Wirst du mich in meinen Träumen verfolgen, die verdammte untergegangene Stadt? Ich würde ja nicht einmal wissen, ob es Albträume oder hübsche Träume wären. Vielleicht würde ich nie wieder aus The Sinking City aufwachen, das schlechteste gute Spiel, das ich dieses Jahr spielen durfte.
Cthulhu schickt fischige Monster auf unsere PCs und Konsolen und das insbesondere seit 2018 (angefangen hat das Ganze natürlich mit den Großen Alten, die seit Anbeginn der Zeiten über uns armselige Menschlein wachen). Da gab es dieses Spiel mit Namen Call of Cthulhu, das du wahrscheinlich sogar kennst, wenn du diesen Text über The Sinking City liest. Es war ein seltsames Spiel, auf eine neue Art alt und retro, und doch – sahst du über all die kleinen Unbequemlichkeiten hinweg, so war es ein gutes Spiel.
Unbequem ist auch The Sinking City. Alt und retro und repetitiv bis zu einem Punkt, der mich zweifeln und verzweifeln ließ, der mich wütend machte und mir schlussendlich zuflüsterte: „Es ist nicht gut. Verdammt, warum muss ich es jetzt spielen?“ Ich glaube, The Sinking City hat jedes dieser Gefühle verdient und ich glaube, du solltest es dir keineswegs für 60 Euro kaufen. Das vornweg gibt es noch eine Sache: Irgendwie habe ich mich trotzdem verliebt. In ihn da.
Er mag nicht der hübschste Fisch in unserer dreckigen Stadt sein, aber er ist ein guter Fisch mit verborgenen, überraschend tollen Eigenschaften, die es wert sind, auch von dir gesehen zu werden (diese Metapher wird gerade sehr seltsam, ich bin nicht sicher, ob ich sie fortführen soll).
Das Gute
Ein bisschen Gameplay, das ich aufgenommen habe – schau her:
Nur, damit du es weißt: Das Gute wird nicht direkt zu Anfang von The Sinking City sichtbar, wie du vielleicht aus meiner Einleitung schon herausgelesen hast. Dennoch ist das seltsame Horror-Rätsel-Action-Adventure von Frogwares und Bigben Interactive oft solide, beginnend bei der von H.P. Lovecraft inspirierten Geschichte um den Privatdetektiv Charles W. Reed. Von dunkel-schleimigen Vision geplagt lässt er sich zur halb überfluteten Stadt Oakmont an der Ostküste der Vereinigten Staaten schiffen. Dort erwarten ihn nicht nur Cthulhus Ungeheuer, sondern Fisch- und Affenmenschen, heikle politische Angelegenheiten und der übliche Wahnsinn, dessen lange Flossen nach und nach die Stadt und deren Bewohner umgreifen.
Es ist eine offene, bedrückende Welt, in der du stets zu Fuß oder per Boot unterwegs sein wirst; auch gelegentliche Ausflüge unter Wasser bleiben nicht aus. Die Menschen von Oakmont sind nicht wirklich froh über deine Ankunft, denn du bist nur ein weiterer Fremdländer, wie es schon die Innsmouther sind – Menschen mit Fischköpfen, die wegen einer geheimnisvollen Flut nach Oakmont fliehen mussten. The Sinking City ist seltsam politisch, startet es doch noch vor dem Hauptmenü mit der Nachricht, die Entwickler würden nicht mit den politischen Einstellungen einiger Figuren übereinstimmen. Und ja, es geht zu Teilen tatsächlich um Einwanderer, die von den Bürgern der Stadt verachtet werden; du stolperst über Argumente wie „Sie klauen uns unsere Jobs!“ und „Die Rate an Verbrechen ist seit den Innsmouthern gestiegen!“ – Charles Reed aber ist nur Außenstehender, stets neutral und beobachtend.
Das Ding ist, er hat fürwahr andere Probleme: Nackte, verformte Gliedmaßen-Viecher, die schwarzen Portalen entsteigen und in der Stadt ihr Unwesen treiben. Dazu eine archäologische Expedition an den Grund des Meeres, die eigentlich aufklären sollte, was es mit der Flut und den Visionen auf sich hat – deren Mitglieder aber nie lebend wiedergekehrt sind. Einige Bürger laufen halbnackt und übersät mit Tattoos durch die Straße, ihr fanatisches Murmeln im Wind. Riesige, schimmlige Wale liegen halb aufgeschnitten an einigen Ecken, tote Fische und ein steter Nebel in den Gassen lassen dich fühlen, dass hier absolut nichts in Ordnung ist (falls dir das nicht schon seit Herrn Fischgesicht oder Frau Mund-wurde-mir-zugetackert klargewesen ist, natürlich).
