Ihr werdet Death Stranding hassen. Mindestens ein- oder zweimal. Vielleicht auch stundenlang. Was ich damit meine: Es ist ein wundervolles Spiel – das beste, das 2019 erschienen ist. Aber es wird nicht jedem Spaß machen.
Ihr wollt euch nicht Spoilern lassen? Dann bestellt euch Death Stranding doch einfach direkt im PlayStation Store.
Was ist Death Stranding? Ah, was für eine Frage. Death Stranding ist eine der besten Science-Fiction-Geschichten, die mir je erzählt wurden. Death Stranding ist frustrierend. Death Stranding ist nicht wie Kojimas Metal Gear oder irgendein anderes Spiel, das ihr dieses Jahr angefasst habt.
Tatsächlich ist Hideo Kojimas lang erwartetes und hoch gehyptes Mysterium in einigen Belangen anders als alles, was ihr kennt. Außerdem ist es ein Sci-Fi-Adventure mit Rollenspiel- und Multiplayer-Elementen. Falls euch das einen besseren Eindruck vom Spiel verschafft. Oder vielleicht hilft der Launch-Trailer?
Nicht? Na ja, versuchen wir es anders.
Ein Held zu sein ist scheiße
Sein Name ist Sam Porter Bridges und er ist bei mir 218 Kilometer in 50-100 Stunden Spielzeit gelaufen. Er ist ein Porter, ein Zusteller von Waren in einem Land, das zerteilt und einsam von Katastrophen und Monstern gebeutelt wird. Er hasst es, angefasst zu werden und spricht kaum ein Wort. Ihm ist die Welt eigentlich scheißegal.
Ihm ist sein Leben scheißegal. Bis ihn jemand braucht – bis ihn Amelie, die zukünftige Präsidentin der United Cities of America, um Hilfe bittet. Sie wird am anderen Ende Amerikas gefangen gehalten, und dort wartet sie auf ihn am Strand. Sie altert nicht. Ihr wisst nicht, warum, oder was es bedeutet, am Strand zu warten.
Ihr wisst nicht, warum ihr nicht sterben könnt. Oder warum Monster aus einer anderen Welt in unsere hinüberkrabbeln, oder warum der Regen Haut, Tiere und Pflanzen bis in den Tod hinein altern lässt. Ihr wisst so gut wie nichts, bis auf eines: Amerika liegt in eurer Hand. Es ist an euch, jene wenigen Städte und Orte, die noch von Menschen bevölkert sind, zu verbinden.
Und um das zu schaffen, werdet ihr durch ganz Amerika wandern. Sam ist ein Zusteller. Er stellt Waren zu, er versorgt die Menschen mit Medikamenten, Waffen, Nahrung, Kleidung, Büchern, alles. Stellt ihr ein Paket zu, könnt ihr den Ort an das chirale Netzwerk anschließen, eine Art Sci-Fi-Internet. Damit wird er Teil der UCA.
Eine Frage: Wer in Kojimas Namen hat je behauptet, es sei einfach oder spaßig, ein Held zu sein?
Nein. Es ist scheiße, ein Held zu sein. Sams Schultern sind rot von den Gurten seines Rucksacks, eure Hände sind verkrampft von den Tasten, die ihr stoisch gedrückt haltet: R1 und R2, um euch stabil zu halten, um nicht umzukippen. Je mehr ihr tragt, desto besser. Je mehr ihr tragt, desto eher kippt ihr zur Seite oder nach vorn, ihr stolpert, watet durch Wasser, werdet mitgerissen, fallt Berghänge hinab, klettert sie wieder hinauf, stampft durch Schneestürme, schleicht durch feindliche Zonen, in denen tote Pflanzen aus dem Boden schießen und mächtige, dunkle Wesen unsichtbaren Finger nach euch ausstrecken.
Dann fallt ihr keuchend auf die Knie. Die wichtigen Medikamente für einen Mann in den Bergen liegen halb zerstört neben euch, eure Schuhe sind kaputt, euer Gesicht braun vor Schlamm und Blut und Schweiß.
Wisst ihr, ich wollte irgendwann das Spiel beenden. Das machte keinen Spaß. Ein Spiel muss Spaß machen, oder? Warum spiele ich das? Mir war der Mann in den Bergen scheißegal. Ich bin zwei Stunden gewandert, ich wollte nicht mehr laufen. Hört ihr? Ich hab’ keinen Bock mehr. Fuck die UCA. Fuck Death Stranding.
