Arthur weiß, dass du RDR2 nicht durchgespielt hast. Aber hier ist die gute Nachricht: Du bist nicht allein. Du schlägst auf den Tisch und rufst, „Doch, ich habe Red Dead Redemption 2 durchgespielt!“? Herzlichen Glückwunsch, lieber Leser – du hast meinen Respekt sowie ein Schulterklopfen verdient. Wärst du ein Item im Spiel oder gar eine Trophäe, würde neben deinem Namen ein „ungewöhnlich“ oder gar „selten“ stehen, und ja: Ich bin ein bisschen neidisch. Dein Nachbar-Leser vielleicht auch, denn der hat Red Dead Redemption 2 garantiert nicht durchgespielt. Ich weiß das. Ich sehe es in seinem Blick.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Meinungsartikel, der den Standpunkt unserer Redakteurin widerspiegelt und nicht zwingend der Meinung der gesamten Redaktion entsprechen muss. Er erhebt keinen Anspruch auf eine universell gültige Wahrheit und deckt sich vielleicht nicht mit deinen eigenen Vorstellungen.
Red Dead Redemption 2 hat unser Weihnachten nicht nur versüßt, sondern ist im Galopp über die Feiertage geritten und hat sie regelrecht niedergetrampelt. The hype was real – Reddit, Twitter, Facebook und wie sie alle heißen sind regelrecht explodiert. Arthur Morgan und seine Teamkameraden belagerten Google News, als wollten sie höchstpersönlich die Google-Bank ausrauben und Kritiken zum Spiel verbeugten sich schamvoll mit einem „Ich bin unwürdig!“ – bevor sie die Hände gen Himmel erhoben und beteten, denn Gott war ein Rockstar.
Ich werfe niemandem etwas vor, denn hatten sie nicht recht? War Red Dead Redemption 2 nicht eines der besten Spiele, das 2018 aus dem Entwickler-Graben gekrochen ist? Ja, ich bin ganz deiner Meinung, ich werfe mich auf die Knie und deute auf all die Artikel, die ich zum Spiel herausgewürgt habe – mit Liebe. Denn ich habe es geliebt, Red Dead Redemption 2 zu spielen. Bis eine Woche nach Release, mitten im letzten Kapitel von RDR2: Die Liaison war vorbei, ich habe mich verabschiedet und entschieden, „Nein, das Ende interessiert mich jetzt eigentlich nicht mehr. Auf nimmer Wiedersehen.“
Was mich überhaupt dazu brachte, mich in Red Dead Redemption 2 zu verlieben, liest du in meinem kleinen Text zur Immersion im Spiel.
Time To Say Goodbye
Wann kam mir zum ersten Mal der Gedanke, Red Dead ist doch nicht ganz mein Typ? Wann wurden die ersten niedlichen Eigenschaften zu Makeln, wann hatten wir unseren ersten Streit? Im Rückblick kann ich es dir gar nicht so genau sagen, denn es war ein Prozess. Kein plötzliches Aufbäumen, sondern ein träges, langsames Begreifen; ein Ansammeln von jenen Momenten, in denen ich genervt war, ein erschöpftes Ausatmen und der Gedanke: „Puh, erst einmal eine Pause und was anderes spielen“.
Natürlich habe ich es danach nie wieder angefasst.
Der endgültige Cut kam mitten in Kapitel 6. Und da Red Dead Redemption 2 gar nicht in den Sinn kommt, sich auf nur einen Partner festzulegen – ich sehe doch, dass du deine Spieler als eine Art Trophäen siehst, mein Liebster – weiß ich aus zuverlässiger Quelle eines: Ich habe mit Red Dead Redemption 2 lange durchgehalten. Über die Hälfte aller Spieler brechen nach Kapitel 3 ab; damit haben in etwa 50 Prozent die Story geschafft – den zweigeteilten Epilog zähle ich nicht mit.
RDR2 kann auch gruselig sein – wenn du die richtigen Orte besuchst:
Ein sehr knappes Drittel der Spieler beendete Red Dead Redemption 2 auf der PS4; die meisten, die Kapitel 6 schaffen, reiten auch durch den Epilog. Nun magst du anmerken, dass es sicherlich sehr viele derart umfangreiche Spiele nicht schaffen, Käufer bis ans Ende zu treiben. Das stimmt. Aber selbst The Elder Scrolls 5: Skyrim – mit seiner undurchdringlichen, zuweilen seltsamen Story, die nicht im Mittelpunkt des Spiels steht – darf sich einer Spielerschaft auf der PS3 rühmen, deren knappe Hälfte Alduin im letzten Kampf bezwungen hat.
Ich weiß, was du denkst. Skyrim ist uralt, da haben sich die letzten irgendwann auch noch durchgequält – aber so funktionieren diese Prozentangaben nicht. Je älter ein Spiel wird, desto mehr Menschen langen zu und hamstern es für „Irgendwann einmal spielen“: Sales und Angebote lassen den Preis sinken, PS Plus-Gratisspiele ermuntern den Titel zu kaufen, ohne ihn jemals anfassen zu wollen. Ich selbst hole mir jedes noch so uninteressante PS-Plus-Spiel, wenn es kostenlos ist. Warum auch nicht?
