweilen über mehrere Wege und Abkürzungen verbunden. Wenige Minuten nachdem du die Hölle betreten hast, kriechst du von Neugier getrieben durch blutige Schächte, die in stilvoll-ekelhaften Szenen enden oder verborgene Sammelobjekte beherbergen. Die Liebe zum Detail ist hier, aber auch nur hier, in ihrem vollen Maße sichtbar, denn kein Raum gleicht dem anderen, kein Ensemble an Gewalttaten- und Tätern wiederholt sich. Was nicht heißt, dass dich nach den ersten zehn Minuten noch viel schocken kann. Spannung wird nicht mit Blut an schleimige Wände gekritzelt, Spannung entsteht an anderer Stelle.
Warum Hitchcock eben doch Recht hatte
Was macht Horror aus? Was für eine wundervolle Frage um zu philosophieren; selbst Genre-Größen wie Stephen King konnten sie einzig für sich selbst beantworten, nie allgemein, nie so universell, dass gesagt werden konnte: Ja, das ist Horror, das macht den meisten Menschen wirklich Angst.
Agony müssen wir eines lassen, es liefert uns Ausschlusskriterien. Das schiere Ausmaß an blutigen Massen, an „Ach, krass!“-Momenten, wenn du wieder einem Folter-Szenario beiwohnen darfst oder an fast ästhetischen Gewaltszenarien lässt dich völlig abstumpfen.
Wollte Madmind ein Spiel schaffen, das nach etwa drei Stunden schreiende, halb gehäutete, nackte Menschen langweilig werden lässt? Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass die Formel „So grauenhaft, dass du dich dem Grauen nicht mehr entziehen kannst“ hier – und vielleicht generell – nicht aufgeht. Es gibt keine Spannung, keinen zittrig-aufgeregten Fokus auf die Situation, du wirst nicht schwitzen und nicht vor Angst Tasten verdrücken, denn obwohl Agony dir auch nach drei Stunden neue Plateaus des Grauens bietet, siehst du sie allein mit blinden, abgestumpften Augen.
Ein dicker Mann erklärt die Formel für Spannung – Hitchcock über etwas, das so essentiell ist, dass selbst ein Gorefest wie Agony es nicht umgehen kann:
Agony lässt ab der ersten Sekunde alle Bomben hochgehen und zündet immer wieder neue, noch krassere Metzel-Raketen; mit einem Ausgang: Eine blutige Sauerei, nicht mehr.
Die Glitches habe ich Agony noch verziehen
Die sinnentleerte Story, die langweiligen Rätsel, die fiesen Checkpoints und die Gegner-KI konnte ich nicht so einfach verschmerzen. Sagen wir, Agony ist interessant in seinen Darstellungen von Folter und Gewalt; sagen wir, Agony schafft es zwar nicht, Angst heraufzubeschwören, darf aber für seine kreative Abscheulichkeit gelobt werden. Sehen wir es jedoch als Spiel, versagt der Höllentrip leider vollends, denn schlichtweg alle Spielmechaniken sind öde, wenig kreativ, repetitiv und versuchen stets auch den kleinsten Funken an Spaß sofort auszumerzen.
Du darfst es dir folgendermaßen vorstellen: Auf deiner Schulter sitzt ein kleiner, recht sexualisierter Teufel mit Grinsen im Gesicht und verteilt immer dann Peitschenhiebe, wenn du anfängst, Agony zu genießen. Wie nahezu jedes Horrorspiel, das sein eigenes Grauen nicht mit Action verdirbt, konzentriert sich Agony auf Stealth- und Rätseleinlagen, erst abwechselnd und dann ineinander verwoben, um dich bei Trapp zu halten. Es gibt genau zwei Rätseltypen; bei dem einen suchst du verschiedene Gliedmaßen zusammen, um mit ihnen Waagschalen zu füllen und bei dem anderen, also dem zweiten und letzten, vervollständigst du mit Blut Runen. Spaß macht das solange, bis du herausfindest, dass es gar keine Rätsel sind, sondern “Such’ das richtige, aber völlig zufällige Item und stirb’ dabei nicht“-Aufgaben. Autsch (das war die Peitsche).