Ein Held zu sein ist schön
Dann steht ihr auf. Da ist kein Wunder, das passiert. Kein Aha-Moment. Ihr steht auf, greift langsam eure kaputte Ware und schultert sie. In diesem Moment gibt es zwei Möglichkeiten für euch: Beendet das Spiel und fasst es nie wieder an.
Oder geht weiter.
Ich bitte euch, weiterzugehen. Aber es liegt an an euch, okay? Ich werde euch nicht anlügen und euch sagen, dass es immer Spaß macht. Auf eine Art ist Death Stranding nicht anders, als das Leben: scheiße. Wenn ihr ein Spiel möchtet, dass euch kurzweilig glücklich macht, das euch ein Gefühl von Macht verleiht oder euch mit Glücksgefühlen überschüttet, könnt ihr hier aufhören, diesen Test zu lesen. Death Stranding ist nichts für euch – und das ist völlig okay. Ich will nicht, dass ihr Geld ausgebt und dann unglücklich seid.
Aber geht ihr weiter? Haltet ihr es aus, nicht immer Spaß zu haben? Dann werdet ihr belohnt. Wieder und wieder und wieder. Ihr liefert die Ware aus und der Mann erklärt euch, dass ihr ihm das Leben gerettet habt. Ihr wascht Blut und Schweiß und Schlamm von eurem Körper – ihr seht Norman Reedus beinahe nackt – ihr lauft weiter. Nächster Auftrag. Dieses mal jedoch beginnt ein Lied zu spielen, als ihr durch die endlos weite, teils karge, wunderschöne Landschaft von Death Stranding wandert.
Death Stranding ist schön. Frustrierend. Langsam. Quälend. Es wird euch auffressen, kaputtbeißen und wieder ausspucken – aber wenn ihr überlebt, dann seht ihr, dass es mehr ist als Laufen. Und nein, Laufen ist nicht die einzige Spielmechanik. Denn die zwei größten Belohnungen sind die anderen Spieler – und die Geschichte.
Nicht der einzige Held zu sein, ist am schönsten
Death Stranding ist ein sadistisches Feel-Good-Spiel, das euch durch das Elend peitscht – aber das tut es nicht nur mit euch: Ihr seid nicht allein. Obgleich die Multiplayer-Komponente derart anders ist, dass sie tatsächlich ein eigenes Genre begründen könnte: Kojima nannte es im Vorfeld Strand-Spiel, ein Spiel, das Verbindungen zwischen den Menschen schafft.
Ihr werdet niemals andere Spieler in eurer Welt sehen, aber sie sind da: Sie bauen Brücken und lassen Leitern oder Seile für euch da. Sie sind es, die euch helfen, einen unmöglichen Berg zu erklimmen und sie sind es, die mir unzählige Male das Leben gerettet haben.
Das System dahinter ist faszinierend ausgeklügelt: Ihr befindet euch auf einem Server mit einer Menge an Spielern. Sie können Nachrichten hinterlassen wie schwebende Smilies oder eine Faust, die euch anspornt, stark zu bleiben. Sie können euch mit Zeichen davor warnen, wo Monster auf euch lauern, sie können euch sagen, an welcher Stelle im Fluss die Strömung zu stark ist. Später werden sie euch auf Arten helfen, die ich nicht spoilern möchte. Das Strand-System erinnert an den asynchronen Multiplayer in Dark Souls oder Demon's Souls, wenngleich es sehr viel intensiver ins Spiel eingreift.
Das Ding ist nur, ihr könnt ihre Hinterlassenschaften erst dann sehen, wenn ihr ein Gebiet an die UCA angeschlossen habt. Ihr erinnert euch? Das könnt ihr, indem ihr einen Ort besucht und ein oder mehrere Pakete abliefert.
Zuerst seid ihr also allein.
Das Strand-System im Spiel ist nicht einseitig: Genauso, wie ihr Hilfe von anderen erhaltet, könnt ihr euren Teil beitragen: Werft eine Leite über einen Fluss und sie erscheint in den Welten anderer, kann von anderen genutzt werden.
