Drei Wochen lang hat GIGA-Redakteur Stefan zwei Handys gleichzeitig im Einsatz gehabt: Das iPhone 11 und den direkten Nachfolger, das iPhone 12. Zeit für ein Resümee: Lohnt sich der Wechsel auf das 2020er-Smartphone von Apple? Der GIGA-Test zum iPhone 12 liefert die Antwort.
Apple iPhone 12 im Test: Unser Fazit
Es ist verlockend, das neue iPhone 12. Das ikonische Design mit richtigen Kanten: endlich wieder da. Das hochauflösende OLED-Display: ein Hingucker. Das Aufladen per MagSafe: ein Traum.
Aber nein! Ich bleibe bei meinem iPhone 11 (erschienen 2019), das zwar in vielen technischen Punkten übertroffen wurde, aber deshalb noch lange nicht abgehängt ist. Von all den Neuerungen fiel mir nach wochenlanger Nutzung des iPhone 12 vor allem auf, dass es bemerkenswert leicht und sicher in der Hand liegt. Gigantische Sprünge in Sachen Foto-, Sound- oder Bildschirmqualität kann ich nicht vermelden, so sehr ich mir das im Vorfeld auch erhofft hatte.
Denn so ist das nun mal, wenn man zwei direkt aufeinanderfolgende iPhone-Generationen vergleicht: Die Verbesserungen sind zwar relevant, aber letzten Endes klein. In Summe ergibt ein Wechsel von iPhone 11 zu iPhone 12 keinen Sinn, außer man lebt inmitten von neuen 5G-Masten hat das Geld übrig, einen runden Geburtstag zu feiern oder ist unbelehrbarer Apple-Fanboy.
Ganz anders sieht es aus, wenn man ein deutlich älteres Modell nutzt und eisern auf den richtigen Moment gewartet hat. Von einem iPhone 5s oder iPhone 7 würde ich sofort zum iPhone 12 wechseln, gar keine Frage. Selbst bei iPhone-X-Nutzern darf ein Upgrade in Erwägung gezogen werden. Apples Hardware-Update-Politik mag vielleicht unspektakulär oder sogar zurückhaltend erscheinen – ist aber für langjährige iPhone-Nutzer ein echter Vorteil. Denn wenn Cupertino eines kann, dann ist es das Schnüren stimmiger Gesamtpakete. Schon der Vorgänger war das ideale und nicht übertriebene Handy für den Alltag der allermeisten Nutzer – und genau das trifft auch auf das 2020er-Modell zu. Das iPhone 12 ist schön, leistungsstark und preislich vernünftig.
Für mich gilt seit Jahren: Das beste Smartphone ist das, das man immer gerne dabei hat und auf das man sich stets verlassen kann. Apples iPhone 12 verspricht das nicht nur, sondern erfüllt diese Anforderungen mit einer Souveränität, die viele andere Hersteller in der Branche trotz erstaunlicher Datenblätter immer noch nicht ausstrahlen können. Verlockend zu sein, das ist wohl eine geheimnisvolle Kunst.
Vorteile:
- markantes und ansprechendes Gehäuse-Design
- perfekte Verarbeitungsqualität
- gutes OLED-Display
- verlässliche Kamera mit sehr guten Foto- und überragenden Videoeigenschaften
- flüssige Bedienung durch Top-Prozessor + iOS 14
Nachteile:
- 64-GB-Variante heute kaum noch empfehlenswert
- 60-Hz-Display in dieser Preisklasse etwas enttäuschend
- MagSafe ist gelungen, aber nur mit Zusatzausgaben nützlich
Apple iPhone 12: Wertung
- Verarbeitung, Haptik und Design: 9/10
- Display: 8/10
- Kameras: 8/10
- Software: 9/10
- Performance: 10/10
- Telefonie und Audio: 10/10
- Speicher: 7/10
- Akku und Alltag: 8/10
Gesamt: 8.6 / 10
iPhone-12-Design: Die Zukunft liegt in der Vergangenheit
„Früher war alles besser“ – eine Binse, die der genaueren Betrachtung selten standhält. Schon gar nicht in der Welt der Smartphone-Technik, die rasant voranschreitet und ein paar Jahre alte Geräte wie Museumsstücke erscheinen lässt. Eine der wenigen Ausnahmen ist vielleicht das „alte“ iPhone-Design, das damals Modellen wie dem iPhone 4 oder dem iPhone SE (2016) einen unverkennbaren Charakter gegeben hat. Manche Apple-Fans haben bei der Vorstellung des rundgelutschten iPhone 6 die Nase gerümpft und seither den Tag herbeigesehnt, an dem iPhones endlich wieder klare Kante zeigen.