Die Atmosphäre ist gut. Bedrückend-depressiv-gut, dafür aber gespickt mit etlichen Anspielungen auf Lovecrafts Lebenswerk und den Mythos, den seine Geschichten umgaben. Fans seiner Werke werden nicht enttäuscht sein, aber auch jene, die sich nicht auskennen, dürften nichts vermissen. Was sich auch gut anfühlt ist Charles Reed selbst, der mit blutunterlaufenen Augen durch diese völlig verdreckte Stadt läuft, den langen 20er-Jahre-Mantel wehend im Wind. Er ist ein sehr menschlicher, sympathischer Charakter, geplagt von seinen eigenen Dämonen und übernatürlichen Fähigkeiten – ich wollte ihm hin und wieder gerne über den Kopf streicheln und ihm sagen, dass alles gut wird, aber es wäre eine Lüge gewesen (kein Spoiler für das Ende, sondern eine realistische Einschätzung der Dinge in The Sinking City).
Natürlich aber wollte ich das nicht von Anfang an. Ihm über den Kopf streicheln, meine ich. Denn am Anfang habe ich The Sinking City nicht sehr gemocht, nicht? Und ich erzähle dir jetzt auch, warum.
Das Schlechte
Oh bei Cthulhu, es gibt einige sehr schlechte Dinge in The Sinking City, und ich rede nicht von ekligen Fischmonstern oder eigenartigen Dingen, wie dem hier:
Ernsthaft, sind auf diese Art die Fischmenschen entstanden? Aber ... wie? Okay, vergiss die Frage.
Das Erste, was du über das Schlecht-sein von The Sinking City wissen musst ist, dass es sehr sicher kein großes Budget hatte – und dich das fühlen lässt. Unwichtige NPCs wirken wie Standard-Schablonen, aber auch die Skins einiger wichtiger NPCs wiederholen sich. Begehbare Gebäude (was die wenigsten sind) bestehen aus denselben Möbel-Puzzleteilen, nur anders angeordnet. Es gab etwa ein Haus, in das mich die Hauptmission gleich zu Beginn führte, und es war ein sehr beeindruckendes Haus: Ein Boot brach durch die Decke und gewährte so Zugang zum Obergeschoss, aber ganz abgesehen davon, warum ein verdammtes Boot bitteschön da durch die Decke gebrochen ist, was zur Hölle – erwartete mich das ebenselbige Boot auch im nächsten Haus.
Es ist nicht in jeder vermaledeiten Hütte vorzufinden, keine Sorge. Aber oft genug, um mir das Einfühlen in die Welt anfangs zu verwehren.
Da ist noch mehr. Die Dialoge sind anfangs holprig und wiederholen sich zuweilen, was beinahe den Anschein erweckt, Reed wäre krankhaft vergesslich. Das wird zwar besser mit der Zeit, ändert aber nichts daran, dass jene Dialoge auch visuell starr und puppenhaft umgesetzt wurden: Es gibt kaum Emotionen in den Gesichtern und auch, wenn genau das womöglich zu Oakmont und der Geschichte von The Sinking City passt, wirkt es, als sei es den Entwicklern eben nicht anders gelungen. Wahrscheinlich ist das auch nicht.
The Sinking City fühlt sich altbacken an, trotz einiger hübsche Texturen. Angefangen vom lachhaften Pistolen-Gameplay in der Third-Person-Perspektive über waschechte Grafikfehler in der PS4-Version. Außerdem bekam ich nie meinen ersten Wissenspunkt für das Standard-Skillsystem, der mir nach Abschluss der ersten Quest versprochen wurde (denke dir hier bitte einen eingeschnappten Smilie). Es sind kleine Dinge, winzige Ärgerlichkeiten, aber sie häufen sich schnell und verhindert exakt das, was du eigentlich tun müsstest: Dich auf das Spiel einlassen. Denn erst dann kann es eine – sehr – belohnende Erfahrung werden.