Mögen sie die Leute, geben sie ihr vielleicht einen Like. Okay, okay – ich weiß, das klingt verrückt, aber: Das Level-System in Death Stranding wird von der Währung „Likes“ getragen. Wie bei Facebook. (Uhm, nicht wie bei Facebook.) Ihr erhaltet Likes für erledigte Aufträge, für Ware, die nicht kaputt ist, für zurückgelegte Strecken, für aufgesammelte Ware von anderen Spielern, für das Besiegen der Monster – der GDs, Gestrandete Dinge oder „Beached Things“ im Englischen – für alles, eigentlich.
Und von anderen Spielern, wenn sie eure Nachrichten und Hilfestellungen mögen. Es gibt kaum etwas Schöneres, als plötzlich einen Schwall an Likes zu erhalten – und das für etwas, das ihr ganz am Anfang des Spiels für andere gebaut habt. Nicht alles, was ihr hinterlasst, erscheint jedoch bei euren Porter-Freunden. Genauso, wie eure Welt nicht zugemüllt mit Leitern und Smilies ist.
Was euch auch interessieren könnte:
Es gibt unter uns Zustellern eine Redewendung: „Liker werden gelikt.“ Verteilt ihr fleißig Likes, steigt eure Bindung zu anderen Spielern und immer mehr werden sehen, was ihr für andere erschafft. Erhaltet ihr viele Likes wiederum, levelt ihr auf und könnt leichter mehr Dinge tragen, seid schneller, könnt besser kämpfen.
Ihr seid alle zusammen gefangen in Death Stranding. Ihr müsste alle laufen, hinfallen und wieder aufstehen. Ihr wisst alle, wie das ist. Und ihr macht alle weiter. Da ist etwas sehr, sehr Starkes, was sich über die Zeit hinweg in eurer Brust formt und irgendwann merkt ihr, dass es Zusammenhalt ist – mit der Welt, die ihr Tag für Tag besiegt und mit den Spielern, die unsichtbar an eurer Seite wandern.
Und doch kämpft ihr nicht nur gegen Berge und Schneestürme und Schlamm. Ihr kämpft auch mit den GDs – den epischen Ungeheuern, die in eurer Welt gestrandet sind.
All euer Leid wird Sinn ergeben, ich verspreche es euch
Ich kann es nur so beschreiben: Die Welt von Death Stranding ist derart komplex und ausgeklügelt und originell, dass es zunächst schwer sein wird, sie zu verstehen. Was nicht schlimm ist, denn weder Sam noch alle anderen wissen viel mehr darüber – eine der Hauptaufgaben im Spiel ist es, mehr über das mysteriöse Death Stranding herauszufinden.
Und das – so ist von Anfang an klar – beschreibt eine Katastrophe, die ihresgleichen sucht.
Death Strandings sind eine Reihe an übernatürlichen Ereignis, die die Welt schon mehrmals gebeutelt haben. Sie zerstörten sie und schufen gleichsam eine Verbindung zu einer anderen Realität, einem „Upside-Down“, einem Strand? Seit den Death Strandings überschreiten unsichtbare, gestrandete Monster die Grenze in unsere Welt; sie lassen den Himmel dunkel werden und reißen euch mit sich, wenn ihr nicht aufpasst – in eine Dimension zwischen Zeit und Raum.
Da sind Häuserruinen, die in schwarzem Schlamm beben. Über euch ein dunkelrot-oranger Himmel, dessen gähnendes Maul starr auf euch herabblickt. Da ist ein Monster – ein Schlammwesen, das aus dem Meer hervorbricht und euch in gewaltigen, mächtigen Sätzen verfolgt.
Etwas derartiges zu sehen ist, als würdet ihr für einen Moment nicht atmen können – nur staunen. Es ist auch tödlich. Sterbt ihr hier, wird ein riesiger Krater an jene Stelle in der Spielwelt gesetzt, ein Denkmal für euren Tod. Dann kehrt ihr zurück: Ihr schwimmt durch ein dunkles Meer, sucht euren leblos Körper und kriecht in dessen Mundhöhle, um wiederaufzuerstehen. Auch hier erinnerte euer Nicht-sterben-können an Dark Souls.
Sam Bridges ist ein Wiederkehrer, er kann schlicht nicht endgültig sterben. Und irgendwie ist er mit dieser anderen Dimension, dieser Totenwelt, verbunden, irgendwie ist er anders, als anderen Menschen; irgendwie sind selbst seine Körperflüssigkeiten Gift für jene ungeheure Wesen.