Mit dem iPhone 12 ist es soweit: Der Aluminium-Rahmen schmiegt sich wie ein flaches Band sauber um das Gehäuse und bildet an Ober- und Unterseite des Handys jeweils eine umlaufende Gehäusekante. Das sieht klasse aus und sorgt für einen guten Halt, etwa beim Fotografieren. Mit ruhiger Hand kann man das iPhone 12 sogar hochkant aufstellen. Die Ecken des Bildschirms und die darum liegenden Gehäusekanten an der Front („Bezel“) bleiben in den Ecken abgerundet – das kostet zwar ein paar Pixel Darstellungsfläche, ist aber ein in der Branche mittlerweile etabliertes Designmerkmal und die fehlende Displayfläche fällt nicht groß ins Gewicht.
Auf der Front kommt „Ceramic Shield“ zum Einsatz – ein Smartphone-Glas, das laut Apple besonders bruchsicher sein soll. Klingt lobenswert, darf aber noch lange nicht als Freifahrtschein für eine hüllenlose Nutzung verstanden werden. Auch das iPhone 12 kann nach einem einzigen unglücklichen Treppensturz zerbrechen. Ich habe mehrere passende Cases ausprobiert, die allesamt empfehlenswert sind. Hier ein kurzer Überblick:
Spigen Liquid Air: preiswerte Kunststoffhülle. Schützt gut durch erhöhten Rand, sitzt perfekt, die iPhone-Buttons lassen sich sehr leicht drücken. Trotz geriffelter Oberfläche etwas glatt und nicht so griffig wie beispielsweise die originale Silikon-Hülle von Apple.
Nomad Rugged Case: edle Echtleder-Hülle. Klasse verarbeitet, sitzt wie angegossen. Sehr angenehme Haptik mit gutem Grip, die Buttons lassen sich aber etwas schwer drücken. Das Material gewinnt mit der Zeit einen eigenen Charakter durch Abnutzung (Patina).
Woodcessories Bio-Hülle: nachhaltiges Case aus Weizen- und Stroh-Resten – nein, kein Witz. Fühlt sich angenehm an und sieht schick aus. Auch hier sind die Buttons etwas schwergängig.
iPhone 12 Display: Endlich OLED, aber …
Musste man sich beim iPhone 11 noch das LC-Display mit „magerer“ Auflösung (1.792 × 828 Pixel, 326 ppi) schönreden, kann man beim iPhone 12 entspannt auf neue Tatsachen schauen. Ein OLED-Panel sorgt für höchsten Kontrast, die Auflösung beträgt jetzt 2.532 x 1.170 Pixel (460 ppi). Dieser Angriffspunkt ist nun also endlich ausradiert.
Im Alltag ist das aber dann doch nicht so tiefgreifend, wie die Zahlen vielleicht vermuten lassen. Ja, beim Filmschauen im Dunkeln ist Schwarz wirklich Schwarz. Die Schärfe ist über alle Zweifel erhaben, da sind keine Pixeltreppen mehr auszumachen. Aber: Der iPhone-11-Bildschirm muss sich im direkten Vergleich noch lange nicht verstecken. Apple verbaut sehr gute Panels, die in Sachen Blickwinkel und Farbtreue überzeugen – das galt schon bei der Vorgängergeneration. Technikenthusiasten sehen die feinen Unterschiede, aber Otto-Normalverbraucher werden hier wahrscheinlich mit den Schultern zucken. Da reicht einfach die Sicherheit, dass das iPhone 12 eines der besten Displays besitzt, das man zur Zeit in Smartphones finden kann.
Wer es besonders kompakt mag, darf einen Blick auf das iPhone 12 mini werfen (ab 778 Euro). Hier bekommt man fast die gleiche Leistung in kleinerem Format (Bildschirmdiagonale 5,4 Zoll statt 6,1 Zoll), verliert dabei in Apps aber auch spürbar an nutzbarer Fläche und ein wenig an Akkuausdauer. Mir persönlich ist das iPhone 12 handlich und leicht genug (162 Gramm, 146,7 × 71,5 × 7,4 mm).
