Für mich ist es schwer, diese Fragen zu beantworten, gehöre ich doch schon lange nicht mehr in die Zielgruppe der Webvideoproduzenten. Einige Zuschauer beschweren sich in den Kommentaren über das Vorgehen der falschen Behauptungen in den Videotiteln. Als Antwort bekommen sie jedoch häufig eine Wucht aus Fanatismus und Personenkult zu spüren.
Ich bin letztens auf eine andere Art von üblem Fortnite-Clickbait gestoßen. Der deutsche YouTuber Fatih Brate verspricht in seinem Video, für jeden Kill im Spiel seinen Bruder eine Ohrfeige zu geben. Diese Masche an sich lasse ich mal unkommentiert. Am Ende stellte sich heraus, dass er das Gameplay eines kleinen YouTubers geklaut hat und nur so tat, als ob er spielen würde. Er gibt keine Quelle an, sondern verdient damit Geld. Als er von anderen Let’s Playern auf diesen Fake angesprochen wird, entschuldigt er sich halbherzig und argumentiert, er wollte doch nur etwas Lustiges schaffen. Das Video lässt er aber so stehen und löscht es nicht. Clever. Mit dem Hype um den Content-Klau verdient er viel Geld mit dem unseriösen Inhalt.
Auch im Fall von Fortnite-YouTuber Ali-A werden Inhalte von anderen geklaut, um Umsatz zu generieren. Zum Verständnis für Menschen fernab der 30, die sich nicht mit dem aktuellen YouTube-Geschehen auskennen: Wie Forbes jüngst feststellte, bekommst du 49 Ali-A-Videos von 120 Ergebnissen ganz oben angezeigt, wenn du nach „Fortnite“ bei YouTube suchst. Seine Videos laufen immer nach dem gleichen Schema ab: Ali-A mit offenem Mund auf dem Thumbnail, große Buchstaben und die Wörter „destroy“, „win“ und „kill“ in der Überschrift und Minutenanzahlen abseits der magischen 10-Minuten-Marke.
Wenn er titelt, dass es eine neue Map in Fortnite: Battle Royale gibt, kommt er sogar mit neuen Karten um die Ecke. Diese stammen von Reddit-Nutzern, die sich kreativ ausgelebt und Grafiken erstellt haben, wie eine neue Map aussehen könnte. Wenn Ali-A diese Bilder zeigt, suchst du die Quellenangabe vergeblich. Das löste selbstverständlich großen Unmut in der Reddit-Community aus, was zur Folge hatte, dass jetzt diese Wasserzeichen auf den eigens erstellten Grafiken thronen:
Clickbait und Fortnite kommt in Ausmaßen, die wir und vor allem YouTube schon lange nicht mehr fassen können. Dabei findest du in dem betreffenden Content immer mindestens eines dieser Probleme:
- Falscher oder irreführender Titel
- Falsche oder irreführende Thumbnails
- Falscher oder grenzüberschreitender Inhalt
Für alle drei habe ich jeweils ein Beispiel herausgesucht, das dir zeigen soll, wie sich Clickbait in der letzten Zeit entwickelt hat. Mit jedem Hype wie Pokémon GO oder eben auch Fortnite beschleunigt sich die Clickbait-Maschinerie und legt einen Zahn zu. So sehr, dass „Clickbait“ nicht mehr passend dafür erscheint. Wie wäre es mit „Clickfake“?
Das obere Bild zeigt eindrucksvoll die besten zwei Beispiele, die ich schnell zum Thema „Neue Map“ finden konnte. Die Entwickler von Fortnite stellten relativ schnell klar, dass es in nächster Zeit keine zweite Karte für den Battle-Royale-Modus geben wird, da sie an der ersten noch viel ändern wollen.
Es gibt auch gute Beispiele dafür, wie YouTube-Titel auch aussehen können, du findest sie bei großen Fortnite-Streamern. Ninja zum Beispiel erreicht ein großes Publikum durch seine Bekanntheit, setzt aber in seinem YouTube-Channel auf normale Titel.
