Statt eines grauen Ödlands grünt und blüht Hope County in Far Cry: New Dawn. Das weckt Hoffnung, dass auch das Gameplay entsprechend bunt und abwechslungsreich ausfällt. Doch so wirklich kann New Dawn nicht aus dem Schatten von Far Cry 5 treten.
Hinweis: Dieser Test enthält massive Spoiler zum Finale von Far Cry 5. Solltest du das Spiel noch durchspielen wollen, empfehlen wir dir, weder weiterzulesen noch Far Cry: New Dawn zu spielen, da das Spinoff ebenfalls das Ende des Hauptspiels verrät.
Bevor ich zu Far Cry: New Dawn komme, muss ich erst einmal über einen Lieblingsfilm meiner Kindheit sprechen: Das russische Märchen Feuer, Wasser und Posaunen aus dem Jahr 1968. Darin leidet der Zar des Meeres an der Grünen Langeweile. Die Beraterin des Zaren weiß Abhilfe und holt die schönen Jungfern herbei, die im Kreis tanzen. Der Zar zeigt sich unbeeindruckt, schließlich haben sie gestern doch bereits das Gleiche gemacht. Die Beraterin protestiert. Während die Jungfern gestern noch rechts nach links tanzten, tanzen sie heute von links nach rechts!
Anschließend lässt sie die Jungfern ein Lied singen: Den Klassiker Kalinka. Der Zar unterbricht. Er habe dieses Lied bereits tausend Mal gehört. Gibt es denn kein anderes? Natürlich, verkündet die Beraterin stolz! Und so singen die schönen Jungfern nicht Kalinka, sondern stattdessen Malinka. Zwei ganz verschiedene Lieder!
Worauf ich hinaus will, dürfte denke ich klar sein. Far Cry: New Dawn erfindet das Rad nicht neu, sondern ist einfach nur mehr von Far Cry 5. Hier wird ein wenig die Richtung geändert, dort ein Name ausgetauscht, letztendlich bleibt aber alles beim Alten. Die Frage ist nun: Ist das gut oder schlecht?
Optisch macht die Postapokalypse eine ganze Menge her:
17 Jahre später
Far Cry: New Dawn macht kein Geheimnis daraus, dass das Spiel in weiten Teilen auf Far Cry 5 basiert. Es spielt erneut in Hope County, nur diesmal eben 17 Jahre nach dem explosiven Finale des Vorgängers. Moment mal, explosives Finale? Ja, wer Far Cry 5 nicht durchgespielt hat, wird New Dawn womöglich mit dem ein oder anderen Fragezeichen im Gesicht beginnen. Daher hier die Kurzfassung: Am Ende des Spiels startet tatsächlich die prophezeite Apokalypse, Hope County wird von Atombomben verwüstet und der Spieler wird gemeinsam mit Bösewicht Joseph Seed im Atombunker eingesperrt.
Einige Jahre später trauen sich die ersten Menschen wieder aus ihren Bunkern hervor und staunen nicht schlecht. Denn statt eines grauen Ödlands sehen sie, dass die Welt aufs neue ergrünt ist. Die perfekte Voraussetzung, um ein neues Leben, eine neue Gemeinschaft aufzubauen. Und dort kommst du ins Spiel.
Du gehörst zum Team von Thomas Rush, der landesweit dabei hilft, Gemeinschaften beim Wiederaufbau zu helfen. Sein nächstes Projekt ist Hope County, genauer gesagt die Siedlung Prosperity. Die Hilfsaktion scheitert allerdings schon, bevor sie beginnen kann: Der Zug nach Hope County wird von den Highwaymen angegriffen, angeführt von den berüchtigten Zwillingen Mickey und Lou. Diese wollen die Ressourcen von Prosperity für sich selbst und nehmen Thomas Rush gefangen. Nur mit knapper Not kannst du entkommen.
Natürlich dauert es nicht lange, bis Rush wieder auf freiem Fuß ist. Gegen die Bedrohung durch die Highwaymen ist dennoch kein Gras gewachsen. Die Bewohner von Prosperity stehen also vor einem Dilemma, denn das einzige, das Schutz vor den Zwillingen verspricht, ist ein Bündnis mit New Eden – den übrig gebliebenen Anhängern von Joseph Seed.
Zwei ist mehr als eins
Eine Open World, die von Wahnsinnigen bedroht wird – soweit, so Far Cry. Ein paar Änderungen gibt es dann aber doch. Allen voran die leichten RPG-Elemente. Zugegeben, mit Rollenspiel hat das nicht viel zu tun, vielmehr geht es darum, dass du deine Basis, deine Waffen, Begleiter und deine Ausrüstung in vier Stufen aufwerten kannst. Das ist auch nötig, denn auch deine Gegner begegnen dir in unterschiedlich starken Versionen.
