Eigentlich erschien Divinity: Original Sin 2 ja bereits vor drei Monaten. Unseren finalen Test zum wahrscheinlich besten Rollenspiel des Jahres wollen wir dir trotzdem nicht vorenthalten.
Divinity: Original Sin 2 ist ein wahres Content-Monster. Der Trailer zeigt dir, was alles in dem Rollenspiel-Brocken steckt:
Spiele für echte Fans entstehen heutzutage nicht mehr bei Triple-A-Studios, sondern bei Kickstarter. Ein solches Projekt war 2014 Divinity: Original Sin, das die altehrwürdige Rollenspielreihe ins aktuelle Jahrzehnt geholt hat.
Die Reaktionen der Fans und der Presse waren einstimmig. Divinity: Original Sin war ein Meisterwerk, ein Fest für Rollenspieler alter Schule, nicht nur dank der wunderschönen und komplexen Spielwelt, der gelungenen Story, den witzigen Dialogen oder den skurrilen Charakteren, sondern vor allem auch dank des einzigartigen Rundenkampfsystems.
Es sind also keine magischen Fähigkeiten nötig um zu erahnen, dass auch ein zweiter Teil sein Glück auf Kickstarter versuchen würde. Dass auch dieser ein voller Erfolg war, beweist nicht zuletzt die Existenz dieses Testes.
Divinity: Original Sin 2 ist nicht der einzige Hit, der über Kickstarter finanziert wurde:
Seit dem ersten Teil sind in der Welt von Rivellon 1000 Jahre vergangen. Praktisch, so können auch Neueinsteiger direkt eintauchen, ohne zuvor den ersten Teil gespielt haben zu müssen. Tauchen ist auch schon das richtige Stichwort, denn du beginnst deine Reise als Gefangener an Bord eines Schiffes. Klar, dass das natürlich gründlich schief geht und du dich kurze Zeit später am Strand der Gefängnisinsel Fort Joy nur knapp vor dem Ertrinken retten kannst.
Rote Haut und ohne Haut
„Du“ bist in diesem Fall einer von insgesamt sechs vorgefertigten Charakteren, die alle eine individuelle Vorgeschichte mitbringen und jeweils eine ganz eigene Quest erfüllen müssen. Der Rote Prinz etwa, der eigentlich rechtmäßige Thronfolger der Echsenmenschen, will seinen angeborenen Titel zurückfordern. Die Kriegerin Lohse hingegen ist von einem Dämon besessen, der ihr hin und wieder das Leben gehörig durcheinander bringt.
Natürlich kannst du auch einen völlig eigenen Charakter entwerfen, der natürlich auch nicht ohne Vorgeschichte auskommen muss. Mit sogenannten Tags verleihst du deinem Schützling biografische Details, etwa eine adlige Abstammung oder einen schelmischen Charakter. Das Beste daran: In den unzähligen Dialogen spielen jene Tags tatsächlich eine Rolle, wodurch dir hin und wieder spezielle Dialog-Optionen offen stehen oder gegebenenfalls auch versperrt bleiben. Mit den leichenfressenden Elfen etwa wollen nur die wenigsten etwas zu tun haben. Das Verzehren von sterblichen Überresten ist übrigens kein reines Gimmick, sondern lässt die Elfen in die Erinnerungen des Verstorbenen blicken und auf diese Weise unter Umständen wertvolle Hinweise sammeln.
Dank erfolgreichem Kickstarter-Meilenstein kannst du in Divinity: Original Sin 2 anders als im Vorgänger auch in die Haut, oder besser die Knochen, eines Untoten schlüpfen. Auch das hat einzigartige Vor- und Nachteile. So reagieren die Gerippe allergisch auf Heiltränke, können hingegen mit Gift ihre Lebensenergie regenerieren. Die dünnen Finger eigenen sich vortrefflich zum Schlösserknacken, weshalb du mit einem Untoten in der Gruppe nie auf Dietriche angewiesen bist. Allerdings sollten die wandelnden Leichen in der Öffentlichkeit stets einen Helm oder eine Maske tragen, sonst greift mal eben die gesamte Dorfbevölkerung das vermeintliche Monster an.