Ein kleiner Makel: Unser iPhone 12 wirkt bei maximaler Helligkeit und identischen iOS-Einstellungen neben dem iPhone 11 einen Hauch dunkler und wärmer abgestimmt. Im Netz finden sich zu diesem Phänomen vereinzelte Berichte, ich werde dieser Sache noch nachgehen. Einen Fall für einen Umtausch würde ich erstmal nicht herbeibeschwören, denn die Lesbarkeit bei Sonnenlicht ist nicht beeinträchtigt.
Zum Thema Bildwiederholfrequenz könnte man ganze Aufsätze schreiben. Die Kurzform: Das iPhone 12 bleibt bei 60 Hertz – und das ist schade. Im Android-Lager stehen bereits einige 90- und sogar 120-Hertz-Displays zur Auswahl, und das schon bei erheblich günstigeren Smartphones. Wenn man dieses extrem flüssige Bedienerlebnis einmal hatte, will man nur ungern wieder zurück. Anhand des iPad Pro kann man sich einen Eindruck von „ProMotion“ mit iOS iPadOS machen, der die Sehnsucht erwecken lässt. Warum Apple dem iPhone 12 (noch) keine höhere Bildwiederholrate spendiert, wissen wir nicht.
Kamera: Das iPhone 12 baut den Mythos aus
Zielen, abdrücken, fertig ist das gute Foto. Der Mythos der verlässlichen iPhone-Kameras wird auch vom iPhone 12 bestätigt – und weiter ausgebaut. Die Performance bei Tageslicht ist erste Sahne, aber auch bei Nacht lässt sich dank Langzeitbelichtung noch einiges herausholen. Beim Ultraweitwinkel-Foto büßt man an den Bildrändern wie schon beim iPhone 11 etwas an Schärfe ein. Ein Teleobjektiv ist nicht verbaut, dafür muss man schon zum teuren iPhone 12 Pro greifen. Alles in allem eine der besten Smartphone-Kameras, die vielen Nutzern problemlos als einzige „Hauptkamera“ im Haushalt ausreichen sollte.
Hier einige Beispielaufnahmen. Bemerkenswert ist der Nachtmodus, der mit einigen Sekunden Belichtung und etwas Software-Magie schon fast wie ein Nachtsichtgerät funktioniert:
Videos werden mit bis zu 4K mit 60 FPS gefilmt, die Stabilisierung arbeitet dabei vorbildlich. Selbst mit einer Hand im Gehen gedreht gelingen schöne Aufnahmen, die man gerne archiviert. Wer kreativ ist, kann mit den neuen Zeitraffervideos im Nachtmodus experimentieren.
Software und Performance bilden ein Dream-Team
Die Kombination aus dem SoC Apple A14 Bionic und iOS 14.2 rockt, sodass man sich täglich daran erfreuen kann. Beim Vorgänger iPhone 11 war der etwas holprige Start von iOS 13 noch ein kleiner Schwachpunkt. Das iPhone 12 arbeitet hingegen fehlerfrei und rasend schnell, – und das out-of-the-Box.
Hier liegt vielleicht die Antwort auf die Frage, warum sich Apple-Kunden in Zeiten von krass ausgestatteten 300-Euro-Smartphones noch immer fast 1.000 Euro für ein neues iPhone aus der Tasche ziehen lassen. Wer wie ich in einer sich ergänzenden Gadget-Welt aus iPad mini, AirPods Pro und iMac lebt, weiß den „Walled Garden“, made in Cupertino, zu schätzen. Alles gehört und arbeitet zusammen. Wie die erlesenen Werkzeuge eines Profi-Koffers, wie die passgenauen Teile eines Puzzles. Kann sein, dass hier bereits das Stockholm-Syndrom aus mir spricht – aber die Vorfälle, bei denen mich das iPhone 12 mit iOS 14 in drei Wochen täglicher Nutzung geärgert hat, kann ich an einer Hand abzählen, bei der vier Finger in einem Gips stecken.
