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Kingdom Come Deliverance im Test: Mit Schwert, Schild und Waschlappen


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Hasenjagd statt Drachentöten. Kingdom Come Deliverance verzichtet auf Magie und Fabelwesen und versucht stattdessen, einen authentischen Mittelalteralltag zu inszenieren. Interaktives Geschichtsbuch oder doch nur ein Rollenspiel?

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Kingdom Come: Deliverance - Launch Trailer

Is this the real life? Is this just fantasy?“ sang Freddie Mercury 1975 in Bohemian Rhapsody, der böhmischen Rhapsodie. Ist das Realität oder nur Fantasie? Gute Frage, schließlich will Kingdom Come Deliverance genau diese Grenze zwischen Rollenspiel und interaktiver Geschichtsstunde verschwimmen lassen und ein mittelalterliches Böhmen rekreieren, so wie es im damaligen Spätmittelalter existiert haben könnte.

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Der Entwickler Warhorse Studios stand mit seiner Begeisterung für ein solches Konzept nicht allein da. Über 1.100.000 Pfund wurden von mehr als 35.000 Unterstützern auf Kickstarter zusammengetragen — das erfolgreichste Projekt des Jahres 2014.

Böhmische Dörfer

Das Jahr ist 1403. Seit dem Tod des Königs Karl IV. sind 25 Jahre vergangen, in denen sein Sohn Wenzel, Der Faule, das Zepter trägt. Von derartiger Weltpolitik bekommt Heinrich, der Held des Spieles jedoch wenig mit. Zwar träumt er von einem Leben voller Abenteuer, vertreibt sich als Sohn des lokalen Schmiedes jedoch die Zeit im Wirtshaus und jagt Röcken hinterher. Das Leben im Dorf Skalitz ist friedlich und ereignislos. Gerade als er seinem Vater bei der Herstellung eines besonders imposanten Schwertes für den ortsansässigen Lehnsherren hilft, wird sein Heimatort jedoch von einer fremden Armee überrannt. Diese gehört zu Sigismund, Wenzels Halbbruder, der die böhmische Herrschaft mit Gewalt an sich reißen will.

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Lange Rede, kurzer Sinn: Heinrich kommt nur knapp mit dem Leben davon, verliert bei dem Angriff beide Eltern und obendrein wird auch noch das wertvolle Schwert entwendet. Glücklicherweise nimmt Herr Radzig ihn in seinen Dienst auf und so geht Heinrichs Wunsch vom abenteuerlichen Leben voller Schwertkämpfe und Heldentaten doch noch in Erfüllung. Oder etwa nicht?

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Im Dienste deines neuen Herren, steht dir die Spielwelt endlich offen. Diese ist im Vergleich mit anderen Open-World-Spielen zwar vergleichsweise überschaubar, aber dafür umso detaillierter und stimmungsvoller. Siedlungen wie Talmberg oder Rattay fühlen sich bereits nach kurzer Zeit wie dein Zuhause an und auch die umliegenden Wälder durchstreifst du nach einiger Zeit ganz ohne Karte. Die Hauptquest erzählt allerdings keine epische Geschichte, in der du zum Feuerball werfenden Drachentöter mutierst, sondern schickt dich als Ermittler in alle Ecken der Spielwelt, um den Strippenziehern diverser Überfälle auf die Schliche zu kommen, die seit geraumer Zeit Böhmen heimsuchen.

Dabei verschmelzen Haupt- und Nebenquest angenehm organisch ineinander. Jede Aufgabe fühlt sich wie ein logischer Bestandteil der Spielwelt an, alles was du tust ist stets nachvollziehbar und erzählt nette Geschichten. So betrinkst du dich mit einem nicht ganz so frommen Pfarrer, um Informationen über einen verschwundenen Verbrecher zu erlangen. Oder du hilfst dabei, ein Dorf von einer mysteriösen Seuche zu heilen, kurz nachdem dieses von unbekannten Banditen überfallen wurde. Die Quests und die damit zusammenhängenden Geschichten sind eine der großen Stärken von Kingdom Come Deliverance.

Die Feder ist mächtiger als das Schwert

Immersion wird in Kingdom Come Deliverance groß geschrieben. Logisch, steht ja auch so im Duden. In der Praxis bedeutet das allerdings, dass das Spiel Wert darauf legt, den mittelalterlichen Alltag so umfassend wie möglich einzufangen. NPCs folgen einem logischen Tagesablauf, watscheln also am Morgen erst einmal zum Wassertrog, um sich zu waschen, kleiden sich anschließend ein und beginnen den Arbeitstag. Am Abend findest du sie beim Bier im Gasthaus wieder.