Angekommen in Fort Joy muss das große Abenteuer zunächst warten. Du bist nicht ohne Grund in der Gefängniskolonie, denn du bist ein Source-Magier, der über mächtige Quell-Magie verfügen kann. Blöderweise lockt eben jene die tödlichen Void-Woken an, weshalb du und viele andere, die deine Gabe teilen, nach Fort Joy verbannt wurden. Zu allem Überfluss musst du ein Halsband tragen, welches dich daran hindert deine Source-Magie zu nutzen und du, je nach Klasse, bis auf Weiteres nur deine reguläre Elementar-Magie sowie Schwerter, Stäbe, Bögen und andere Waffen nutzen kannst.
Das Ziel ist also klar: Halsband loswerden und von der Insel entkommen. Ohne zu viel zu verraten klappt das natürlich auch und du findest dich letztendlich auf dem Festland wieder, wo das eigentliche Spiel und dein eigentliches Abenteuer seinen Lauf nimmt. Bis es soweit ist, vergehen aber gut und gerne bereits 20 Stunden. Um das gesamte Spiel zu beenden, summieren sich je nach Spielstil problemlos 80 bis 100 Stunden.
Elementar, mein lieber Watson
Einen wesentlichen Teil dieser Spielzeit verbringst du in abermals großartigen Rundenkämpfen, die gegenüber dem Vorgänger sogar noch weiter an Komplexität gewonnen haben. Wie schon in Divinity: Original Sin ist das A und O in den Kämpfen das geschickte Kombinieren der einzelnen Elemente. So lassen sich etwa brennende Flächen mit einem Regenzauber löschen. Das wiederum erzeugt Dunst, der sich perfekt als Leiter für einen gezielten Blitzzauber anbietet. Wer auch immer inmitten der Wolke steht, kann sich auf eine elektrisierende Überraschung gefasst machen. Gift eignet sich hingegen vortrefflich für einen Flammenzauber, denn die grüne Brühe ist hochexplosiv.
Soweit waren die Interaktionen bereits aus dem Vorgänger bekannt. Divinity: Original Sin 2 erweitert die Elemente jedoch um einige zusätzliche Zustände. So kannst du mithilfe deiner Source-Magie – die dir zu Beginn aufgrund deines Halsbandes ja noch verborgen ist – die unterschiedlichen Elemente verfluchen oder segnen. Gesegnetes Feuer heilt deine Helden, statt sie zu verbrennen, verfluchtes Feuer hingegen hält selbst dem stärksten Regenguss stand.
Um die mächtigen Quellzauber jedoch zu wirken, musst du zunächst die nötige Ressource finden: Eine silber-glänzende Flüssigkeit, die dir dein verborgenes Potential entlockt. Allerdings ist dein Vorrat stets nach nur einem Zauber verbraucht, weshalb der Einsatz von Source-Magie wohlüberlegt sein will. Wer weiß, wann du das nächste Mal eine schimmernde Pfütze entdeckst?
Ich war's nicht
Egal mit welchen Fähigkeiten und Magie-Elementen du jedoch die Kämpfe bestreitest, am spannendsten und vor allem dynamischsten spielen sie sich zusammen mit einem Koop-Partner, so wie auch der gesamte Rest des Spiels. Genau wie der Vorgänger ist Divinity: Original Sin 2 im Herzen ein Koop-Spiel, das optional auch allein gespielt werden kann, aber nicht sollte. Trotz Rundenkampf sind die Gefechte stets immersiv und packend, taktische Absprachen und hektische Hilfeschreie inklusive. „Kannst du mich nächste Runde heilen?“, „Vorsicht, dort hinten lauert ein Bogenschütze!“ oder „Geh den beiden aus dem Weg, ich zerstöre gleich das Giftfass.“
Allerdings sorgt der Koop-Modus auch außerhalb der Kämpfe für jede Menge Abwechslung. Denn obwohl ihr kooperativ unterwegs seid, so müsst ihr nicht zwingend auch die gleichen Interessen vertreten. Du hast sogar die Möglichkeit, deinen Partner anzuschwärzen. Hast du einen lokalen Händler beklaut und die Stadtwache auf den Fersen, kannst du das Diebesgut auch einfach heimlich im Inventar deines Mitspielers lagern und fortan Unschuld heucheln. Wird dein Freund dann in Besitz der Ware erwischt ... sein Problem.