Denn ja, ihr bekämpft sie mit eurem Blut, mit Bomben aus eurem Urin und … anderem. Munition stellt ihr her, wenn ihr euch duscht oder auf Toilette geht. Verrückt? Ihr wollt mehr?
Da ist mehr Verrücktes: Ein Mann, der nur 21 Minuten lebt, ehe er stirbt und zurückkommt – und wieder 21 Minuten lebt. Eine Frau, die zwischen den Welten springt und Würmer, die ihr esst. Euer Körper ist übersät mit Handabdrücken, Spieler werfen euch Waffen zu, wenn ihr gegen GDs kämpft; ihr liefert Pizza aus. Schon genug?
Wie wäre es mit BB-28 – einem Baby, das ihr stets mit euch durch die Welt tragt. In einem Glaskasten voller gelblicher Flüssigkeit.
<3
Sagt hallo zu BB.
BB ist euer engster Begleiter in Death Stranding. Ihr tragt es an eurer Brust, wiegt es in euren Armen, wenn es schreit und schließt es über einen Schlauch an euren Anzug an. Denn BB ist kein normales Baby, es ist ein Werkzeug – mit ihm könnt ihr GDs aufspüren, da das Kleine eine Art Knotenpunkt zwischen der Realität und der Welt der Monster darstellt.
Das ist schnell erklärt: BBs wachsen in den Bäuchen von Totmüttern heran: Frauen, die klinisch tot nur von Maschinen am Leben erhalten werden. Die Babys leben zwischen den Welten, weswegen sie eine Maschine betreiben können, die jene Monster aus der anderen Dimension aufspürt. Sie wachsen nicht, sie entwickeln sich nicht, sie leben in einem Glaskasten. Sie sind Werkzeuge.
Hört ihr? Werkzeuge. Sie sind nicht süß. Auch, wenn es schon süß ist, wie BB euch manchmal anlächelt oder Herzen mit den Fingerchen formt. BB kann euch sogar Likes geben – und es ist immer da, bei euch, wenn ihr badet oder euch in einem der Safe Rooms ausruht, wenn ihr kämpft oder hinfallt oder nicht mehr aufstehen wollt.
Das Ding ist natürlich – wie alles in Death Stranding – irgendwie wissen die Menschen nicht einmal, woher die BBs stammen. Warum und wie wurden sie entwickelt? Was genau sind sie, abgesehen von den Fakten? Seit wann werden sie benutzt? Nun, es gibt nur einen Weg, das herauszufinden: Verbindet Ort für Ort mit der UCA, durchquert Amerika und leidet für das Wohl der Welt. Das Ende wird kommen, und es wird euch mitnehmen.
Death Stranding ist …
Gemein. Krass. Schön. Anstrengend. Frustrierend. Liebevoll. Poetisch. Friedvoll. Episch. Intelligent. Es ist nicht scheiße, es fühlt sich nur manchmal scheiße an. Und dann, ja, dann ist es mehr als es ist. Mehr als ein Spiel. Wisst ihr, manchmal schaut mir Sam Porter Bridges direkt in die Augen, als wolle er mir etwas sagen …
Buh! Nah, dachtet ihr, ich verrate euch das Geheimnis jetzt? Das wäre zu einfach.
Death Stranding wird euch gefallen, wenn ihr verrückte Science-Fiction mögt, wenn ihr etwas völlig Neues erleben möchtet, wenn ihr geduldig seid und euch an kleinen Dingen erfreuen könnt. Death Stranding wird euch gefallen, wenn ihr es beendet habt: Gebt nicht auf.
Mehr zu Death Stranding erfahrt ihr in unserem großen Artikel:
Death Stranding wird euch nicht gefallen, wenn ihr schlicht keine Lust habt, lange durch eine Landschaft zu wandern, wenn ihr es nicht mögt, Dinge nicht zu verstehen, wenn ihr kurzweilige, einfache Unterhaltung sucht oder ein Spiel möchtet, dass ihr mehr nebenbei als mit hundertprozentiger Aufmerksamkeit spielen könnt.
Wertung
“Death Stranding ist ein Meisterwerk, das ihr hassen werdet. ”