Elex 2 erfindet das Rollenspiel-Rad nicht neu. Das neue RPG des deutschen Studios Piranha Bytes setzt auf seine bekannten Stärken, hat aber auch wieder die gleichen Schwächen. Ein paar spannende Neuerungen sind uns im Test aber dennoch aufgefallen.
Auch nach 20 Jahren bleibt Kult-Entwickler Piranha Bytes der bewährten Formel treu: Eine handgefertigte Spielwelt, die Auswahl aus mehreren Fraktionen, eine raue Atmosphäre, Dialog-lastige Quests, ein fummeliges Kampfsystem und die eine oder andere technische Schwäche. Was schon 2001 für Gothic galt, ist 2022 in Elex 2 noch immer der Fall und Serien-Fans wie ich haben auch gar nichts anderes erwartet.
Einige spannende Änderungen gegenüber dem ersten Elex-Teil aus dem Jahr 2017 gibt es dann aber doch: Während ihr euch im Vorgänger einer von drei Fraktionen anschließen könnt, sind es jetzt fünf. Obendrein ist es erstmals in einem Piranha-Bytes-Spiel möglich, die Kampagne komplett ohne Gildenmitgliedschaft abzuschließen. Im Gegenzug müsst ihr dadurch aber auf die mächtigen Skills und Ausrüstungsgegenstände verzichten, die bei einer Karriere in einer der Fraktionen auf euch warten würden.
Die technikscheuen Berserker lehren euch beispielsweise Magie, die religiösen Kleriker setzen auf Technologie und die Outlaws erhöhen ihre Kampfkraft durch Stim-Medikamente. Die gefühlskalten Albs, die im Vorgänger noch die primären Antagonisten waren, stehen nun ebenfalls als Fraktion zur Verfügung und bieten euch eine Mischung aus Technik und Magie. Ganz neu sind die Morkons, ein Todeskult der den ewigen Stillstand verehrt. Als rücksichtslose Nahkämpfer verringern die Mitglieder der Morkons ihre eigene Lebensenergie, um ihren Schaden zu erhöhen.
Alles andere als kampfstark ist zum Spielbeginn jedoch Hauptcharakter Jax. Weil ein Unglück nur selten allein kommt, wird nicht nur der Planet Magalan von den außerirdischen Skyands überfallen, die mysteriösen Fremden landen auch noch genau auf dem Haus von Jax. Zu allem Überfluss beißen sie ihm in den Arm, sodass er sich eine kräftezehrende Infektion eingehandelt hat. Trotz all seiner Erfolge im ersten Elex steht Jax zum Beginn von Elex 2 also wieder als Hanswurst mit verbogener Metallstange und Stoffrüstung vor dem ersten Gegner.
Die größte Stärke: Der soziale Aufstieg
Um seine Kraft wiederzuerlangen und der neuen Bedrohung den Garaus zu machen, gründet Jax mit einigen alten Weggefährten die 6. Macht. Ganz ohne Unterstützung kann diese den Skyands jedoch nichts entgegensetzen, weshalb Jax erst einmal allen Fraktionen einen Besuch abstattet. Dieser erste Akt, den so ziemlich jedes Piranha-Bytes-Spiel in ähnlicher Form bietet, ist auch in Elex 2 das Highlight. Stundenlang erkundet Jax die einzelnen Siedlungen, führt Gespräche, trifft markante Charaktere, folgt komplexen Questketten, kommt Verschwörungen und Verbrechen auf die Spur, sammelt nebenbei fleißig Erfahrungspunkte und muss in dieser gesamten Phase fast nie seine Waffe ziehen.
Auch Elex 2 überzeugt mit einer durchdachten, sozialen Struktur, der sich Jax anpassen muss. Das beginnt bereits mit der Torwache des Berserkerforts, die keinen Grund sieht, Jax passieren zu lassen. Erst nachdem er sich für die Gemeinschaft nützlich gemacht hat, darf er das Lager betreten. Eine ähnliche Zugangsbeschränkung wiederholt sich im Inneren des Forts, da das obere Viertel nur vertrauenswürdigen Gemeindemitgliedern zugänglich ist.
Diese Spielphase ist nicht nur extrem motivierend, sondern illustriert auch wunderbar die durchdachte Gesellschaft des Spiels. Nahezu jeder NPC in der Welt hat eine klare Funktion, sei es als Arbeiter, Koch, Lehrer, Jäger, Barkeeper oder Schmied. Entscheidend ist es also, selbst ein Teil dieser Gesellschaft zu werden. Wer stattdessen auf eigene Faust die Wildnis erkunden will, kommt in ELEX 2 nicht weit.