Doch auch Thumbnails werden immer Clickfake-iger. Während sich einige noch mit offenen Mündern, Emojis und WTF-Schriftzügen auf dem Teaserbildchen zeigen, gehen andere einen Schritt weiter. Jake Paul, der nicht weniger grenzüberschreitende Bruder von Logan Paul, zeigte vor einigen Wochen, wie Thumbnails die größtmöglichste Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Er wollte in seinem Video zeigen, wie er 200.000 US-Dollar an seinen liebsten Twitch-Streamer spendet. Das Thumbnail zeigte Ninja. Dieser Twitch-Streamer, der mit bürgerlichem Namen Tyler Blevins heißt, wird oft als „Fortnite God“ angepriesen - einerseits, weil er einfach gut spielt, andererseits, weil er zahlreiche Zuschauerrekorde bricht. Machen YouTuber mit ihm Werbung, zieht das Klicks. Das erkannte auch Jake Paul und fügte sein Bild schnell auf das Thumbnail.
Mit Blick in das Video wurde aber schnell (nach etwa 6 Minuten) klar, dass er nicht Ninja, sondern zwei befreundeten Streamern jeweils 100.000 Us-Dollar spendet. Die Fans von Blevins sprachen ihn daraufhin in seinem Stream an. Ninja wollte sich aber nicht dazu äußern. „Ihr gebt ihm, was er will. Jeder redet über ihn“, war seine Aussage dazu. Jake Paul ließ es sich aber nicht nehmen, noch ein Video zu erstellen, welches Klicks mithilfe von Ninja zieht und als Antwort auf das ganze Dilemma gedacht ist:
Mein Prozess, Videos zu erstellen, ist so schnell. Filmen, Bearbeiten, Thumbnail und Titel. Jeder fing an, durchzudrehen. Ich habe das Thumbnail geändert. Und ja, ich hätte es vermutlich nicht tun sollen. Ninja, es tut mir leid. Ich will aber auch sagen: Am Ende des Tages gibt es so viele Leute, die mich auch 'clickbaiten‘.
Ein Freund von Paul fügt hinzu, dass YouTube voll ist mit Clickbait zu Fortnite - in einem Video, das sich „My Response to Ninja..“ nennt, aber erst ab Minute 6 von insgesamt 9 mit dem Thema startet.
Auch hier wieder ein Beispiel, wie gute Thumbnails aussehen können: Link zum YouTube-Channel vom Streamer Dakotaz.
Für das dritte Beispiel, falscher und/oder grenzüberschreitender Content, fahre ich die harten Geschütze auf. Vor einiger Zeit hat der YouTuber touchdalight ein Video veröffentlicht, das sich „One Kill = One Clothing With My 13-Year-Old Sister“ nennt. Mittlerweile ist bekannt, dass es nicht seine Schwester war, sondern eine volljährige YouTuberin. Als das ganze Internet davon sprach, veröffentlichte auch er ein Video, in dem er sich entschuldigen wollte. Hier ein Auszug aus dem Video, das sich „i'm the biggest meme of 2018“ nennt:
Es ist viel passiert. Ich ging sowas wie viral auf Twitter letzte Nacht. Viele berühmte Leute erwähnten mich. Ich gehe durch viel Mist gerade und bekomme viel Hass. Ich bin nicht diese komische Person, von der alle denken, dass ich so bin. Ich bin wortwörtlich nur ein Junge, der zu seiner Kamera spricht und versucht, ein paar Clickbait-Videos zu erstellen, um meinen Namen nach draußen zu tragen. Mein Name ist jetzt draußen, aber vermutlich nicht aus einem guten Grund. Ich bin aber keine böse Person. Mein Humor ist so verkorkst, bis zu einem Punkt, bei dem ich nicht mehr weiß, wo ich stoppen soll. Ich habe buchstäblich kein Limit mehr. Ich bereue das, was ich getan habe.
Er hat das Video jetzt gelöscht; erwähnt gleichzeitig, dass er sowas nie wieder tun will und dass er eine Pause braucht. Er mache aber auch YouTube-Geschichte, sagt er. Ist da Freude in seinen Augen? Die Pause, die er anspricht, dauerte eine Woche. Vermutlich hatte er in der freien Zeit sein neuestes Werk gedreht: „Drinking My Pee For a Week Straight (WARNING)“. Weitere Videos aus seinem Portfolio sind: „Telling her I kisses another girl...“, „I should probably delete this video...“ oder „Trying drugs I Bought From Ebay For Under £10!!“. Ein weiteres Video wurde im Rahmen der Berichterstattung über ihn verändert:
„Du kannst dumm und widerwärtig sein, aber dennoch Erfolg haben“
Der YouTuber Philip DeFranco arbeitet regelmäßig relevante Themen in seiner Show auf YouTube auf. Mitte April sprach er in einem Video über den Fall von touchdalight. Dabei sagte er: „Du kannst dumm und widerwärtig sein, aber dennoch Erfolg haben“. Er spielte auch auf Logan Paul an, der zwar viel Hass für seine Aktion im japanischen Wald Aokigahara bekam, jetzt aber weitestgehend so weitermachen kann wie bisher.