Das gute Zeug:
Das Großfischige
Ich habe nicht erwartet, etwas Großartiges in der stinkenden Fischstadt von The Sinking City zu sehen. Deswegen nenne ich es auch großfischig und nicht großartig, denn auch, wenn es toll ist und mich begeistert hat – es ändert nichts am Fischgestank, sondern lässt ihn nur angenehmer werden. Fast blumig.
Der große, große Vorteil von The Sinking City ist, dass es dich nicht an die Hand nimmt. Als Privatdetektiv ist es vornehmlich deine Aufgabe, Dinge herauszufinden und jene Ermittlungen hängen ganz allein von dir und deiner Kombinationsgabe ab. Missionen zeichnen sich nicht wie von Wunderhand auf deiner Map ein, im Gegenteil: Du wirst die Orte selbst herausfinden und markieren müssen. Es gibt ein ganzes Menü, dass sich allein der Aufgabe widmet, verschiedene Hinweise zu kombinieren – und häufig sind da mehrere Lösungen, die dir angeboten werden und aus denen du wählen musst.
Dieses Spiel sagt dir nicht, was du tun sollst. Die gesamte Stadt steht dir von Anfang an zur Verfügung und auch, wenn die Hauptmission sich dir anfänglich anbiedert, wirst du doch nicht an die Hand genommen. Denn selbst wenn du ihr folgst, wird es Momente geben, in denen du dich in eine Sackgasse manövrierst und erneut über all die bisherigen Hinweise schauen musst: Hast du etwas übersehen? Musst du das Haus vielleicht ein zweites Mal durchsuchen? The Sinking City sagt dir wenigstens, ob du alle Schlüsselhinweise an einem Ort gefunden hast – das war es aber auch. Wo du etwas findest? Schau selbst und wenn du schließlich doch weiterkommst, kannst du dir in einem sicher sein: Es war allein dein Verdienst, denn niemand hat dir dabei geholfen.
Es ist äußerst befriedigend, in The Sinking City voranzuschreiten. Bevor du aber soweit kommst, musst du arbeiten. Nachforschen – mit Stift und Zettel in der Hand neben deinem PC oder deiner Konsole rätseln und dir den Kopf zerbrechen. Auch das ist ein nostalgischer Ansatz, waren jene Spiele früher doch zumeist etwas anspruchsvoller und wollten nicht jedem Clown auf der Straße gefallen. Es gibt noch mehr, dass durchaus großfischig in Oakmont ist: Die übernatürlichen Fähigkeiten von Reed etwa, mit denen er in eine seltsam-horrende Welt abdriftet, der Wahnsinn ein Balken am Rand, der immer kleiner und kleiner wird. Seine Visionen schwappen im Verlauf des Spiels häufiger in die Realität über, vergiften seinen Verstand ebenso wie deinen Spielstand. Und selbst die Charaktere wandeln sich, denn so holprig sie anfangs wirken, so vertrauensvoll ketten sie sich im Laufen des Geschichte an dich. Sie sind seltsam, aber du verstehst sie irgendwann – gleich Reed selbst, den du mehr und mehr liebgewinnst.
Diese versunkene Stadt wird dir vielleicht nicht gefallen. Mir hat sie nicht gefallen, bis ich mich mit meinen Zähnen festgebissen und in den fischigen Brustkorb gefressen hatte, bis das große, liebenswerte Herz offen lag und mir zeigte, wie lebendig es mich machen konnte. Manchmal, so scheint es mir, muss ich etwas erst hassen, ehe ich es lieben kann. The Sinking City war nur ein weiterer Beweis für diese seltsame Wahrheit.
Wird dir gefallen, wenn du dich gern auf ein Spiel einlässt, du gern rätselst, Lovecraft gelesen hast (kein Muss) und du Fischmenschen auch dann lieben kannst, wenn sie auf den ersten Blick nicht die Schönsten sind.
Wird dir nicht gefallen, wenn du ein typisches Horrorspiel erwartest, du dich lieber unterhalten lassen willst und du an die Hand genommen werden möchtest, anstatt deine Reise auf eigene Faust zu bestreiten.
Wertung
“The Sinking City ist holprig, gnadenlos und schöner, als es aussieht. Es mag das schlechteste gute Spiel sein, das ich dieses Jahr spielen durfte und jede Sekunde davon war es wert.”