Verführt Netflix seine Kundschaft etwa fahrlässig zum Nikotin? Eine aktuelle Studie in den USA adressiert den zu hohen Zigarettenkonsum in den Serien des Streaming-Anbieters. Ob tatsächlich Grund zur Sorge besteht? Dies möchte ich als Ex-Raucher in meiner aktuellen Kolumne herausfinden.
Rauchen kann tödlich sein – so prangt es seit Jahren auf den Zigarettenschachteln. Die Vernunft ist sich der schädlichen Wirkung der Glimmstängel bewusst und kann die Tatsachen nicht negieren, der Bauch jedoch verlangt nach seiner geliebten Droge und lässt die Fakten buchstäblich im Nebel verschwinden. Auch ich gehörte einst zu diesen Räuchermännchen, redete mir selbst gut zu, belog mich dabei und verqualmte Schachtel um Schachtel. Mittlerweile hab ich die Sucht erfolgreich bekämpft, bin seit Jahren „qualmfrei“ und auf dem Weg zur gesunden Lebensweise – Geräuchertes gibt’s nur noch in Form von Fisch und Fleisch für mich.
Netflix: Ist rauchen in Serien wieder cool?
Und doch begegnet auch mir die ehemalige Sucht täglich, immer weniger auf den Straßen der Stadt und im Bekanntenkreis, dafür immer häufiger in der heimischen Klotze. Die Helden und Antihelden im TV ziehen eine Zigarette nach der anderen durch. Trotz einer sensibilisierten Gesellschaft, in der Rauchen nunmehr als Ausdruck eines schwachen Willens und einer ungesunden Lebensweise gilt, habe auch ich den Eindruck einer gestiegenen Popularität im Umfeld diverser Serienproduktionen – ein Trugschluss?
Meine Gedanken zum Wochenende: Die Kolumne möchte Denkanstöße liefern, zur Diskussion aufrufen und den „News-Schwall“ der Woche zum Ende hin reflektieren. Eine kleine Auswahl der bisherigen Artikel der Kolumne:
- @Apple: Öffnet die Events endlich auch für Fans!
- Bananen und Äpfel: Reift die Technik erst beim Kunden?
- Mobilfunkverträge mit unbegrenztem Datenvolumen: Ist die Zeit schon reif?
Wohl nicht unbedingt, denn eine Studie der Anti-Raucherorganisation mit dem verräterischen Namen „The Truth Initiative“ (via Washington Post) scheint dies stichprobenartig zu bestätigen. Verglichen wurden jeweils Staffeln von sieben Netflix- mit sieben US-Serien, die beispielsweise im normalen Kabelfernsehen laufen. Das Ergebnis: Bei Netflix qualmt es mächtig – absoluter Spitzenreiter mit 182 „Zigarettenvorfällen“ ist dabei kurioserweise die kultige Serie „Stranger Things“, aber auch bei „Orange ist the new Black“ und „House of Cards“ glimmen die Stängel. Im Kabelfernsehen kann da allein die Zombie-Serie „The Walking Dead“ mithalten. Was sind die Gründe für derartige Freizügigkeiten im Umgang mit der Droge Nikotin? Als Streaming-Anbieter kann man Altersfreigaben gelassen entgegensehen. Kinofilme jedoch werden bei übermäßigem Nikotingebrauch seit 2007 gleich mal mit einer höheren Altersgrenze eingestuft und erreichen dadurch weniger Publikum. Auch müssen Streaming-Anbieter die strengen Auflagen für normale US-Fernsehsender hinsichtlich Gewalt, Sex und Drogen nicht einhalten. Ergo: Die Macher können ungeschönt den Tabak auf der Mattscheibe verbrennen und als „künstlerisches Mittel“ zelebrieren.
Der Flashback für Ex-Raucher
Doch was machen diese Zigaretten-Orgien mit dem Hirn eines Ex-Rauchers, also mir? Serien und Filme sind – wenn gut gemacht – stark emotionalisiert, sie wecken Gefühle in uns, ziehen uns in ihren Bann. So verwundert es nicht, wenn sich bei mir in den Momenten des audiovisuellen Tabakgenusses romantisierte Erinnerungen wecken. Erinnerungen an die „guten Zigaretten“: Der Glimmstängel nach einem guten Essen, die Erste am Morgen zum Kaffee, die Eine nach dem Sex – wie fatal. Ausgeblendet wird die Schachtel die man früher sonst noch jeden Tag verqualmt hat, sinnlose Vernichtung von Gesundheit und Geld, nur um die Sucht zu befriedigen. Ausgeblendet werden auch die verrauchten, stinkenden Kleider, der kratzige Rachen wenn es mal wieder eine Zigarette zu viel war und die Aussicht und Chance auf „lustige Krankheiten“ wie Krebs oder einen Herzinfarkt.
Bis jetzt siegt bei mir die Vernunft, ich werde nicht rückfällig, auch weil die physische Abhängigkeit natürlich längst besiegt ist und auch der Kopf inzwischen am Ende den eigenen Willen diktiert – nicht andersherum. Und doch ist da so ein Stich, eben jene romantisierte Erinnerungen. Ich möchte allerdings Netflix dafür keine Schuld geben, immerhin gebietet es die gestalterische und künstlerische Freiheit den Machern der Serien keine Schranken aufzuweisen. Ich bin es, der ein „Problem“ damit hat, nicht Netflix. Und ich bin ein erwachsener Mensch, für mich und mein Tun selber verantwortlich.
Die „Idee“: Warnhinweise als Untertitel
Aber vielleicht gibt es ja einen Mittelweg zur Hilfe? Ein Einfall meinerseits: Netflix fragt mich vorab im Profil, ob ich ein Ex-Raucher bin. Bejahe ich dies, werden in den Momenten der „Zigarettenvorfälle“ auf dem TV warnende Untertitel eingeblendet, die mich an die Schattenseite des Qualmens erinnern und die verklärte Sicht auf den Tabak zurechtrücken – ähnlich der Hinweise auf den Zigarettenschachteln. Ich gebe zu, es klingt wie ein Aprilscherz, könnte aber vielleicht funktionieren und trockene Raucher wie mich abhalten doch Mal etwas Dummes zu tun.
Anmerkung: Die in diesem Artikel ausgedrückten Ansichten und Meinungen sind die des Autors und stellen nicht zwingend den Standpunkt der GIGA-Redaktion dar.