Mit diesen GIFs wurde Agony vor Monaten beworben. Was übrig geblieben ist siehst du oben im Video:
Was ist mit den Schleichmechaniken? Schleichen macht Spaß. Außer natürlich, es handelt sich um zunehmend schwierige Passagen mit Gegnern, die nicht nur strohdumm sind, sondern dich trotz einer “Halte den Atem an“-Mechanik auf zehn Meter Entfernung entdecken. Peitsche. Da der kleine Teufel auf deiner Schulter schon dabei ist: Gerade in höheren Leveln steigt der Schwierigkeitsgrad parallel mit der Anzahl verschiedener Gegner in immer kleineren Räumen, sodass es schließlich kaum noch möglich ist, zu entweichen. Peitsche.
Das angewendete “Irgendwie kriegen wir dich schon kleingeprügelt“-Prinzip ist nicht nur hier unfair. Einen Hauch von Originalität verspricht das Feature, mit der eigenen Seele nach dem Ableben durch das Level zu fliegen und einen neuen Host auszusuchen. Leider läuft währenddessen ein Timer herunter, sodass selten genug Zeit bleibt. Auch Dämonen und Teufel kannst du übernehmen, allerdings nur für eine gewisse Zeit. Um die zu verlängern, musst du die Menschen und potentiellen Hosts töten, was dir einen entscheidenden Nachteil bringt, sobald du in deren Körper – die nun ja alle weg sind – schlüpfen willst. Peitsche?
Es geht noch weiter: Klappt es nicht mit der Hostübernahme, stirbst du und wirst an den letzten Checkpoint zurückgeworfen; manuell speichern ist nicht möglich. Während die Kontrollpunkte unregelmäßig im Spiel platziert wurden und entweder hinter jeder Ecke erscheinen oder erst nach einer halben Stunde Schleich- und Frustparade, darfst du nach dem dritten Tod das ganze Kapitel, unabhängig von den Kontrollpunkten, erneut durchleiden. Zumindest diese Gameplay-Monstrosität kann jedoch im Menü ausgeschaltet werden, etwas, das ich gleich zu Beginn des Spiels empfehle. Oh, und ganz vergessen – auch das ist ein weiterer Peitschenhieb á la Madmind Studio.
In diesem Artikel haben wir dir noch mehr gruselige Momente zusammengetragen:
Fazit: Eine vertane Chance
Ich gebe es zu: Ich habe nach Stunden im Spiel den Controller weggelegt, denn ich sah keinen Sinn mehr darin, meine Reise durch die Hölle fortzusetzen. Alle Kritikpunkte verschlimmerten sich, die Level ödeten mich mehr und mehr an, ich starb bei unfairen Schleich-Episoden, wurde zurückgeworfen und löste dieses eine, auf Zufällen basierte Rätsel wieder und wieder und wieder, in verschiedenen Formen zwischen andersfarbigen Fleischhaufen. Die Geschichte rund um die Flucht aus der Hölle interessierte immer weniger, eingebrochen durch sinnfreie Videosequenzen, deren Inhalt ich schließlich nicht mehr hinterfragt habe.
Agony ist eine Enttäuschung, als Spiel, aber auch als Geschichte und als Erfahrung, die Angst machen sollte, aber nach wenigen Stunden bereits völlig abstumpfen lässt. Es ist und bleibt auch ein Experiment, das ein oftmals ödes, repetitives Genre aufleben lassen wollte, aber leider in fast allen Punkten versagt hat. Einzig die zuweilen wundervoll inszenierte Welt, die kreativen Monstrositäten und die Grenzüberschreitungen faszinieren an diesem höllischen Ort, der trotz aller Kritik seinesgleichen sucht.
Wird dir gefallen, wenn du für 30 Euro durch eine der bislang besten Darstellungen der Hölle kriechen möchtest.
Wird dir nicht gefallen, wenn du dich gruseln möchtest, du gute Storys magst, dir Glitches und Grafikfehler unangenehm auffallen, du gutes Gameplay erwartest, du herausfordernde Rätsel lösen oder generell keine blutigen Fleischhaufen in einem Spiel durchwaten möchtest.
Wertung
“Agony ist enttäuschend für ein Genre, das händeringend nach neuen, originellen Inhalten sucht. ”