Mit den Jahren sinkt also der Prozentsatz jener, die sich bis zum Ende eines Spieles kämpfen. Die Red Dead Redemption 2-Spielerschaft jedoch besteht momentan einzig aus jenen Käufern, die 60 bis 70 Euro für den Titel hingeworfen haben. 70 Euro für ein Spiel, das nur die Hälfte dieser Menschen bis zum dritten Kapitel durchritten. Lasst uns einen Moment innehalten und darüber nachdenken, während wir uns von Arthur verabschieden:
Und jetzt, da wir uns gebührend verabschiedet haben, eine Frage: Warum?
Ist Red Dead Redemption 2 doch nicht so gut gewesen?
Ich bekreuzige mich ehrfurchtsvoll, um den Rockstar da oben im Himmel nicht zu erzürnen. Dennoch kann ich nicht anders, als mich zu wundern – warum hat Red Dead Redemption 2 trotz seiner Genialität in allerlei Aspekten so wenig Erinnerung in mir hinterlassen? Warum interessiert es mich nicht einmal, wie die Geschichte zu Ende geht? Ich habe in meinem Test zum Spiel darüber berichtet, wie wundervoll die Story geschrieben ist. Daran halte ich fest. Aber – wie kann sie dann nach wenigen Monaten so belanglos werden?
Cowboy Alex sagt: Ob ich es nochmal anfasse? Eher nicht. Ich habe mich durch den Prolog gequält, um endlich in die Open World zu gelangen. Nach ein paar Stunden im Spiel reichte es mir aber.
Offensichtlich habe ich mir dazu Gedanken gemacht. Offensichtlich gibt es Antworten. Und die liegen vor uns allen, serviert auf einem Silbertablett – auch wenn es ganz schön hart klingt: Red Dead Redemption 2 war nie etwas besonderes. Oder etwas originelles. Es bewarf uns trotz wundervoller Geschichte mit einem langweiligen, repetitiven Kampfsystem, das sich wie ein undurchsichtiger Nebel über jede einzelne Mission legte.
Es bot eine Sandbox-Open-World und eine Story-getriebene Hauptquest, es bot Freiheit und Versklavung des Spielers in all diesen linearen Missionen. Zwei in einem sollte sich wunderbar spielen, nicht? Fakt ist aber, dass das nicht wirklich gepasst hat. Bist du nun frei und kannst entscheiden, was Arthur tut, oder bist du genau dieser eine und kein anderer Arthur, den Rockstar Games dir hier serviert? Deine Entscheidungen werden nichtig, du kannst Menschen und Tiere quälen, aber dennoch der netteste Arthur auf der Welt sein.
Es ist beinahe egal, wo dein Arthur auf der Ehrenskala steht, ob er ein guter oder ein böser Cowboy gewesen ist. Beinahe, ja – ein wenig Einfluss hat es auf das Ende des Spiels, das sei Rockstar Games gelassen. Du darfst über deine 60 bis 100 Stunden im Spiel hinweg entscheiden, welche paar Szenen gen Epilog abgespielt werden. Weltbewegend ist das nicht, denn die Enden unterscheiden sich nur marginal.
Video-Westernheld Steve sagt: Ich bin am Release-Tag in den Laden gerannt und habe mir die PS4 Pro mit dem Spiel gekauft, so sehr habe ich mich darauf gefreut. Ja, und dann habe ich zwei Stunden gespielt, der Tag war vorbei und am nächsten Feierabend kam ich nicht mehr hinein. Ich brauchte mehr als eine Stunde, um mich an die Steuerung und an die doppelte Belegung am Controller zu gewöhnen. Durchspielen will ich es aber. Irgendwann; am besten, wenn ich Urlaub habe.
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Abgesehen von alledem ist Red Dead Redemption 2 auch noch ein sehr zeitintensives Spiel. Mal eine Stunde nach der Arbeit oder Schule durch New Hannover reiten? Das kann spaßig sein, aber die Haupt-Storyline erfordert Konzentration und allerlei Stunden, die nicht jeder geben kann – oder will. Besonders für einen Titel, der viel zu selten enthusiastische Neugier entfachen kann.
Fürwahr: Red Dead Redemption 2 ist mittelmäßig
Wie ein Wolf im glänzenden Schafspelz zeigte mir Red Dead Redemption 2 sein wahres Gesicht erst gen Ende, als die ständigen Wiederholungen im Kampfssystem offensichtlich wurden; als die Geschichte trotz größter Anstrengungen mittelmäßig wurde. Das ist nicht unbedingt das Todesurteil für ein gutes Spiel, denn RDR2 ist und bleibt gut. Aber es hat das Genre kein bisschen revolutioniert, es hat nichts geändert. Es macht nichts besser oder gar anders als andere Spiele. Vielmehr mangelt es dem Spiel so derb an Neuerungen, dass es in meinen Erinnerungen nur leere Stellen hinterlässt. Nichts, was erinnerungswürdig sein mag.
Und Red Dead Online – ist das etwas? Ich habe einen Blick darauf geworfen:
Deswegen hast auch du Red Dead Redemption 2 vermutlich nicht zu Ende gespielt. Deswegen ist es aber vielleicht gar nicht nötig, es tatsächlich durchzuzwingen. Rockstars Western-Epos war schön, so lange es wehrte. Schade ist nur eines: Es hätte mehr sein können als eine leicht zu vergessende Liaison.