Frust und Fummelei: Das Kampfsystem
Seid ihr erst einmal in der Gunst einer Fraktion gestiegen und ausreichend ausgerüstet, könnt ihr euch schließlich auch in einige Kämpfe wagen. Kämpfe in Piranha-Bytes-Spielen sind dabei ein Kapitel für sich, daher möchte ich zunächst die positive Seite der Medaille erklären. Die gefühlte Unzugänglichkeit der Kämpfe hat vor allem zu Beginn durchaus System, denn rein theoretisch steht euch die gesamte Welt von Magalan von Beginn an offen. Praktisch gesehen gibt es aber durchaus organische Grenzen, etwa wenn sich ein Rudel Raptoren auf einer Straße bequem macht. Erst wenn Jax stark genug ist, diese zu besiegen, öffnet sich das Gebiet dahinter.
Die fordernden Kämpfe sind also ein elegantes Mittel, die riesige Spielwelt Stück für Stück freizuschalten und vermitteln greifbar die bisherige Charakterentwicklung. Negativ fällt jedoch auf, dass das Kampfsystem nach wie vor fummelig und unpräzise ist, ein Makel, den die Spiele von Piranha Bytes seit dem ersten Gothic-Teil mit sich herumtragen. Auf dem Papier bietet das Kampfsystem mit leichten und schweren Angriffen, Ausweichrollen und einer Ausdaueranzeige zwar die gleichen Mechaniken wie etwa Elden Ring, trotzdem fühlt es sich zu keinem Zeitpunkt danach an, wirklich Kontrolle über das Kampfgeschehen zu haben. Piranha Bytes, ihr schuldet mit noch 50 Elexsplitter, die ich an die Stadtwache von Ignadon zahlen musste, als ich im Kampf gegen Dutzende Skyands versehentlich einen verbündeten Alb geschlagen habe und daraufhin als Verbrecher gesucht wurde!
Serien-Fans wie ich sind das natürlich gewohnt, weshalb es leicht fällt darüber hinwegzusehen. Schließlich liegt die wahre Stärke des Spiels ja in der gewaltfreien Interaktion mit NPCs, oder? Aus meiner Sicht schon, weshalb ich durchaus schlucken musste, als fast der gesamte letzte Akt nur noch aus Kämpfen gegen Endgame-Gegner bestand. Die Idee ist ja eigentlich nicht verkehrt: Während Jax zum Spielbeginn noch vor jedem Wolfswelpen Reißaus nehmen musste, kann er es im Endgame mit ganzen Gegnergruppen aufnehmen. So fühlt sich Triumph an! Das Tortenstück als Nachtisch nach einer faden Gemüsesuppe. Während mir jedoch nach dem dritten Stück schon der Bauch wehtut, will Piranha Bytes aber, dass ich 100 Stücke esse.
Dabei gibt es in Elex 2 ja ein viel eindrucksvolleres Feature, um Jax‘ Fortschritt spürbar zu machen: Das Jetpack. Dieses entspricht in den ersten Spielstunden eher einem Doppelsprung, im Endgame kann Jax hingegen wie Iron Man über Magalan hinwegfliegen. Die bloße Art und Weise, wie sich Jax durch die Spielwelt bewegt, unterscheidet sich also in den ersten und letzten Spielstunden grundlegend, womit Elex 2 an Rollenspiel-Meilensteine wie The Elder Scrolls 3: Morrowind erinnert.
Test-Fazit zu Elex 2
Auch Elex 2 ist ein Piranha-Bytes-Spiel wie es im Buche steht. Wer also bereits das erste Elex oder einen alten Gothic-Teil gespielt hat, kann sich auf eine vertraute Spielerfahrung freuen. Die nennenswerten Neuerungen, etwa die Möglichkeit fraktionslos zu spielen sowie das erweiterbare Jetpack, lockern die bewährte Formel aber dennoch angenehm auf.
Zu dem vertrauten Gesamtpaket gehören allerdings auch die bekannten Schwächen: Ein zweckmäßiges Kampfsystem, steife Charaktermodelle und diverse technische Macken. Mal werden einzelne Körperteile nicht geladen, dann flackert dort eine Textur und auch die Framerate gönnt sich ab und zu eine kurze Pause. Serienfans sind all das gewöhnt, sollten aber wohlwollend ein Auge zudrücken. Schließlich mangelt es Elex 2 offenbar an Ressourcen, nicht aber an Leidenschaft, aus der trotz aller Macken ein wundervolles Rollenspiel entstanden ist, in dem ich gern gut 40 Stunden verbracht habe.
Stärken und Schwächen
- Riesige Spielwelt
- 5 Fraktionen, auch fraktionsloses Spielen möglich
- Jetpack lässt sich im Spielverlauf verbessern
- 7 Begleiter mit eigenen Questreihen
- Etliche Nebenquests mit teils überraschenden Wendungen
- Hübsche Lichteffekte
- Ansonsten aber angestaubte Präsentation mit technischen Macken
- Zweckmäßiges Kampfsystem
- Zu großer Fokus auf Kämpfe im letzten Story-Akt
Wertung
“Trotz dezenter Neuerungen bleibt auch ELEX 2 der bewährten Formel treu und gibt Serien-Fans genau das Spiel, das sie erwartet haben. Die gewohnten Mängel bei der Technik und den Kämpfen gehören aber auch zum Gesamtpaket.”