Ein weiterer Vorteil des Koop ist der zusätzliche Kopf, der dir für taktische Entscheidungen zur Verfügung steht, denn die richtige Aufstellung, Herangehensweise und Reihenfolge ist in den Kämpfen teilweise deutlich wichtiger als gute Ausrüstung. Jeder Kampf ist stets fordernd, nie trivial und dennoch fair. Selbst vermeintlich unmögliche Kämpfe gelingen auf einmal, wenn nur die richtige Taktik gefunden ist — auch wenn die Gruppe zuvor fünfmal jämmerlich gescheitert ist. Einziger Wermutstropfen: Splitscreen-Koop ist auf dem PC nicht möglich, stattdessen braucht jeder Spieler seine eigene Kopie sowie eine LAN- oder Internetverbindung.
Der Kreis schließt sich
Bestünde Divinity: Original Sin 2 „nur“ aus der etwa 100 Stunden umfassenden Kampagne, gäbe es bereits keinerlei Anlass zur Kritik. Aber selbst das reicht Entwickler Larian Studios nicht aus, weshalb in dem Paket noch zwei weitere Spielmodi stecken — einfach so, ohne Aufpreis, schlicht aus dem Grund, dass das belgische Team das bestmögliche Spiel überhaupt abliefern will.
Während du im Arena-Modus immer neue Kämpfe gegen deine Freunde und die KI bestreiten kannst, liegt der wahre Schatz im Game Master Mode begraben. Es ist kein Geheimnis, dass die Divinity-Reihe von Pen and Paper-Rollenspielen alter Schule, in erster Linie Dungeons & Dragons, inspiriert ist. Mit dem Game Master Mode schließt sich der Kreis. Ein Spieler schlüpft in die Rolle des Spielleiters und erhält die vollkommene kreative Kontrolle über seine ganz eigene Kampagne.
Fortan kannst du also zusammen Abenteuer erleben, Waisenhäuser befreien und Drachen bekämpfen, nur dass du statt eines Charakterbogens den eigenen Bildschirm vor dir hast. Der Game Master ist zudem nicht an die Vorgaben der Kampagne gebunden sondern kann jederzeit auf Vorschläge und Ideen der Spieler eingehen und mit nur wenigen Klicks realisieren.
Ein wenig Fummelarbeit und Vorbereitungszeit ist für das Erstellen einer Kampagne natürlich notwendig, aber das sind D&D-Spieler ja bereits aus der Papiervorlage gewohnt. Wer direkt loslegen will, kann auch fertige Kampagnen anderer Spieler aus dem Steam Workshop laden.
Mein Fazit zu Divinity: Original Sin 2
Gibt es an Divinity: Original Sin 2 überhaupt etwas auszusetzen? Ja, Kleinigkeiten. Die komplexen Mechaniken benötigen etwas Einarbeitungszeit und sind nur selten selbsterklärend. Das Interface erschwert die Zugänglichkeit zusätzlich, die gefühlt unendlichen Interaktionsmöglichkeiten sind nun mal auf ebenso vielen Knöpfen und auf ebenso viele Menüs verteilt. Ist diese Einstiegshürde, die ohne Frage nicht unbedingt jeder nehmen will, erst einmal überwunden, ist Divinity: Original Sin 2 eine einzigartige Erfahrung, die die Stärken des Vorgängers nicht nur übertrifft, sondern an völlig unerwarteten Stellen sogar noch erweitert und das ganz ohne Aufpreis. Die Dialoge sind voll vertont, das bereits großartige Element-System wurde sinnvoll erweitert und Spiel-Modi wie die Arena oder den Game Master Mode hätte wahrscheinlich jeder Triple-A-Publisher als kostenpflichtigen DLC nachgereicht. Larian Studios beschenkt seine Fans jedoch in jeder Hinsicht mit einem absoluten Rollenspiel-Meisterwerk.
Wird dir gefallen, wenn du auf ein anspruchsvolles Kampfsystem und Rollenspielwerte der alten Schule stehst.
Wird dir nicht gefallen, wenn du unkomplizierte Abenteuer bevorzugst, die dich an die Hand nehmen und wenig Einarbeitung erfordern.
Wertung
“Kann den Vorgänger in jeder Hinsicht übertreffen, erweitert das Kampfsystem um sinnvolle Neuerungen und nimmt den Spieler und dessen Kreativität ernst. Ein Rollenspiel-Meisterwerk.”