Wer das Apple Event im Oktober 2020 gesehen hat, erinnert sich: Das angeblich beste neue Feature der neuen iPhone-Generation ist 5G – die unfassbar schnelle fünfte Generation des Mobilfunks. Das kalifornische Unternehmen ist dabei offen gesagt spät dran, denn chinesische und koreanische Marktbegleiter haben schon seit Sommer 2019 entsprechende Handys im Programm. Andererseits gilt immer noch: Die Netze befinden sich im Aufbau, von einer flächendeckenden und somit alltagstauglichen 5G-Netzabdeckung kann derzeit in Deutschland nicht die Rede sein. Und so ordne ich 5G beim iPhone 12 als „Nice-to-have“ ein, weit unter bedeutenderen Vorteilen wie dem verbesserten Display, dem frischen Design und der neuen Ladefunktion MagSafe.
Alle Infos zu MagSafe in unserem ausführlichen Test:
Die Stereo-Lautsprecher des iPhone 12 erklingen klar und, wenn es sein muss, auch laut. Ein Basswunder ist ob der Gehäusegröße nicht zu erwarten, aber insgesamt ist die Wiedergabequalität mehr als ausreichend, um sich eine Nachrichtensendung am Küchentisch anzuschauen. Wenn man nah ran geht und Film mit Dolby-Atmos-Spur anschaut, bekommt man sogar einen leichten Surround-Effekt mit – ganz nett, etwa als Mini-Heimkino im Bett. „Sound, der sich im 3D Raum um dich herum bewegt – als wärst du mittendrin“, so die Beschreibung von Apple selbst – nun, das ist dann doch ein wenig übertrieben.
iPhone 12 im Test: Akku gut, Speicher geht so
Der integrierte Akku (2.815 mAh) des iPhone 12 reicht gut über den Tag (und die folgende Nacht). Wer bevorzugt den Dark Mode nutzt, kann dank stromsparendem OLED noch etwas Zeit hinzu gewinnen. Traditionell stark bei iPhones ist die Standby-Ausdauer. Lässt man das iPhone 12 ungenutzt in der Hosentasche, gehen die Prozente nur in extremer Zeitlupe verloren. Auch das ein Lob an iOS 14, das offenbar klug mit der zur Verfügung stehen Energie umgeht. Mit maximaler Helligkeit, vielen Videodrehs und einigen Benchmark-Läufen prügelt man zwar auch das iPhone 12 schnell in den einstelligen Bereich, in der Praxis und bei normaler Nutzung kann man sich jedoch auf ein ausdauerndes Handy verlassen.
Zum separat erhältlichen MagSafe (44 Euro), dem neuen Ladegerät mit Magnetverbindung habe ich bereits einen ausführlichen Bericht verfasst. Das Fazit: Gut gemacht, durchaus praktisch, aber kein Pflichtkauf. Unbedingt in den iPhone-12-Kauf mit einplanen sollte man aber das separat erhältliche Apple 20-Watt-Netzteil oder ein vergleichbares Produkt eines Drittherstellers wie Anker. Im Lieferumfang ist nur noch ein USB-C-auf-Lightning-Kabel enthalten. Von der Nutzung alter und langsamer 5-Watt-Netzteile früherer iPhone-Generationen kann ich nur abraten. „Fast Charging“ wird beim iPhone 12 unterstützt und da sollte man beim Ladegerät wirklich nicht geizen. Und ja: Das iPhone 12 wird wie seine Vorgänger über eine Lightning-Buchse geladen.
Zum Abschluss noch ein paar Worte zu den Speichervarianten: Dass Apple beim iPhone 12 noch ein Modell mit mageren 64 GB (nicht erweiterbaren) Speicher anbietet, ist nicht mehr akzeptabel. Im Jahr 2020 darf man in der doch recht gehobenen Preisklasse 128 GB oder mehr erwarten. Die Apps sind im Vergleich zu früher gewaltig gewachsen, dazu kommen 4K-Videoaufnahmen, „bewegte“ Fotos (Live-Fotos) und Streaming-Portale mit Download-Option (z.B. Amazon Prime Video) – da hilft am Ende auch kein platzsparendes HEIF oder großzügiges Auslagern in iCloud. Wer ein iPhone 12 kauft und es über viele Jahre nutzen möchte, sollte sich hier und heute mindestens für die 128-GB-Version entscheiden. Mit weniger Speicher kommen heutzutage und erst recht in Zukunft allenfalls Gelegenheitsnutzer klar – aber die brauchen eigentlich auch kein iPhone 12, sondern ein iPhone SE oder ein Nokia 8000.