Auch Heinrich ist auf einen ähnlichen Tagesablauf angewiesen. Je länger du spielst, desto mehr sinkt deine Energie, du wirst hungrig, verdreckst und auch Wunden müssen mit Verbänden gestillt und mit ausreichend Schlaf auskuriert werden. Regelmäßiges Essen und Schlafen ist also Pflicht. Und wer hat nicht schon einmal in Skyrim mitten im Kampf 28 Käseräder verschlungen? Ist in Kingdom Come Deliverance zwar auch möglich, endet aber mit dicken Magenschmerzen und dementsprechenden Status-Nachteilen. Gammelte der Käse gar seit mehreren Tagen in deinem Inventar, kommt außerdem eine nette Lebensmittelvergiftung dazu, schließlich existiert das Mindesthaltbarkeitsdatum nicht zum Scherz.

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Willst du Items aus deinem überfüllten Inventar verkaufen, musst du zum richtigen Händler gehen. Bei der Gemüsefrau auf dem Marktplatz wirst du dein erbeutetes Kettenhemd nur schwer los. Kaputte Rüstungen kann nur der Schmied wiederherstellen, zerrissene Hosen oder Schuhe werden hingegen beim Schneider geflickt. Willst du hingegen Fleisch verkaufen, dass du beim Jagen im Wald gesammelt hast, musst du erst einmal einen geeigneten Hehler suchen — Wilderei ist im Jahr 1403 schließlich illegal.

Authentizität bedeutet aber auch, dass Kämpfe die Ausnahme im Mittelalteralltag darstellen. Die meiste Zeit verbringst du in Dialogen, mit der Erkundung der Wälder oder beim Schlösserknacken und Taschendiebstahl, insofern sich dein Heinrich für die schiefe Bahn entschieden hat. Tatsächlich lassen sich Kämpfe bis auf wenige Ausnahmen fast vollständig vermeiden, da in erster Linie die Dialog-Optionen über den Quest-Verlauf entscheiden. Wer sich bereits früh auf Wortgewandtheit spezialisiert, kann sich in den meisten Fällen jede Menge Ärger ersparen. Allerdings entscheidet nicht nur dein Skill über Erfolg und Niederlage, sondern auch dein Äußeres. Hast du dich die letzten drei Tage im Wald durch dichtes Unterholz geschlagen und versuchst nun einen Edelmann zu überreden? Lieber erstmal einen Besuch im Badehaus einplanen, denn mit mangelnder Hygiene erreichst du bei den meisten Gesprächspartnern lediglich eine rasche Verabschiedung. Mit dem richtigen Talent, kann sich männlicher Geruch aber durchaus auch positiv auf deinen Erfolg bei den Damen auswirken.

Theresa oder Stephanie? Wer ist dein Herzblatt in Kingdom Come: Deliverance?

Kingdom Come Deliverance schafft es auf beeindruckende Art und Weise, eine immersive und vor allem glaubhafte Spielwelt zu erschaffen. Jeder Charakter, jedes Gebäude und jedes Gespräch hat einen Sinn innerhalb der Spielwelt, alles wirkt wie aus einem Guss. Dadurch wird das Spiel zwar nicht zur historisch akkuraten Simulation — die auch kein Spiel jemals sein kann — erschafft aber dennoch eine glaubwürdige Atmosphäre, die sich vor der Konkurrenz nicht verstecken muss.

Lektionen mit dem Stahl-Knigge

Kommt es dennoch einmal zum Kampf, demonstriert Kingdom Come Deliverance eine weitere Facette seiner Komplexität. Ob Schlag, Stich, Block, Finte, Ausweichschritt oder Parade — das Kampfsystem setzt die Feinheiten eines Schwertkampfes nahezu penibel um, was allerdings nicht nur Vorteile hat. Ein derart komplexes System zu meistern erfordert schließlich Übung, die dir aber chronisch fehlt. Läuft dir im Wald ein Halsabschneider über den Weg, liegt der letzte Kampf schließlich bereits bis zu fünf Stunden her. Mit welcher Taste konnte Heinrich noch einmal blocken? Insbesondere in den wenigen Fällen, in denen du Kämpfe nicht vermeiden kannst, kann das in echtem Frust enden.