Die Clickfake-Maschinerie dreht sich also immer weiter. So ähnlich beschreibt es auch YouTuber RiceGum. Seine größte Leistung besteht darin, Strip-Fortnite-Videos zu erstellen. Macht er einen Kill, ziehen sich die Frauen neben ihm aus. Ähnlich wie bei touchdalight, nur eben mit volljährigen Frauen. Als ein großer Fortnite-Streamer sagt, dass seine Videos nicht gut seien, antworte er darauf - in einem Clickbait-Video.
Alles, was ich dazu sagen kann, ist: wow. Ich bin sprachlos. Das ist respektlos. Ich würde es niemals eingestehen, aber ich glaube, ich muss es tun, seitdem mich viele Leute dafür hassen, solche Videos zu produzieren: Wäre mein erstes Strip-Video nicht so viral gegangen und hätte es nicht so viele Views gemacht, hätte ich nicht weitergemacht. Aber der Fakt, dass es viele gesehen haben und es abging - ich musste Teil 2, Teil 3 und Teil 4 einfach machen. Wenn ich weiß, dass eine bestimmte Videoart absurd viele Views bekommt, warum sollte ich es nicht ausnutzen und Videos dazu raushauen? Schaut euch die Views an, alter.
Witzig, dass er von „Disrespect“ spricht, bringt er doch Frauen neben sich dazu, sich auszuziehen und tut dann so, als ob er nicht hinschaut. Aber das nebenbei. Wie soll es weitergehen? YouTube veröffentlichte im Sommer 2017 seine eigene Art der Anti-Clickbait-Maßnahme. Seitdem siehst du GIF-ähnliche Previews, wenn du mit der Maus über die Thumbnails hoverst. Ob sich derjenige, der sich das ausgedacht hat, jetzt wohl zufrieden auf die Schulter klopft?
Soll das schon die Lösung des Problems sein? Sollten wir 12- bis 14-Jährigen bereits zutrauen, kritisch zu hinterfragen? Oder frönen besonders junge Spieler noch dem Personenkult um ihren Lieblingsstreamer, sodass sie einfach alles liken, was die Person macht? Wachsen junge Gamer mit dem Wissen auf, dass es okay ist, mit Lügen Geld zu machen, sehe ich hier ein großes Problem. So riesig, dass ich sogar Dorothee Bär, unsere Staatsministerin für Digitalisierung (CDU), als Hoffnungsträgerin sehe, wenn sie sagt, dass Programmieren und Medienkunde in den Schulunterricht gehören.
Es gibt noch mehr Battle Royale-Spiele als nur Fortnite:
Ich hatte diese Chance nicht. Lernte ich erst im Medienstudium, was das große weite Web zu bieten und zu locken hat. Deshalb wäre genau das ein möglicher Lösungsweg: Medienkunde als Unterrichtsfach. Zudem sollten sich auch Eltern mehr dafür interessieren, was ihre Kinder so im Netz produzieren oder aber liken. Dass das leider nicht immer der Fall ist, zeigt eine Mutter, die sich gegen Epic Games stellte, als sie erfährt, dass ihr Sohn angeklagt wird. Er zeigte in YouTube-Videos, wie Spieler in Fortnite cheaten können. Der angebotene Service ist natürlich nicht kostenlos. Die Mutter war ahnungslos, geht aber eher gegen die Macher des Spiels, anstatt kritisch zu hinterfragen, was ihr Sohn da im Internet macht.
Auch Unternehmen wie YouTube (bzw. Google) und Twitch (bzw. Amazon) haben wenig bis gar kein Interesse daran, den auf ihren Plattformen erstellten Clickbait-Content zu reglementieren. Große Meinungsmacher, die auf diesen Portalen Content erstellen, sehen sich dafür aber zunehmend in der Pflicht, solche Lügen in Inhalten aufzudecken. Und auch die Zielgruppe scheint sich langsam daran zu stören. Im Januar 2018 wurden 1.900 Personen von 14 bis 29 Jahren befragt, was sie am meisten bei der Videoplattform nervt. Der zweithäufigste Grund ist Clickbaiting in Videotiteln mit 27 Prozent. Es gibt sie also - die Hoffnung. Nicht die neue Map für Fortnite BR.