Wem etwa ein Level 3-Gegner vor die Level 1-Flinte läuft, sollte besser die Beine in die Hand nehmen, denn ausreichende gepanzerten Gegner sehen auch nach dem dritten leer geschossenen Magazin keinen Anlass, zu Boden zu gehen. Das kann irritieren, gerade wenn du den Vorgänger gespielt hast und derartigen Level-Systemen wie etwa in Borderlands eher kritisch gegenüberstehst. Wenn auch der dritte Kopftreffer noch immer nicht tödlich ist, dürfen sich Shooter-Veteranen durchaus veralbert vorkommen.
Umso mehr motiviert es, die Upgrades schließlich freischalten zu können und es der gepanzerten Nervensäge mit einer besseren Waffe endlich heimzuzahlen. Um die Upgrades durchführen zu können, benötigst du jedoch Ethanol, das du primär für das Erobern feindlicher Außenposten erhältst. Ich gebe zu, während mir in Far Cry 5 beim ständigen Abklappern der Außenposten vor Langeweile beinahe die Bibel aus der Hand gefallen ist, ist in Far Cry: New Dawn die bessere Waffenbank, die erhöhte Lebensenergie oder das nächste Karten-Upgrade stets nur ein oder zwei Eroberungen entfernt. Überraschend motivierend.
(Nicht) aus alten Fehlern lernen
Darüberhinaus hat Far Cry: New Dawn dem Vorgänger Far Cry 5 voraus, dass du die Nebenbeschäftigung weitestgehend auch ignorieren kannst, wenn du das möchtest. Zwar gibt es zwei Quests, in denen es deine Aufgabe ist, Prosperity auszubauen, davon abgesehen kannst du aber stets die nächste Hauptquest ungeachtet deiner Nebenaufgaben annehmen. Das ist eine willkommene Abwechslung zum „Mach was du willst und irgendwann geht die Story weiter“-Prinzip von Far Cry 5.
Far Cry: New Dawn hat also das, was Far Cry 5 definitiv gefehlt hat: Einen roten Faden. Gleichzeitig übernimmt das Spiel leider auch eine der größten Schwächen des Vorgängers – die Story. Schon in Joseph Seeds endlosen Monologen in Far Cry 5 tut das Spiel so, als hätte es die Weisheit mit Löffeln gegessen, obwohl der vermeintlich hypnotische Antagonist nichts tut außer zusammenhangslose, pseudo-philosophische Floskeln aneinanderzureihen.
Als Far Cry: New Dawn angekündigt wurde, hatte ich die Hoffnung, dass Ubisoft genau diesen Aspekt außen vor lässt und einfach nur bunte Endzeit-Action bietet, ohne plattes Phrasengedresche und Poesiealbums-Weltschmerz. War dann aber leider nicht so. Statt eines Endzeit-Spinoffs fühlt sich Far Cry: New Dawn eher an wie ein verspäteter Epilog zu Far Cry 5.
Wie sich Hope County seit Far Cry 5 verändert hat, macht die Quest-Reihe „Tausend Worte“ besonders deutlich:
Mein Test-Fazit zu Far Cry: New Dawn
Statt erneut 30 bis 40 Stunden in ein Open World-Abenteuer wie Far Cry 5 zu stecken, ist Far Cry: New Dawn bereits nach 20 Stunden vorbei. Mir persönlich ist das ganz recht, ist die Spielerfahrung dadurch deutlich fokussierter und weniger beliebig. Selbst Nebenbeschäftigungen wie die Außenposten auszubauen gewinnen dank des Upgrade-Systems an Relevanz. Andererseits betont das System weiter die inhärente Schwäche des Franchises: Es ist eben immer das gleiche.
Dementsprechend dürfte die Entscheidung, ob New Dawn ein Spiel für dich ist oder nicht, relativ leicht ausfallen: Wenn du von Far Cry 5 gar nicht genug bekommen konntest, ist New Dawn genau das Richtige für dich. Denn es ist genau das – mehr Far Cry. Noch dazu kostet das Spiel nur 45 Euro, statt von dir den Vollpreis von 70 Euro zu verlangen. Falls du hingegen bereits in Far Cry 5 die Geduld verloren hast, dann kann ich dir stattdessen das eingangs erwähnte tolle, russische Märchen empfehlen. Die Grüne Langweile hat der Meerzar am Ende übrigens überwunden, indem er das Lesen lernte.
Wird dir gefallen, wenn dir bereits Far Cry 5 gefallen hat und du dich auf ein Wiedersehen mit zahlreichen Charakteren und einen Abschluss der Handlung freust.
Wird dir nicht gefallen, wenn du dich an der Ubisoft-Formel schon vor Jahren satt gespielt hast.
Wertung
“Far Cry: New Dawn erzählt die Story des Vorgängers zu Ende und verleiht der Open World mehr Struktur, verlässt sich letztendlich aber erneut auf das bekannte und immer gleiche Gameplay.”