Erschwert werden die Kämpfe zudem durch ein sehr eingeschränktes Speichersystem, denn gesichert wird dein Spielstand nur zum Beginn von Quests sowie beim Schlafen im eigenen Bett. Hast du hingegen Bammel vor einem Kampf oder entscheidenden Dialog, der mitten in der Wildnis stattfindet, kannst du dir zuvor Mut antrinken. Durch den Konsum eines Retterschnapses wird das Spiel manuell gespeichert, allerdings ist das Getränk gerade zu Beginn schwer zu beschaffen, im späteren Spielverlauf ist der Trunk bei gefülltem Geldbeutel und Alchemiekenntnissen zwar deutlich präsenter, wer es mit dem Speichern jedoch übertreibt, muss auch mit dem Folgen des Alkoholkonsums leben.

Alternativ kannst du auch zu Pfeil und Bogen greifen, allerdings erfordert dies ebenfalls Übung, die dank Jagdaufträgen und Schießständen deutlich zugänglicher ist. Der Clou: Es gibt kein Fadenkreuz. Wer zum Meisterschützen werden will, muss also an seiner eigenen Hand-Auge-Koordination arbeiten. Hast du aber erstmal den buchstäblichen Bogen raus, wird die Waffe schnell zum mächtigen Mordwerkzeug.

Technik aus dem Mittelalter

Optisch ist Kingdom Come Deliverance ein zweischneidiges Schwert. In den Außenlevels, insbesondere den dichten Wäldern, fährt die CryEngine zur vollen Stärke auf und präsentiert Grafik, bei der so manche Kinnlade auf den Boden knallt. In den spärlich beleuchtet Innenräumen ist von diesem Glanz leider nur wenig übrig. Besonders unangenehm fallen allerdings die Gesichtsanimationen auf, was insofern besonders unglücklich ist, als ein Großteil der Spielzeit von Dialogen geprägt ist.

Auch die deutsche Vertonung ist nicht ohne Probleme. Zwar leisteten die Sprecher durchweg eine solide Arbeit, von Lippensynchronität kann jedoch keine Rede sein. Deutlich besser sieht das hingegen in der englischen Sprachausgabe aus, zu der du jederzeit wechseln kannst. Auch bei den Untertiteln stehen dir allerhand Möglichkeiten offen. Du spielst am liebsten mit französischem Ton und russischen Texten? Kein Problem. Leider ist das Spiel jedoch auch abseits der Vertonung nicht frei von Bugs, über die du im Spielverlauf zwar immer wieder stolperst, die jedoch nie zu einen Totalausfall des Spiels führen.

Mein Fazit zu Kingdom Come Deliverance

Zugegeben, Kingdom Come Deliverance ist am Ende des Tages nur ein Spiel und keine realistische Simulation des mittelalterlichen Alltags. Wer genau hinsieht, findet all zu viele Unstimmigkeiten. Es gibt keine Kinder, nur heterosexuelle Liebe, du kannst jederzeit dein Pferd herbeipfeifen, es findet kein Jahreszeitenwechsel statt und auch die gelegentlichen Bugs zerstören zweifelsohne die Illusion. Dennoch gibt es kaum ein anderes Spiel, in dem du so tief in der Spielwelt versinken kannst. Jeder NPC, jedes Geschäft, jede Aktivität und jeder Skill hat seine Berechtigung, alles wirkt aus einem Guss und es macht Spaß, sich einfach dem bodenständigen Alltag hinzugeben, statt heldenhaft Orks und Drachen zu bekämpfen. Die damit verbundene Fummelei mag nicht jedermanns Sache sein, schließlich gibt es genug Spieler, die von einem Spiel einen fantastischen Ausweg aus ihrem regulären Alltag suchen und keinen zweiten bestreiten wollen. Für waschechte Rollenspieler, die tagelang in einem einzigen Spiel versumpfen wollen, sind mit Kingdom Come Deliverance aber trotz allem an der richtigen Adresse. Spätestens wenn du eines Abend auf die Uhr schaust und feststellst, dass du die vergangenen drei Stunden mit der Kaninchenjagd im Wald verbracht hast, wirst du wissen, was ich meine.

Wird dir gefallen, wenn du Quests am liebsten mit Dialogen löst, dich ein entschleunigtes Spieltempo nicht abschreckt.

Wird dir nicht gefallen, wenn du auf unkomplizierte Kämpfe stehst und ein Rollenspiel dir eine epische Story bieten muss.

Wertung

7,5/10

“Immersives Mittelalter-Abenteuer für echte Rollenspieler, die technische Rückschläge verzeihen können und Quests lieber mit Worten statt Schlägen lösen.”

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